„Hast du mit mir geredet?“ – „Nein, mit mir.“ Seit mein Freund und ich diesen Sommer zusammengezogen sind, geht das andauernd so. Denn wenn ich mich konzentrieren muss, lerne oder arbeite, dann rede ich dabei mit mir selbst. Und wenn er sich dann angesprochen fühlt und dieses doch so gute Gespräch mit mir unterbricht – bringt mich das ziemlich aus dem Konzept. Dann vergesse ich, was gerade noch klar in meinem Kopf war, und werde pampig. Und er dann auch.
Doch egal, wie komisch er das findet: Ich bin nicht die Einzige, die sich selbst mit einem aufmunternden „Das wird schon!“ motiviert, während sie gerade für eine Klausur lernt. 96 Prozent der Erwachsenen reden zumindest hin und wieder mit sich selbst, haben US-Forscher herausgefunden. Und was so viele machen, kann doch nicht verrückt sein – oder?
Mehr Motivation dank Selbstgespräch
„Sorgen müssen Sie sich wegen Ihrer Selbstgespräche sicher nicht machen“, sagt Alexandra Miethner. Sie ist in Bonn als Arbeitspsychologin tätig und hat sich unter anderem auf die Themen Stress und Resilienz spezialisiert. „Wenn Sie sich konzentrieren müssen und sich dabei selbst anspornen, lässt sich die Motivation dadurch wirklich steigern.“ Besonders erforscht ist dieser Zusammenhang bei Leistungssportlern: Viele von ihnen gehen die Abläufe vor einem Wettkampf noch einmal im Kopf durch und sprechen sie sich vor. Studien zufolge steigern die Sportler dadurch nicht nur ihre Motivation, sondern tatsächlich auch ihre Leistung. „Außerhalb des Sports gibt es noch nicht so viel Forschung zu Selbstgesprächen“, sagt Miethner. „Fest steht aber, dass wir sie in vielen Lebensbereichen ganz bewusst für uns nutzen können.“
Wer mit sich selbst redet, gewinnt. Gerade bei schwierigen oder langwierigen Aufgaben hilft es, die einzelnen Schritte mit sich selbst abzusprechen. Zurück bei meinem Klausur-Beispiel wäre das etwa: „Okay, in diesem Kapitel muss ich noch 30 Folien zusammenfassen, dann kann ich das schon mal wiederholen und danach gehe nochmal die Karteikarten aus den vorherigen Kapiteln durch.“ Wer seine gedachte To-Do-Liste so speichert, muss nicht ständig auf Zettel schauen und wird aufmerksamer. Ich merke außerdem oft, dass ich meinen aktuellen Stand dadurch besser im Kopf habe und nicht nervös grübele, ob ich denn gut in der Zeit liege. Das haben Ich und Ich ja schon geklärt.
Ich helfe mir, wenn es mir schlecht geht
Besonders gut tut mir meine Stimme allerdings, wenn es an die Gefühle geht. Zusammen haben Ich und Ich schon so manche schwierigen Entscheidungen getroffen, Gefühle analysiert und Trennungen bewältigt. Auch dafür hat Psychologin Miethner ein Wort: „Selbstberuhigung“. Im Selbstgespräch könne man sich von der Situation distanzieren und Anspannung loswerden. Das wiederum helfe, die Gefühle einzuordnen und letztlich mit der unangenehmen Situation fertig zu werden.
Das Selbstgespräch motiviert also, macht aufmerksam und beruhigt in schwierigen Momenten. Wenn das mal nicht eindeutig ist! Auf Drängen meines Freundes hin frage ich trotzdem nach, ob das Reden mit mir selbst auch bedenklich werden kann. „Es gibt zwei Ausprägungen, in denen ein Selbstgespräch nicht mehr gesund ist“, erklärt Miethner. „Erstens wäre das der Fall, wenn das Selbstgespräch zu negativ wird. Wenn man also ständig an sich zweifelt und sich selbst runterzieht, statt konstruktiv mit sich umzugehen.“ Die andere bedenkliche Situation wäre, die Stimme nicht mehr als die eigene wahrzunehmen, sondern als „eine andere Stimme im Kopf“, die etwas verlangt. „So kennen wir Selbstgespräche zum Beispiel aus Filmen“, sagt Miethner.
So lange ich mir also im Klaren darüber bin, dass ich da gerade mit mir rede, ist alles paletti. Das sage ich dann auch meinem Freund. Und wenn ihm meine Selbstgespräche doch irgendwann zu viel werden, habe ich ja noch mich, um darüber hinwegzukommen. Irgendwie schön zu wissen, dass man nie ganz allein ist.
Illustration: Lydia Münstermann