Neues Trendviertel oder doch nur ein heruntergekommener Stadtteil? Zwei KURT-Autorinnen haben sich umgesehen. Ein Spaziergang durch Dortmunds umstrittenste Ecken.
Hauptbahnhof
Der Lärm der abfahrenden Züge hallt in den Gängen des Hauptbahnhofs dumpf nach. Menschenmassen bewegen sich in Richtung des Hauptausgangs, die Nordstadt liegt auf der gegenüberliegenden Seite. Eine Frau mit Kinderwagen und Handy in der Hand läuft Richtung Nordausgang. Unentwegt redet sie lautstark auf ihren Gesprächspartner am Telefon ein. Sie bleibt stehen, weil sie an den Treppen nicht weiterkommt. Es dauert einige Minuten, bis ihr jemand hilft den Kinderwagen hinunterzutragen. Unten angekommen, beschleunigt sie ihre Schritte. Der Geruch von kaltem Zigarettenrauch und gammelnden Essensresten erfüllt die Luft. Die Frau biegt in Richtung Kino ab. Ein buntes Filmplakat wirbt für den neuesten Blockbuster. Busse kommen an und fahren wieder ab. Menschen unterhalten sich in den verschiedensten Sprachen: Arabische, polnische und türkische Wortfetzen sind zu hören. Die Frau mit dem Kinderwagen verschwindet in den Nebenstraßen der Nordstadt.
Münsterstraße
Auf beiden Straßenseiten laufen Menschen geschäftig hin und her. Egal, wohin der Blick fällt, überall werben Plakate, Displays und Schaufenster für die Ware in den Läden. Der intensive Geruch nach Fleisch dringt aus den Dönerbuden auf die Straße. Dazwischen mischen sich Spielhallen, Kioske und Krims-Krams-Läden. In der Münsterstraße scheint es alles zu geben: Von A wie Aquarium bis Z wie Zeitungsständer.
Mallinckrodtstraße/Ghetto-Netto
Hohe Bäume und Gebäude lassen nicht viel Tageslicht auf die viel befahrene Straße fallen. In einer Lücke zwischen den Wohnhäusern befindet sich ein Supermarkt. Die Anwohnerinnen und Anwohner nennen ihn liebevoll Ghetto-Netto. Nur wenige Autos parken davor. Im Inneren steht ein Sicherheitsbeamter an den Kassen. Mit starrer Miene und grimmigem Blick mustert er die Kundinnen und Kunden und ihre Einkäufe. Die Menschen, die aus dem Markt kommen, sehen sich zu allen Seiten um, gehen schnell weiter und verschwinden bald im Trubel der Mallinckrodtstraße.
Nordmarkt
Gleich gegenüber der Netto-Filiale liegt der Nordmarkt, auf dem normalerweise viele Menschen ihre Zeit verbringen. An diesem Montag sind hier nur vereinzelt Leute unterwegs. Ein Platz mit viel Grün, ein paar Spielgeräten, vielen Bänken, die zum Verweilen einladen. Auf der einen Seite steht ein kleines Häuschen. Es beherbergt einen Kiosk und öffentliche Toiletten. Der Uringeruch dringt einem schon einige Meter davon entfernt in die Nase. Mit dem Duft nach Kaffee scheint der Betreiber ihn überdecken zu wollen. Drei Bauarbeiter stehen davor und schlürfen aus ihren Bechern. Nicht einmal das schreiende Baby, das im Kinderwagen vorbeigeschoben wird, oder die kläffenden Hunde auf dem Nordmarkt scheinen sie zu stören. Viele, die dort in einer Ecke mit Stühlen und Tischen sitzen, sind alte Männer. Ihre Hüte und Schals sind tief in die faltigen Gesichter gezogen. Ab und zu tauchen ihre Münder auf, um an der Zigarette zwischen den behandschuhten Fingern zu ziehen.
An einer anderen Ecke des Nordmarkts wirkt das Ordnungsamt mit seiner massiven Tür und den verspiegelten Fenstern wie eine Festung. In ihnen sieht man die Gestalten derjenigen, die am Nordmarkt entlanglaufen zu erkennen. Es scheint, als wollten die da drinnen mit denen da draußen nichts zu tun haben.
Tante Albert
Eine unauffällige, abgelegene Wohnstraße. Schon ein paar Meter vorher ist die Luft erfüllt von dem Geruch nicht mehr ganz so frischen Salats. Die Ursache ist schnell gefunden: Der Food-Sharing-Container des Tante Albert Gartens. Vier orangene Spinde, die von Büchern über Kleidung und Essen alles enthalten, stehen in einer kleinen Nische am Wegrand. Heute sind es Salatköpfe und Rosenkohl, die für jedermann dort abgelegt wurden. Neben den Schränken liegt der Gemeinschaftsgarten, der Treffpunkt für alle ist. So steht es jedenfalls auf den bunten Schildern, die am Zaun hängen. Leicht chaotisch erscheint er: Möbel stehen herum, die Wiese ist ungemäht.
Helmholtz-Gymnasium
Auf dem Weg Richtung Hafen kommt man am Helmholtz-Gymnasium vorbei. Eine Clique steht vor einer Trink- und Spielhalle, wie sie an fast jeder Ecke in der Nordstadt zu finden ist. Acht Jungs, vielleicht 13 Jahre alt. Fast jeder zweite mit Zigarette in der Hand. Sie pöbeln sich an, offenbar im Scherz. Die Tür der Spielhalle ist geöffnet, obwohl es kalt ist. Keiner geht hinein. Eine für die Nordstadt sehr typische Szene: Vor vielen Kiosken hängen Gruppen herum, meistens sind es Männer. Egal bei welchen Temperaturen.
Hafenviertel
Nur selten sind Menschen im Hafenviertel zu Fuß unterwegs. Für die meisten ist die Kanalstraße bloß ein Weg, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Nur alle paar Meter öffnet sich die Mauerfront und lässt den Blick auf riesige Berge Autoreifen oder hoch gestapelte Container frei. Laster und Autos rasen auf der breiten Straße vorbei und erzeugen einen eisigen Wind. Der einzig einladende Ort ist die „Hafenkombüse“. Die Einrichtung ist schlicht und modern, die Wände grau. Zu Gast sind dort vor allem die Arbeiter aus der Umgebung. Stumm sitzt jeder für sich an einem Tisch und löffelt den Tageseintopf. Mit ihren langen, struwweligen Bärten und dreckigen Klamotten wirken sie fehl am Platz zwischen der schicken, mit Holz verkleideten Bar und den hellen Wänden.
Fredenbaumpark
An diesem Montag ist nicht viel los im Fredenbaumpark. In der kalten Jahreszeit verirren sich nur wenige an diesen Ort. Höchstens Joggerinnen und Jogger, die die breiten Wege und die ruhige Atmosphäre derzeit nur für sich haben. An der Seite zur Lindenhorster Straße gibt es einen Verkehrsgarten, einen Übungsplatz für angehende Fahrrad- oder Rollerfahrer. Auf den mit Laub übersäten Mini-Straßen fahren Kinder auf ihren Fahrrädern, sie üben für ihre Prüfung. Eine Teilnehmerin stößt sich mit den Füßen ab anstatt in die Pedale zu treten. Nach einigen Runden hat auch sie mehr Mut und fährt lachend die Wege entlang.
Kleingärten
Nach einigen Biegungen findet man hinter einer kleinen Ecke ein verborgenes Paradies. Eine Kolonie von Schrebergärten. Wie auf einem Schachfeld sind die kleinen eckigen Felder aneinandergereiht. Es ist so still, dass das Treiben des Hafens noch schwach zu hören ist. Die einzigen stillen Beobachter sind Gartenzwerge. In allen möglichen Größen und Farben bewachen sie ihr Reich.