Missbrauchsskandale, fehlende Aufklärung und veraltete Werte – die katholische Kirche hat keinen guten Ruf in der Gesellschaft. Die Anzahl der Kirchenaustritte steigt. Denn viele, vor allem junge, Menschen fragen sich: „Wieso sollte ich dafür auch noch Geld zahlen?“
Steuern zahlen für eine Institution, deren Werte und Handeln man nicht einmal befürwortet? Student Kai macht da nicht länger mit. Der 28-Jährige ist Anfang April aus der Kirche ausgetreten. Den Gedanken dazu hat er schon gut vier Jahre mit sich herumgetragen. Meistens habe er aber vergessen, den Kirchenaustritt tatsächlich anzugehen. Innerhalb der letzten Jahre sind viele seiner Freund*innen ausgetreten. „Bei mir wurde dann der Wunsch mit jeder Nachricht, die ich über die katholische Kirche mitbekommen habe, immer ein Stück größer“, schildert Kai. „Das war kein einzelnes Ereignis, sondern eine Ansammlung von Homophobie, Frauenfeindlichkeit und Verbrechen gegen Kinder. Das hat mir den wirklichen Anstoß gegeben.“
„Ich habe mich meinem Glauben gar nicht mehr zugehörig gefühlt.“
Dieselben Gründe haben Antonia dazu gebracht, über einen Kirchenaustritt nachzudenken. Im Gegensatz zu Kai ist sie gläubig: „Aber ich habe alles so krass hinterfragt und mich meinem Glauben gar nicht mehr zugehörig gefühlt.“ Nach einem einschneidenden Ereignis konnte sie aus ihrem Glauben allerdings viel Kraft ziehen. Dadurch hat sich ihre Einstellung gegenüber der Religion wieder geändert.
Die 19-Jährige studiert im zweiten Semester katholische Theologie an der TU Dortmund. Wegen ihrer Studienwahl bekomme sie einige vorurteilsgeladene Kommentare zu hören, wie ‚Also gehst du jeden Sonntag in die Kirche?‘. Dabei bedeutet ein Theologie-Studium nicht, dass man streng religiös ist. „Theologie ist eine Wissenschaft“, stellt Antonia klar. Viele ihrer Kommiliton*innen sind gar nicht katholisch, sondern beispielsweise muslimisch oder evangelisch. Sie alle beschäftigen sich mit den Hintergründen und der Geschichte sowie mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden verschiedener Religionen. Durch die intensive Auseinandersetzung werden Antonia die Missstände in der katholischen Kirche immer deutlicher bewusst.
Vertuschung statt Aufarbeitung
Zu solchen Missständen gehört beispielsweise der Skandal um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Der hatte einen Pfarrer befördert, der zuvor Sex mit einem Minderjährigen zugegeben hatte. Das bestätigt sogar ein Missbrauchs-Gutachten, das von dem Erzbistum Köln 2018 selbst in Auftrag gegeben wurde. Dieses Gutachten sollte 2020 in einer öffentlichen Pressekonferenz vorgestellt werden – dazu kam es aber nicht. Angeblich weise das Gutachten Mängel auf, so Kardinal Woelki. Eine anschließende Aufarbeitung oder Aufklärung gab es nicht, dafür jedoch der Vorwurf von Vertuschung an den Kölner Kardinal.
#erzbistumKoeln : Ein Jahr lang hatte Kardinal #Woelki ein #gutachten zum Umgang mit #Missbrauch in der katholischen #Kirche zunächst zurückgehalten. https://t.co/CE22OI0ys2
— stern (@sternde) March 18, 2021
Viele hofften nach dem Aufklärungs- und Missbrauchsskandal, dass Woelki zumindest seinen Rücktritt verkünden würde. Kardinal Woelki lehnt diesen Schritt ab: „Die moralische Verantwortung einfach mitnehmen und gehen zum Schutz des Ansehens von Bischofsamt und Kirche – das ist mir zu einfach. Und in meinen Augen ist es auch falsch.“
Das sehen die Gläubigen allerdings anders. Woelkis Verhalten führte dazu, dass das Amtsgericht Köln allein von Januar bis Mai dieses Jahres 6250 Austrittstermine vergeben hatte. Zum Vergleich: 6690 Menschen waren im gesamten Jahr 2020 dort ausgetreten. Generell steigt die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland an.
Neben solchen Skandalen ist die Kirchensteuer ein weiterer Grund für die vielen Kirchenaustritte. Mit jeder Lohnabrechnung wurde Kai vor seinem Austritt daran erinnert, dass er monatlich mit 30 Euro eine Institution unterstützt, deren Werte er kein bisschen teilt. „Würde ich die Kirche gut finden, würde es mir gar nichts ausmachen, das Geld zu zahlen“, meint Kai. „Aber das soll nicht an einen Verein gehen, der, meiner Meinung nach, den Großteil in seinen Bürokratieapparat steckt und die andere Hälfte ins Vertuschen von Verbrechen.“ Sein eingespartes Geld spendet er stattdessen Organisationen, die eher seinen Auffassungen entsprechen, beispielsweise Umweltschutzorganisationen.
„Das war reines Verwandtschaftsappeasing.“
Kai steht hinter seiner Entscheidung, wirklich gläubig war er eh nie. Einen Gottesdienst hat er höchstens an Weihnachten besucht – und das auch nur, wenn er bei seiner Familie in der Heimat war. „Das war reines Verwandtschaftsappeasing“, stellt er lachend fest. Seine Familie sei zwar auch nicht sehr religiös. Trotzdem hält Kai es noch für klüger, besonders seinen Großeltern nichts von seinem Kirchenaustritt zu erzählen: „Das ist jetzt nicht wirklich Angst. Vielmehr weiß ich, dass ich damit nicht unbedingt Pluspunkte sammeln würde.“ Weder die Kirche selbst noch das Konzept Religion leuchten Kai ein.
Kirche wird sich nicht ändern
Antonia betont die Trennung von Glaube und der Institution Kirche, denn das sei „ein riesengroßer Unterschied“. Sie selber fühlt sich dem Glauben zugewandt, nicht der Kirche. „Vor allem, was die Stellung der Frauen und auch das Thema Homosexualität in der katholischen Kirche angeht, da kann ich mich null mit identifizieren.“ Sie findet die Werte der Kirche veraltet: „Die Gesellschaft und die Kirche sind da echt zwei gegensätzliche Pole.“
Die Frage, ob man die Kirche komplett an die Gesellschaft anpassen sollte, lässt sich für sie trotzdem nicht eindeutig beantworten. Immerhin machen gewisse Werte die Kirche aus: „Ich bin nicht sicher, ob es die Lösung ist, die Kirche grundlegend zu verändern.“ Es seien zu viele verschiedene Probleme, an denen man ansetzen müsste. Eins davon sei, dass Frauen noch immer keine Predigten halten dürfen – grundlos, wie Antonia findet: „Wieso sollten Frauen das nicht können?“ Die Kirche sollte also toleranter und offener werden. „Aber das wird nicht passieren“, glaubt die Theologie-Studentin. „Die Kirche als Institution ist ja nicht mal bereit, diese Wandlung anzugehen.“
Teaser- und Beitragsbild: Pixabay