Das sagen Chinesen zum geplanten Punktesystem

China plant, bis 2020 das sogenannte Sozialkredit-System einzuführen. Das ist nur mit einem Eingriff in die Privatsphäre der Menschen und mit einer enormen Überwachung möglich. In Deutschland wäre die Einführung eines solchen Systems mit großer Kritik verbunden. Von Seiten der Chinesen gibt es aber kaum Proteste. Chinesische Austauschstudierende erklären mögliche Gründe dafür.

In China soll ein System eingeführt werden, welches das soziale Verhalten der Bürger bewerten wird. Dabei besitzt jeder Mensch ein digitales Punktekonto. Das Verhalten der chinesischen Bürger soll dadurch bewertet werden. Sie werden dann entweder mit einem Punktezuschlag belohnt oder  mit einem Punkteabzug bestraft. Ein Mensch würde zum Beispiel Punkte gewinnen, wenn er positiv über die Regierung in den Medien spricht. Es würde sich für ihn negativ auswirken, wenn er weniger als einmal im Monat seine Eltern besucht. Ziel der Regierung ist es, mit dem System den idealen, moralischen Bürger zu schaffen.

China als Überwachungsstaat?

Welche Lebensbereiche das System alles betreffen wird ist noch nicht klar. Fest steht allerdings: Um das System umzusetzen, muss der Staat so viele Daten wie möglich von den Bürgern sammeln. Das ist nur mit einer enormen Überwachung möglich. Die Konsequenzen eines zu niedrigen Punktekontos könnten unter anderem sein, dass der Mensch keine Flugreisen mehr buchen kann, bei der Bank keinen Kredit mehr erhält oder sonstige Lizenzen verweigert werden. Ein hoher Punktestand hingegen führt zur Erleichterung all dieser Dinge und auch zu kostenfreien Eintritten, Mitgliedschaften oder Veranstaltungen.

Mangelnde Transparenz der chinesischen Behörden

Ein Punktesystem, wie China es plant, wäre in den westlichen Ländern mit enormer Kritik und Unverständnis verbunden. Chinesen hingegen äußern kaum Kritik am System. Lilly Zhao und Rey Tang* sind chinesische Studierende, die momentan zum Austausch an einer Universität in NRW sind. Sie erklären mögliche Gründe für die wenigen Proteste in China. Zunächst mussten sie sich allerdings über das System genauer informieren, da sie davon vorher noch nie gehört haben. Auch von den Planungen haben sie nichts mitbekommen.

Während der Interviews wurde schnell deutlich, dass Chinas Behörden nicht sonderlich transparent sind. Rey hat erklärt, dass man als chinesischer Bürger kaum Informationen über die Planungen der Regierung erhält. Da die Medien vom Staat reguliert werden und somit alle Nachrichten vorher gefiltert werden, ist Meinungsfreiheit in China ein Fremdwort. „Es ist immer schwierig zu beurteilen, welche Informationen echt sind und welche nicht. Wir haben in China auch kein Facebook, YouTube, Twitter und Google. Wir Chinesen können uns also nur über traditionelle Medien informieren.“

Chinesen befürworten das System

Lilly Zhao hat eine Vermutung darüber, was ein Grund sein könnte, warum viele Chinesen das System positiv sehen: „Im östlichen China ist alles sehr frei, aber im westlichen und nördlichen China kontrolliert die Regierung fast alle Dinge. Daher bevorzugen vielleicht Menschen von dort diese komplette Überwachung. Sie kennen es nicht anders.“

Prof. Dr. Flemming Christiansen ist an der Universität Duisburg-Essen Professor für ost-asiatische Sozialwissenschaften. Auch er meint, dass die Berichterstattung entscheidend ist: “Obwohl in den öffentlichen Medien von diesem System berichtet wird, wird es unter den Leuten kaum wahrgenommen, und wenn es mal im Alltag zur Sprache kommt, werden problematische oder negative Aspekte nicht aufgegriffen.” Auch eine Umfrage der Freien Universität in Berlin hat ergeben, dass Chinesen das System größten Teils befürworten. 2200 chinesische Studierende wurden gefragt, ob sie das geplante Punkte-System befürworten würden. 80 Prozent der Befragten stehen ihm positiv gegenüber.

 

 

Vor- und Nachteile des Sozialkreditsystems

Nachdem sich Rey und Lilly über das System informiert haben, konnten sie sich eine Meinung dazu bilden. „Ich denke, es ist gut für das allgemeine Leben und führt zu einer Verbesserung. Wahrscheinlich würde die Kriminalität sinken und alles sicherer werden. Allerdings kann es natürlich auch zu Stress führen, weil ich dann das Gefühl habe, ich muss etwas tun und mache es nicht aus freiem Willen“, sagt Lilly.

Rey nennt die gleichen Argumente, weist aber während des Interviews daraufhin, dass er nicht so viel über die Regierung in China sagen kann. Das könnte sowohl für ihn als auch für seine Familie Probleme bereiten. Daher möchte er auch nicht wirklich etwas Negatives über die Überwachung und das System sagen. Die Angst, die hier mitschwingt, könnte womöglich auch ein Grund für das Ergebnis der Umfrage der Berliner Universität sein.

Was ist gut und was ist schlecht?

Christiansen greift ein weiteres Problem des Systems auf: “Menschen wissen intuitiv was richtig und unrichtig ist, es ist jedoch immer ein situationsbedingtes Urteil, immer mit einem konkreten Bezug. Die Frage, die sich bei dem System stellt, ist aber: Wie können solche Urteile  massenhaft objektiviert werden? Ich denke nicht, dass es universelle technische, politische, oder halt populistische Antworten zu ‘richtig’ und ‘unrichtig’ gibt, die als gesellschaftlich befriedigend gelten könnten. Das Problem an dem System ist, dass man künstlichen Intelligenzen Glauben schenkt, obwohl man gar nicht wissen kann, wie sie ihre Antworten generieren.”

Lilly und Rey äußern beide, dass sie etwas an ihrer Lebensführung ändern würden, wenn das Sozialkredit-System eingeführt werden sollte. Lilly sagt zum Beispiel: „Ich würde ja dann gerne ein guter Mensch sein. Vielleicht würde ich mir mehr Mühe geben, ein besserer Mensch zu sein.“

*Namen durch die Redaktion geändert Beitragsbild: Collage von Johanna Hausberg mit “The Huángxīng Lù Commercial Pedestrian Street in Changsha”/X.Zhou/wikimediacommons/CC.BY.2.5 und “Cctv Camera Security”/StockSnap/pixabay/pixabaylicense

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1 Kommentare

  1. says: Sina

    Ich wünschte alle Chinesen würden das System zerstören, sie sollen auf das System schimpfen und sich danebenbenehmen, bis keiner mehr Punkte hat.Dann zerfällt das scheiß System. Ich würde mich umbringen, wenn ich Punktabzug bekomme, nur weil ich meíne scheiß Familie nicht besuche oder pflegen will. In diesem System würde ich der schlechteste Mensch mit Absicht werden.Es gehört zerstört, noch ehe es anfängt.

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