Ey, du st…st…stott…tt…erst!

Kontrollverlust. So beschreibt Benedikt das Stottern, also die Störung, die ihn schon sein ganzes Leben begleitet. Doch wirklich realisiert hat er das erst an seinem ersten Schultag. „Da habe ich gemerkt, dass ich mich von den anderen unterscheide“, erinnert er sich. Auch wenn ihn das Stottern nicht mehr stört, gibt es immer wieder Momente, in denen er es aufgrund des Stotterns schwieriger hat.

Heute (22. Oktober 2019) ist Welttag des Stotterns. Genutzt wird der Tag, um über die Sprechbehinderung aufzuklären und Aufmersamkeit für alle Stotternden und die damit entstehenden Schwierigkeiten zu schaffen. Von denen distanziert Benedikt sich mittlerweile größtenteils. Der 24-Jährige hat sich mit seiner Sprechbehinderung angefreundet. Er findet nur noch wenige Situationen, in denen er im Alltag vom Stottern beeinflusst wird und lässt das auch einfach nicht zu. „Hilft ja auch nicht, wenn man sich immer selbst bemitleidet“, sagt er. Er sei „natürlich“ gemobbt und gehänselt worden, aber das war früher in der Schule.

Benedikt stottert, seitdem er klein ist. Damit gehört er zu den Entwicklungsstotterern. Bei denen entsteht das Stottern meistens zwischen dem dritten und siebten Lebensjahr. Das Gehirn kann eigentlich schon gut Sprache verstehen, aber die Person kann es motorisch nicht wiedergeben, erklärt Rebecca Lehrich, Diplom Logopädin aus Dortmund. Benedikt nimmt es so war, dass er sich selber nicht unter Kontrolle hat. „Ich kann nicht kontrollieren, wie ich etwas ausspreche. Das ist extrem unangenehm“, meint er.

„Stottern kann allgemein auch nach dem siebten Lebensjahr entstehen oder vielmehr gesagt erstmalig ausgelöst werden“, fügt Lehrich noch hinzu. Außerdem gibt es noch das sogenannte neurogene Stottern, das zum Beispiel nach Schlaganfällen oder aufgrund von Stress auftreten kann.

Lehrende machen das Stottern teilweise zu einer größeren Sache

Jetzt studiert Benedikt an der TU Dortmund Raumplanung im elften Semester. Er hat verschiedene Therapien gemacht, geht zur Stotter-Selbsthilfegruppe und sieht es mittlerweile als sein Hobby an: „Ich beschäftige mich soviel damit, da kann man das schon ein Hobby nennen.“ Seine Kommilitonen und Kommilitonninen haben kein Problem mit dem Stottern. „Ich denke sehr oft, ich bin der, der sich an meinem Stottern am meisten stört“, gibt er zu. Er melde sich nicht so oft bei Univeranstaltungen, weil ihm das teilweise unangenehm ist.

Viele Lehrende kommen ihm sehr entgegen und gehen richtig mit der Situation um. Trotzdem gibt es einige, die ihm bei seiner Schüchternheit nicht wirklich helfen, oder es sogar noch schlimmer machen. Bei einer mündlichen Prüfung wurde Benedikt gesagt, dass es eigentlich gegenüber anderen Studierenden nicht fair wäre, ihn bestehen zu lassen, weil aufgrund des Stotterns weniger Fragen gestellt werden konnten. Trotzdem hat er bestanden. Der 24-Jährige hat sich ja immerhin genau so gut vorereitet wie seine Kommilitonen und Kommilitoninen.

Auch bei einem Projekt, dass er vor dem Uniklinikum der Universität Duisburg-Essen vorstellen wollte, meinte der Projektleiter zu einer anderen Studierenden aus seiner Gruppe, dass Benedikt lieber nicht vorstellen sollte. Das Projekt solle durch sein Stottern nicht schlechter dargestellt werden, als es ist. Besonders verletzend fand Benedikt daran, dass der Projektleiter es ihm nicht ins Gesicht gesagt hat, sondern es hinter seinem Rücken jemand anderem erzählt hat. „Ich bin ja eigendlich jemand, der da offen drüber spricht.“

Solch ein Verhalten wird wohl immer in seiner Erinnerung bleiben. Dass ausgerechnet Professoren und Lehrende mit dem Thema anders umgehen, als es angemessen wäre, stört den Studenten am meisten. „Da ist auf jeden Fall noch Aufklärungsarbeit fällig“, sagt er. Vielleicht ist das auch der Grund, dass er mit 21 Jahren nochmal eine Intensiv-Therapie in Kassel gemacht hat. „Da wird echt heftig an dem Sottern gearbeitet“, die Verbesserung hatte er nicht erwartet, sagt er, „das war schon abgefahren“.

Ein angenehmes Umfeld schaffen

Die Stotter-Selbsthilfegruppe, zu der er seit zwei Jahren geht, hilft ihm auch total, aber auf eine andere Art und Weise. Der Erfahrungsaustausch ist für Benedikt besonders wertvoll und einzigartig. „Das hat man außerhalb der Gruppe halt kaum“, berichtet der 24-Jährige. Außerdem mache es einfach Spaß und man lerne tolle Leute kennen. Einige von ihnen zählt er nun zu seinem engsten Bekanntenkreis. Da stört es niemanden, dass er ab und zu ein bisschen länger für seine Antwort braucht. „Sonst wären die Leute auch nicht in meinem näheren Umfeld“, stellt er klar.

Ein Thema was fast alle Studierende beschäftigt, ist natürlich das Dating. Auch darüber macht sich Benedikt Gedanken. Prinzipiell hat das Stottern laut ihm keinen großen Einfluss. Er ist dadurch schüchternder und spricht nicht gerne Fremde an, aber diese Angstschwelle habe ja sonst auch fast jeder. „Das Stottern ist aber natürlich auch ein Indikator“, meint er. Wenn jemand aufgrund des Stotterns keinen Bock auf ihn hat, dann wird es halt definitiv nichts und die Sache ist schnell abgehakt.

Es gibt auf sein Stottern viele verschiedene Reaktionen. Mobbing hat er hauptsächlich in der fünften bis siebten Klasse erfahren, allerdings nicht von den Leuten aus seiner Stufe, sondern hauptsächlich von älteren Menschen. Man sei durch die Sprechstörung extrem leicht angreifbar. „Dabei weiß ja niemand so richtig, was stottern wirklich ist“, meint er.

Selbsthilfegruppe, Therapie, Logopädie… Es gibt viele Möglichkeiten

Auch wissenschaftlich gesehen, ist Stottern ein Mysterium. Woran es liegt, und welche Gründe es gibt, ist unklar, sagt Rebecca Lehrich, Diplom-Logopädin aus Dortmund. Es sei bis heute nicht medizinisch zu diagnostizieren. Es gebe kein Gen, das dazu führt, dass Menschen stottern. Die Ursache wird aber weiterhin von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen erforscht. Auch Therapien werden immer weiter entwickelt. „Das Rad wird dabei aber nicht mehr neu erfunden“, meint Lehrich.

Sie verwendet in ihrer Praxis die Stottermodifiziertechnik, die aus verschiedenen Bausteinen besteht.  Beim Analysieren muss der Patient, die Patientin seine primäre und sekundären Symptomatik kennen lernen. Die Angst vor dem Stottern wir beim Desensibilisieren genommen.  Außerdem gibt es diverse Sprechtechniken, die beim Sprechfluss helfen sollen. Beispielsweise das Stottern zu unterbrechen und dann von vorne anzufangen oder weiche Stimmeinsätze in den Redefluss einzubauen.

Auch andere Methoden können dabei helfen, das Stottern zu minimieren. Wenn es eine 100 prozentige Besserung gibt, dann nur bei Entwicklungsstotterern wie Benedikt. Laut Lehrich ist es jedoch üblicher, dass es nicht komplett geheilt wird. „Ein ,therapierter‘ Stotterer kann bewusst das Stottern deutlich reduzieren und sein sprechen dahingehend modifizieren, dass er redeflüssig ist. Ohne bewusste Veränderung des Sprechens taucht das stottern wieder auf“, erleutert sie.

Die Reaktionen können immer anders ausfallen

Wenn Benedikt sich sehr stark konzentriert, redet auch er fast ohne Stotterer. Das macht er aber meistens nicht, deshalb wird er auch häufig eigenartig angeguckt. „Die Leute denken öfters, dass man nicht so schlau ist“, erzählt er. Ihm wurde auch öfter vorgeworfen, mit Absicht zu stottern, dabei würde ihm das gar keine Vorteile bringen. Witze über seine Sprachstörung findet er überhaupt nicht schlimm: „Ich bin auf jeden Fall jemand, der dann immer mal einen Spruch übers Stottern bringt“, meint er, „Das ist halt schon einfach witzig.“

So mit dem Stottern umzugehen wie er selber, wünscht Benedikt auch anderen mit der Sprechstörung. Ihnen möchte er sagen: „Es hilft, wann man sich damit auseinandersetzt und man sollte niemals aufgeben“. Auch Selbsthilfegruppen und die ständige Arbeit am Sprechen kann er nur empfehlen. „Man darf sich nicht vom Stotten kontrollieren lassen, sondern muss das Stottern selber kontrollieren“, ist er überzeugt.

„Man ist ja auch, obwohl man stottert, ein ganz normaler Mensch.“

 

 

 

 

 

 

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