„Anfangs hat es sich angehört wie eine gut gemachte Realsatire“, verrät Laura Mench. Die Wut und Enttäuschung ist in der Stimme der 23-jährigen Aktivisten deutlich zu hören. Noch gut erinnert sie sich daran, wie sie im August 2019 das erste Mal vom Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz, kurz IPReG, gehört hat.
Fast ein Jahr später hat der Bundestag das umstrittene Gesetz beschlossen. „Das ist menschlich kaum vertretbar“, beschwert sich Mench. Sie ist durch ihre fortschreitende Erkrankung direkt von dem Gesetz betroffen. So wie ihr, geht es auch 20.000 anderen Menschen, die Zuhause leben und auf eine Intensivpflege angewiesen sind.
Von dem Gesetz betroffen, sind Menschen, die rund um die Uhr auf eine Assistenz oder eine Pflegekraft angewiesen sind. Oft werden die Betroffenen beatmet, Gründe dafür können eine Querschnittslähmung, ALS oder Multiple Sklerose sein. So ist auch Laura Mench zeitweise auf eine Atemmaske angewiesen. Ihren Wünschen im Leben lässt sie das aber nicht im Weg stehen.
Hashtag “NoIPReG”
2018 begann sie eine Ausbildung zur Radio- und TV-Moderatorin an der “Deutsche Pop” in Berlin. Diese hat sie mittlerweile beendet und arbeitet nun als freie Autorin, Journalistin und Moderatorin. Auf ihrem Blog schreibt sie selbst „Sie lebt Inklusion“. Kein Wunder also, dass es ihr sauer aufstößt, zu Corona-Zeiten für ihr Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Leben kämpfen zu müssen. Und damit steht sie nicht allein.
Besonders in den Sozialen Medien war der Frust über das Intensivpflegegesetz deutlich zu spüren. Unter dem Hashtag „NoIPReG“ machten Betroffene, Angehörige und Pflegekräfte ihrem Ärger über die Ungerechtigkeit Luft. „Alles hätte anders laufen müssen“, sagt Laura Mench und meint damit die Entwicklung des Gesetzes. „Wir haben oft signalisiert, dass wir zu Gesprächen bereit sind. Wir hätten uns einfach an einen Tisch setzten und darüber reden können“, so Mench. Aus ihrer Sicht hätten so einige Fehler vermieden werden können.
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Fachkräftemangel und Abrechnungsbetrug
2019 sorgte Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn mit dem umstrittenen Entwurf „Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz (RISG)“ für Angst bei den Betroffenen. Denn in diesem Gesetz sollte die Pflege im Heim zur Regel werden. Nach massiven Protesten wurde das RISG zum IPReG (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz), doch der Argwohn bei Intensivpflegebedürftigen war geweckt. Eigentlich soll das Gesetz Abrechnungsbetrug und Fehlanreize im Gesundheitswesen verhindern. So haben in der Vergangenheit ambulante Pflegedienste beispielsweise Leistungen mit den Krankenkassen abgerechnet, die gar nicht erbracht wurden. Wie hoch der Schaden für die Krankenkassen ist, lässt sich nur schätzen.
Zudem würden in der Intensivpflege immer häufiger ungelernte beziehungsweise nicht ausreichend qualifizierte Pflegekräfte eingesetzt werden. Ein Umstand, mit dem Pflegebedürftige sich arrangiert haben: „Viele von uns sind dazu übergegangen unser Pflegepersonal selbst einzuarbeiten und so auch bestens an unsere individuellen Bedürfnisse anzupassen“, erklärt Laura Mench. Ein meist gut ausgetüfteltes Modell, das in Gefahr ist, wenn durch das Intensivpflegegesetz die häusliche Intensivpflege nur noch von qualitätsgeprüften Pflegediensten übernommen werden darf.
Auch der Fachkräftemangel in der ambulanten Pflege ist ein wichtiger Faktor. Mench hat daher die Vermutung, dass Jens Spahn durch das Gesetz mehr Pflegekräfte zurück in die stationäre Pflege bewegen möchte. Laura Mench hält das für unwahrscheinlich. „Fachkräfte die in der ambulanten Pflege arbeiten, haben sich meist bewusst dafür entschieden, weil sie nicht unter den Bedingungen der stationären Pflege arbeiten wollen. Sie werden nicht in die Krankenhäuser und Heime zurückkehren.“
Fehlanreize abschaffen und Selbstbestimmung stärken
Durch das neue Intensivpflegegesetz soll, neben der Abschaffung der Fehlanreize, auch die Selbstbestimmung der Betroffenen gestärkt werden und die Intensivpflege verbessert werden. So sollen Betroffene bei der Unterbringung in stationären Einrichtungen weitgehend von Eigenanteilen befreit werden, damit eine Heimunterbringung nicht aus finanziellen Gründen scheitert und der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) soll einmal im Jahr überprüfen, ob die pflegerische und medizinische Versorgung sichergestellt ist. Genau hier sehen Laura Mench und andere Betroffene jedoch große Schwierigkeiten.
„Der medizinische Dienst der Krankenkassen wird die Krankenkassen vermutlich in ihrem wirtschaftlichen Interesse beraten“, kritisiert Mench. Fest steht: Für die Pflege Zuhause können durchaus bis zu 20.000 Euro im Monat abgerechnet werden, eine Unterbringung im Heim ist für die Krankenkassen deutlich günstiger. Stellt der MDK bei seiner jährlichen Kontrolle Mängel fest, wird eine Zielvereinbarung getroffen mit der diese Mängel behoben werden sollen. Wobei laut Intensivpflegegesetz den „berechtigten Wünschen der Versicherten zu entsprechen ist“.
Heimunterbringung – ein Leben hinter Betonmauern
„Und wer entscheidet, was berechtigt ist? Ist es berechtigt, dass ich drei Mal am Tag zur Toilette möchte?“, fragt die 23-Jährige. Denn, aus ihrer Sicht, fehlt genau das in dem Gesetz. Eine genaue Definition was „berechtigte Wünsche“ sind oder was passiert, wenn die Zielvereinbarung nicht eingehalten werden kann. Durch ihre Erfahrungen mit den Krankenkassen fürchtet Laura Mench vor allem eins: Ihre Mittel werden gestrichen. „Die Gefahr ins Heim gezwungen zu werden ist noch da, nur ist es jetzt etwas komplizierter“, findet Mench. Und da möchte sie auf keinen Fall wieder hin.
„Ich habe elf Jahre hinter Betonmauern gelebt“, erinnert sie sich. Als junge Frau, die mitten im Leben steht, ihre Zeit gerne in der Natur verbringt und seit Kurzem auch Hundemama ist, ist der Alltag im Heim mit ihren Bedürfnissen unvereinbar. „Alleine kann ich nicht raus, und im Heim gibt es nicht genug Personal, das mich begleiten könnte“, erzählt Mench. Durch ihre Hündin Tininha kommt noch eine Sorge mehr hinzu: Ein Heimplatz mit Haustier wird fast unmöglich zu finden sein.
Abwarten und Reagieren
Für ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben ist Laura Mench auch während der Corona-Pandemie auf die Straße gegangen. Am 30. Juni versammelten sich die Demonstranten vor dem Brandenburger Tor. Mit der Protestaktion „Verhüllung gegen drohende Unsichtbarkeit“ wollten sie noch einmal auf die Ungerechtigkeit aufmerksam machen.
Im Internet und in den Sozialen Medien bedeckten Menschen ihren Körper und ihr Gesicht mit Decken und Tüchern. Das Ergebnis war eine Fotosammlung, die am Brandenburger Tor ausgestellt wurde. Selbst zu kommen, wäre für viele Betroffenen zu gefährlich gewesen. „Wir gehören zur Hoch-Risikogruppe“, betont Mench. Deshalb habe sie lange mit sich gerungen, überhaupt protestieren zu gehen.
Jetzt heißt es erst einmal abwarten für Laura Mench. Abwarten nach welchen Kriterien der Medizinische Dienst der Krankenkassen prüft. Auf ihr Recht, ihr selbstbestimmtes Leben in ihrer Berliner Wohnung, will sie auf keinen Fall verzichten: „Ich habe auch keine Scheu davor, vor Gericht zu gehen und mein Grundrecht einzuklagen“, erzählt sie. Für sie steht fest, vieles hätte besser laufen können, wären die Betroffenen besser mit einbezogen worden.
Betragsbild: Change.org; Porträtfoto: Pierre Steinhauer