Alkohol wirkt sich ganz individuell auf unsere Körper aus. Besonders deutlich wird es, wenn es um das Thema Blackouts geht. Da gibt es Leute, die sich häufiger mal an mehrere Stunden vom letzten Abend nicht mehr erinnern können. Anderen ist so etwas noch nie passiert und sie fragen sich, wie viel man dafür bitte trinken müsste. Aber warum bekommen Menschen überhaupt Gedächtnislücken, wenn sie zu viel Alkohol trinken? Und wovon hängt es ab, ob wir uns am nächsten Tag erinnern können oder nicht? Darüber hat Kurt mit Dr. Patrizia Thoma von der Ruhr-Universität Bochum gesprochen. Sie ist Privatdozentin für klinische Neuropsychologie und leitet die Ambulanz am Neuropsychologischen Therapie Centrum.
Alkohol wirkt sich in unserem Gehirn auf verschiedene Botenstoffe aus, die Informationen an die Synapsen übertragen. Das betrifft vor allem den hemmenden Neurotransmitter GABA, der normalerweise dafür sorgt, dass wir nicht mit Reizen überflutet werden. Dieser wird durch Alkoholkonsum besonders aktiviert und beeinflusst verschiedene Bereiche in unserem Gehirn.
Wichtig für unsere Erinnerung sind vor allem zwei Strukturen: Zum einen der Hippocampus, der für die Gedächtnisbildung verantwortlich ist und zum anderen das Frontalhirn, das eine Art übergeordnete Kontroll- und Steuerungsinstanz ist. Das Frontalhirn steuert, welche Erinnerungen wie abgespeichert werden. Es prüft Informationen auf ihren Plausibilitätsgehalt und unterstützt den gezielten Abruf dieser Erinnerungen. Die erhöhte Aktivierung von GABA durch den Alkoholeinfluss führt mit weiteren Botenstoffen dazu, dass das Frontalhirn und der Hippocampus zeitweise weniger gut arbeiten. Erinnerungen können nicht mehr richtig abgespeichert werden und wir sind unaufmerksam. Auf der Party erinnern wir uns zwar noch daran, was gerade passiert ist. Die Erinnerung selbst wird aber unter Umständen nicht mehr vollständig ins Langzeitgedächtnis überführt.
Es gibt unterschiedliche Kriterien dafür, wie anfällig wir für solche Blackouts sind. Zu einem gewissen Teil ist es genetisch veranlagt. Außerdem spielt das Alter eine Rolle: Personen über 60 und junge Menschen in der Pubertät sind besonders anfällig. Mit 15 oder 16 Jahren vollzieht insbesondere das Frontalhirn noch entscheidende Reifungsschritte. In dieser Zeit reagiert es sehr sensibel auf Alkohol und andere Drogen. Auch unsere aktuelle Stimmung kann eine Rolle spielen, denn diese wirkt sich auch schon nüchtern auf unsere Erinnerung aus. Menschen mit einer Depression haben zum Beispiel eine schlechtere Gedächtnisleistung als Menschen ohne. Wenn wir dann Alkohol trinken, verstärkt das diese Effekte.
Wenn wir so viel Alkohol trinken, dass wir uns tatsächlich an mehrere Stunden nicht mehr erinnern können, kann das unter Umständen schon nach einer einzelnen Episode schädlich für das Gehirn sein. Es kann bei wiederholten Episoden oder gar bei einer Alkoholabhängigkeit dazu führen, dass wir auch nüchtern eine eingeschränkte Gedächtnisfunktion haben. Teilweise können solche Schädigungen wieder rückgängig gemacht werden, wenn der schädliche Einfluss des Alkohols ausbleibt. Unser Gehirn kann sich in bemerkenswerter Weise immer wieder neu entwickeln. Es ist dabei abhängig von den Umwelterfahrungen, die wir machen und von den Anregungen, die unser Gehirn erhält. Dazu müssen die geschädigten Bereiche immer wieder aktiviert werden.
Erinnerungen: Netzwerk verschiedener Sinneseindrücke
Wenn wir lange Zeit keinen Alkohol trinken, kann sich die alte Struktur also wiederaufbauen. Diese Erholungseffekte werden im Kernspintomograph deutlich: Defekte, die vorher zu sehen waren, füllen sich wieder auf und damit werden auch die kognitiven Funktionen besser. Das Gehirn kann sich sogar bis auf sein Anfangsstadium regenerieren, was bei sehr umfangreichen Schäden aber nicht funktionieren wird. Es gibt keine Garantie dafür. Der Prozess hängt von vielen Faktoren ab und ist individuell kaum vorherzusagen.
Manchmal passiert es, dass Erinnerungen mit der Zeit wiederkommen. Das liegt daran, dass im Gehirn unterschiedliche Bereiche angesprochen werden, wenn wir versuchen, uns etwas zu merken. Wir nehmen etwa visuelle Aspekte wahr, auditive und haben bestimmte Gefühle. Der Hippocampus spinnt dann eine Spur zwischen diesen Bereichen und baut so ein Netzwerk auf. Unter Alkoholeinfluss funktioniert diese Vernetzung nicht so gut und die Bereiche werden nur fragmentarisch verbunden. Wenn wir aber einzelne Erinnerungen wie zum Beispiel einen bestimmten Geruch wieder wahrnehmen, kann es sein, dass ein größerer Teil des Netzwerkes aktiviert wird. Und je mehr Aspekte hinzukommen, desto mehr können wir uns erinnern.
Beitragsbild und Porträt: Lisa König
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