Corona-Impfstoff: Kein Patent – (k)ein Problem?

Impfen, impfen, impfen: Das ist das Mantra, das die Welt aus der Corona-Pandemie führen soll. „Wir alle wissen, dass Impfstoffe die entscheidende Sache sind, um diese Pandemie zu überwinden“, sagte Dr. Rolf Hömke vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) in einem Podcast der Frankfurter Allgemeinen (FAZ). Voraussetzung hierfür sind aber ausreichende Impfstoffmengen, die gerecht verteilt werden müssen.

Indien und Südafrika fordern daher schon seit einigen Monaten, die zeitweise Aussetzung von Patenten der Pharmafirmen, um mehr Impfstoffe erhalten zu können. Bisher konnten sich die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) nicht darauf verständigen. Jetzt aber sprechen sich auch die USA dafür aus. “Ich begrüße ihre Bereitschaft sehr, sich mit den Verfechtern eines Patentverzichts zusammenzusetzen”, sagte WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala dazu.

Für eine Aussetzung setzt sich unter anderem die Hilfsorganisation “Ärzte ohne Grenzen” ein: “Es darf auf keinen Fall dazu kommen, dass durch geistige Eigentumsrechte Impfstoffe, Medikamente, Diagnostika, Schutzausrüstung und Beatmungsgeräte künstlich verknappt werden”, sagt Marco Alves von der Medikamentenkampagne von “Ärzte ohne Grenzen” in Deutschland.

Warum wird der Patentschutz nicht einfach zeitweise ausgesetzt?

Die Bundesregierung hingegen hält Patente für grundlegend wichtig: “Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben”, so eine Regierungssprecherin gegenüber der Süddeutschen Zeitung. In Deutschland machen sich unter anderem die Grünen für die Patentfreigabe stark. Die Linke stellte den Vorschlag am Donnerstag im Bundestag zur Abstimmung, dieser wurde aber abgelehnt.

Aber ist es den Versuch nicht schon wert, wenn so allein die Chance bestünde, nur ein einziges Menschenleben zu retten? Es gibt keine uneingeschränkt richtige oder falsche Antwort auf diese Frage. Nicht nur wirtschaftliche Fakten, auch ethische Aspekte spielen eine Rolle, erklärt Prof. Detlef Aufderheide, Wirtschaftsethiker von der Hochschule Bremen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betont, dass andere Faktoren wichtig sein: „Das Hauptthema ist nicht die Frage von Patenten.“ Es sei eher ein Frage von Produktionskapazitäten. „Gerade mRNA-Impfstoffe zu produzieren, ist nichts, was man mal eben per Lizenz dann irgendwo in irgendeiner Fabrik irgendwie machen kann.“

Kein Anreiz – keine Innovation

Aber mal angenommen: Die Produktion würde durch das Aussetzen des Patentschutzes tatsächlich schneller und es könnten kurzfristig gesehen mehr Menschen geimpft werden. Langfristig stünde hingegen in Frage, ob Pharmaentwickler*innen in Zukunft trotzdem mit gleichem Innovationsinteresse forschen würden, erklärt Wirtschaftsethiker Aufderheide.

Denn: Das Patent soll das geistige Eigentum der Entwickler*innen schützen und gleichzeitig einen Anreiz schaffen, weiter zu forschen. Gerade bei Pharmaerzeugnissen kostet die Entwicklung viel Geld. Schützte das Patent beispielsweise den Impfstoff nicht, wäre das Risiko für die Entwickler*innen, das anfangs investierte Geld nicht wieder einzunehmen, wesentlich höher. Sollte es in der Zukunft nochmals zu einer Pandemie kommen, könnte dieser sogenannte Innovationsanreiz wegfallen. Es bestünde also die Gefahr, dass die Entwicklung – beispielsweise eines Impfstoffes – wesentlich länger bräuchte.

Aufderheide sieht hierin letztlich ein ethisches Argument, das für den Erhalt des Patentschutzes spreche. Der reine Wettbewerb, der ohne Patentschutz entstünde, reiche aus ökonomischer wie auch aus ethischer Sicht – jedenfalls nach heutigem Wissensstand – letztlich nicht als Innovationsanreiz aus, so der Wirtschaftsethiker. Dafür seien die Forschungs- und Entwicklungskosten (F&E-Kosten) beim Vergleich von Chancen und Risiken der Forschenden zu hoch.

Zu sagen, dass während der Pandemie die wirtschaftlichen Interessen hinter der sozialen Frage zurücktreten sollte, sei außerdem zu kurz gedacht. Das setzte voraus, dass eine Sichtweise stärker zu gewichten ist. Es sei aus Aufderheides Sicht daher sinnvoller, beide Sichtweisen zu vereinen, als gegeneinander auszuspielen.

Aufderheide sieht eine mögliche Alternative: Wirtschaftlich stärkere Staaten könnten ihre Verhandlungsmacht einsetzen und gemeinsam Impfdosen für wirtschaftlich schwächere Länder kaufen. Die Impfstoffproduktion würde dabei zusätzlich angekurbelt. Die Kaufkraft werde gestärkt, sodass wiederum ein größerer Anreiz für Hersteller*innen entstünde, mehr Impfdosen herzustellen. “Eine Win-Win-Situation”, findet Aufderheide. Die Patentrechte blieben erhalten und die Impfstoffe würden trotzdem fairer verteilt.

Mit Vernunft und Verstand zu einer Lösung

Eine Patentaussetzung pauschal abzulehnen, sei aber auch nicht die richtige Lösung. Die Bereitschaft der EU-Kommission, offen für alle Vorschläge zu sein, hält Aufderheide hingegen für sinnvoll. Eine Sprecherin von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyens betonte am Freitag, dass auch die Kommission vor allem im Aufbau von Produktionskapazitäten die Lösung für die Impfstoffknappheit sieht. Mit dieser grundsätzlichen Offenheit sei es aber möglich, “zu reflektieren und mit Vernunft und Verstand abzuwägen”, so Wirtschaftsethiker Aufderheide. Zur Debatte stehen sollte nicht die Frage nach globaler Solidarität, sondern wie diese konkret ausgestaltet werden sollte.

Beitragsbild: Alexandra_Koch auf Pixabay 

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