Wahrheit oder Lüge? In alltäglichen Situationen stellen wir uns vielleicht oft die Frage, ob unser Gegenüber die Wahrheit sagt oder lügt. Wir nehmen beobachtbare Verhaltensanzeichen wahr und versuchen diese Signale zu interpretieren. Aber ist es überhaupt möglich Lügner anhand der Körpersprache zu erkennen? Körpersprache-Experte Stefan Verra im Gespräch.
Herr Verra. Können Sie gut lügen?
Ich lüge wahrscheinlich im Schnitt genauso oft wie alle anderen Menschen. Der Mensch eignet sich im Laufe des Lebens natürlich ein wenig Geschick an und das ist sozial unheimlich wichtig.
Wie sollten wir uns verhalten damit wir nicht direkt ertappt werden, wenn wir mal lügen müssen?
Sprechen wir erst einmal von kleinen Lügen, die den Alltag erträglich machen. Wie zum Beispiel, wenn wir bei der Schwiegermutter eingeladen sind und sie furchtbar kocht. Dann ist es wahrscheinlich besser zu sagen, dass das Essen ganz gut war, obwohl es eine Lüge ist. Wenn wir die Wahrheit sagen würden, hätten wir wahrscheinlich Streit mit der Schwiegermutter und vielleicht auch mit der Partnerin oder dem Partner. Der soziale Schaden wäre größer. Das ist der Grund für diese kleinen Alltagslügen. Damit wir damit glaubwürdig rüberkommen, ist es wichtig, dass wir uns auf die Lüge vorbereiten. Wenn man sich die Lügen-Situation oft im Kopf durchspielt, dann gewöhnt sich der Geist an diese Sache und damit wird auch der Körper glaubwürdiger reagieren.
Bei Lügen ertappt wird nur die Person, die völlig überrascht ist, dass jemand auf seine Lüge kommt. Deswegen werden wir echte Profis nahezu niemals an der Körpersprache überführen können.
Ist das Täuschen der Körpersprache also möglich, oder spricht der Körper immer die Wahrheit?
Natürlich ist es kurzfristig möglich. Es ist sehr schwer den gesamten Körper richtig einzustellen. Der Körper muss selbst an die Lüge glauben. Deswegen können Kinder oft wahnsinnig gut lügen. Sie sind in ihrer Fantasiewelt und glauben, dass sie Darth Vader tatsächlich getroffen haben. Sie erzählen das so überzeugend, dass man es nicht von einer tatsächlichen Begegnung unterscheiden kann.
Es gibt Menschen, die sich eine Sache so lange vorgesagt haben, bis sie es selbst für die Realität halten. So können sie die Lüge überzeugend rüberbringen.
Stimmt es, dass Lügner sich ständig ins Gesicht fassen oder wegschauen?
Es kann sein, dass ein Lügner nervös wird, wegschaut oder sich an die Nase fasst. Menschen machen das aber auch, wenn sie nicht lügen.
Wir können die Körpersprache von Menschen genau beobachten. Wir wissen aber niemals, was der auslösende Gedanke für eine bestimmte Körpersprache war. Ich erkläre es an einem Beispiel: Wir stellen uns vor, dass jemand mit Ihnen spricht und plötzlich bemerken Sie genau die Lügen-Signale, über die Sie schon mal gelesen haben. Die Person wird plötzlich hektisch, dreht sich weg von Ihnen und vermeidet den Augenkontakt. Jetzt kann es sein, dass die Person Sie gerade anlügt. Es kann aber auch sein, dass ihr gerade etwas ganz Wichtiges eingefallen ist. Dann würde sie genauso den Augenkontakt meiden, sie würde wegschauen und hektisch werden.
Ich arbeite immer wieder mit exekutiven Organisationen zusammen. Beim Zoll wären die Beamten natürlich daran interessiert Lügner zu erkennen. Die Zollbeamten wissen aber ganz genau, dass diese Signale viel zu unsicher sind.
Wie wichtig ist unser Bauchgefühl in einer Lügen-Situation?
Das Bauchgefühl ist im Leben unheimlich wichtig. Es täuscht sich jedoch genauso oft wie der Mensch. Das Bauchgefühl kann auch nicht in andere hineinsehen. Das hat Daniel Kahneman, Wissenschaftler und Nobelpreisträger, genau beschrieben. Ein Bauchgefühl ist eine Sinneswahrnehmung, die noch nicht verbalisiert werden kann. Das heißt, dass der Mensch bereits etwas wahrgenommen hat. Das ist aber immer nur eine Sinneswahrnehmung. Daraus entsteht dieses Bauchgefühl.
Deswegen haben wir Menschen einen Vorteil gegenüber allen anderen Lebewesen. Die haben nämlich nur die Möglichkeit auf ihre Sinneseindrücke zu reagieren. Wir können diese wahrnehmen und danach rational überprüfen. Es ist falsch, wenn wir uns ausschließlich auf das Bauchgefühl verlassen, aber es ist genauso falsch uns nur auf den Neokortex, das heißt sich auf den bewussten Verstand, zu verlassen. Das Zusammenspiel beider Ebenen ist wichtig.
Voltaire sagte einmal: „Lügen ist eine Tugend, wenn es nutzt.“ Sollten wir also schwindeln was das Zeug hält, wenn es etwas bringt?
Das was Voltaire gesagt hat, ist deswegen eine Tugend, weil er den sozialen Zusammenhalt über das Einzelereignis stellt. Das ist natürlich wichtiger. Wenn mich meine schlecht kochende Schwiegermutter für mein gelogenes Kompliment in ihr Herz schließt, wird die soziale Bindung gestärkt. Dann ist das wahrscheinlich der größere Gewinn. Jetzt aber daraus den Schluss zu ziehen, dass wir lügen sollten was das Zeug hält, ist natürlich nicht zulässig. Das hat Voltaire auch nicht gesagt.
Lügen sind nicht immer angenehmer, als Dinge zu hören, die uns schmerzen, aber wie sähe ein Leben nur mit Lügen aus?
Eine Welt nur mit Lügen, würde wahrscheinlich sehr schnell in sich zusammenbrechen und in viel Einsamkeit enden. Wir könnten uns niemals auf andere Personen einlassen. Eine menschliche Beziehung heißt, dass ich nicht mehr hinterfragen muss. Ich nehme die Aussage und die Emotionen des anderen so an, wie er es mir zeigt.
Das ist in einer gewinnenden Partnerschaft oder auch bei Kindern unheimlich wichtig. Kinder lieben ihre Eltern und die Eltern lieben ihre Kinder. Sie hinterfragen nicht, ob die Liebe vielleicht vorgespielt wäre. Das wäre in einer Lügenwelt glaube ich das Fatalste. Dass wir uns nicht mehr auf andere Personen verlassen und einlassen können.
Inwiefern gibt es Unterschiede bei den Geschlechtern, wie gut sie Körpersprache lesen können?
Tendenziell ist es so, dass es Frauen ein wenig besser können. Der Hippocampus spielt eine Rolle. Er hilft uns dabei, Gestiken und Mimiken zu lesen und sie mit Emotionen zu verknüpfen. Auch wenn das mit aller Vorsicht zu genießen ist, können das Frauen wohl im Schnitt ein wenig besser. Was nicht heißt, dass es jede einzelne Frau wahnsinnig gut und alle Männer unsensible Kreaturen sind. Aber für Frauen hat diese Wahrnehmungsgenauigkeit wohl zwei Vorteile. Bei der Aufbringung von Kindern, beim Menschen und den meisten höher entwickelten Säugetieren, ist es von Vorteil feine Signale der Körpersprache des Nachkommen wahrzunehmen. Der zweite Vorteil ist das Ausweichen von physischen Konflikten. Wer nämlich an feinen Mimiksignalen erkennt, dass es hier gleich Zoff gibt, kann dem leichter ausweichen. Als körperlich schwächeres Geschlecht ist das ein Vorteil. Wichtig ist aber, dass wir alle enorm gewinnen, wenn wir uns ein wenig damit beschäftigen.
Beitragsbild: Severin Schweiger