Die Klimakrise verändert die Landwirtschaft. In Zukunft muss es neue Ideen und Konzepte geben, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren. An der Hochschule in Bochum erforschen Studierende dafür den Anbau auf dem Dach. Das verkürzt nicht nur Transportwege, sondern hat auch positive Effekte auf das Stadtklima.
Inmitten von Plattenbauten steht die Hochschule Bochum. Der Aufzug im C-Gebäude fährt bis ganz nach oben auf die Dachterrasse. Von dort ist die Aussicht über Bochum das Gegenteil von hässlich und grau und auch auf dem Dach ist es grün: Hier stehen die rechteckigen Beete der Rooftop-Farm der Hochschule, in denen verschiedene Tomatenpflanzen, Chilis, Auberginen, Erdbeeren, Möhren und weitere Pflanzen wachsen. Moritz Fendler und Lea Klenke studieren im Bachelor Nachhaltige Entwicklung und sind Teil des Projekts „OnTop“, das urbane Landwirtschaft auf dem Dach verwirklicht. „Zwei Beete sind noch aus dem letzten Jahr. In diesem Semester sollen drei weitere entstehen“, erklärt Moritz.
Vier Studierende der Nachhaltigen Entwicklung legten im Jahr 2019 den Grundstein für das Projekt. Sie belegten das Seminar Nachhaltigkeitswissenschaft, in dem sie das Konzept ihrer Rooftop-Farm entwarfen. Die Studierenden bauten Nutzpflanzen in verschiedenen selbst entwickelten Pflanzboxen an. Mit dem Ende des Seminars endete aber nicht das Projekt. Die Studierenden führten es selbstständig weiter. „Aus eigener studentischer Initiative ist ein echt großes Projekt entstanden“, sagt Moritz.
Breitgefächerte Kompetenzen
Derzeit sind etwa 20 Personen an dem Projekt beteiligt. Das sind heute nicht mehr nur die angehenden Bachelor- und Masterabsolvent*innen der Nachhaltigen Entwicklung, sondern auch Informatiker*innen. Diese unterstützen das Team in dem Ziel, eine autarke, also vollautomatische, Anlage zu erschaffen.
Seit dem vergangenen Jahr gibt eine Solaranlage auf dem Dach der Hochschule. Eine Autobatterie treibt eine Pumpe an, die die Anlage bald automatisch bewässern soll. Dafür sei aus dem Team Technik der Zweig Informatik abgespalten worden, sagt Moritz: „Unsere Informatik-Studierenden programmieren Sensoren, mit denen zum Beispiel Bodenfeuchtigkeit oder Wasserstand gemessen werden können.“ Ziel sei es, das Wasser aus den großen Tonnen automatisch in die kleinen Behälter an den Beeten zu führen, mit denen dann die Pflanzen bewässert werden. Moritz ist selbst Teil des Teams Technik. „Wir planen die Beete und bauen sie auf“, sagt er. Außerdem kümmere sich die Gruppe um Bestellungen und stelle die Anschaffungsanträge. „Im Grunde ist unser Team verantwortlich für die ganze Infrastruktur hier auf dem Dach“, erklärt er.
Teamwork auf dem Rooftop
Neben dem Team Technik gibt es noch zwei weitere Gruppen. Team Ökologie kümmert sich um die Aufzucht und Auswahl der Pflanzen. Manche Pflanzen wachsen in An- oder Abwesenheit anderer Pflanzen besser. „Momentan arbeitet das Team einen Plan aus, wann welches Gemüse angebaut werden soll.“ sagt Lea. Aktuell stellten sie zudem selbst Dünger aus Brennnessel-Jauche her. Das Team verfolge das Pflanzenwachstum und konzentriere sich auf die Entwicklung der Pflanzen.
Zuletzt gibt es noch das Team Außenauftritt und strategisches Management, zu dem auch Lea gehört. „Wir gestalten die Website und betreuen die Social-Media-Kanäle“, erklärt sie. Ziel sei, das Projekt langfristig zu sichern und durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit bekannter zu machen.
Auf dem Dach forschen die Studierenden an und mit verschiedenen Beetkonzepten. Es gibt einmal das klassische Erdbeet mit Pflanzenerde und Torf. Ein Wasserbehälter speist die beiden Tröpfchenbewässerungssysteme, die jeweils mit einer kleinen Solaranlage betrieben werden. „Hier kann man einstellen, dass alle zwölf Stunden für eine bis zwölf Minuten tröpfchenweise bewässert wird“, erklärt Moritz. Dieser Schritt funktioniere schon ganz automatisch. Einzig der kleine Wasserbehälter müsse händisch befüllt werden, weil es dort noch keine Verbindung zu den großen Tanks gebe.
Optimale Bedingungen erforschen
Der sogenannte Dutch Bucket beinhaltet keine Pflanzenerde. Als Substrat dient stattdessen Blähton, ein Naturmaterial aus Ton. „Das gibt den Pflanzen extra Halt“, sagt Moritz. Auch hier zirkuliere das Wasser durch eine solarbetriebenen Pumpe. Die Nährstoffe würden dem Wasser beigemischt.
Daneben gibt es noch zwei Erdbeete. Das Team plant, der Pflanzenerde verschiedene Mischsubstrate wie Kokosfasern und Pflanzenkohle beizugeben. „Beide sollen vielversprechend hinsichtlich der Speicherung von Nährstoffen und Wasser sein“, erläutert Moritz. Dadurch, dass das Wasser langsamer abgegeben werde, müsse auch nicht so viel gegossen werden. Die Studierenden stellen drei Boxen mit unterschiedlichen Mischsubstraten sowohl oben auf dem Dach als auch im Hochschulgarten auf, um die Bedingungen zu vergleichen. „Unsere Arbeit hier soll ja auch einen Mehrwert generieren und muss ein bisschen wissenschaftlich sein“, sagt Lea.
Bald will das Team eine Kamera auf dem Dach installieren, die durchgehend laufen soll. „Die Kamera dient vor allem dazu, dass wir das Pflanzenwachstum besser dokumentieren können“, sagt Lea. Das übergeordnete Ziel sei, dass die Rooftop Farm automatisiert läuft, damit die Pflanzen durchgehend gut bewässert werden können, auch während der Semesterferien.
Das Ruhrgebiet grüner machen
Forschende des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie haben untersucht, wie das Ruhrgebiet zur „grünsten Industrieregion der Welt“ werden kann. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die Region schon auf einem guten Weg ist. Wichtige Indikatoren dafür seien unter anderem der Konsum nachhaltig erzeugter Nahrungsmitteln und grüne Stadtflächen, also auch Rooftop-Farms. Dach- und Fassadenbegrünung trügen entscheidend dazu bei, das Stadtklima zu kühlen, die Luft zu reinigen und die Biodiversität zu fördern.
Laut dem Regionalverband Ruhr (RVR) ließen sich im Ruhrgebiet insgesamt 118,5 Quadratkilometer Dachfläche gut begrünen. Dadurch könnten insgesamt rund 89 000 Tonnen CO2 pro Jahr gespeichert werden. Das entspricht in etwa der Menge an CO2-Emissionen, die 11 265 Personen 2019 im Schnitt zusammen in Deutschland verbraucht haben. Außerdem würden dadurch 1160 Tonnen Feinstaub gebunden und 41 Millionen Kubikmeter Regenwasser zwischengespeichert.
Gründächer für ein besseres Stadtklima
Thorsten Stock arbeitet beim RVR im Referat Klima und Umweltschutz im Team Klimaanpassung. Rooftop-Farms würden in Zukunft einen wichtigen Bestandteil in der Städteplanung einnehmen, sagt er: „Stadtzentren sind einerseits klimatisch sehr stark belastet, zum Beispiel durch Hitze oder Luftschadstoffe und unterliegen außerdem oftmals einem starken Konkurrenzdruck im Hinblick auf die Nutzung, weshalb nicht ohne Weiteres Flächen entsiegelt oder Parks angelegt werden können.“ Gründächer würden diese Belastungen mindern und sich positiv auf den Wasserhaushalt auswirken. Bepflanzte Dächer seien außerdem noch dann eine Option, wenn Bereiche schon dicht bebaut sind.
Lebensmittel auf dem Dach anzubauen, sei aber auch mit viel Arbeit verbunden und erfordere hohe Investitionskosten, sagt Stock: „Ich denke, dass die Vorteile deutlich überwiegen, aber es entstehen natürlich Anschaffungskosten. Insbesondere intensive Dachbegrünungen benötigen außerdem ein gewisses Maß an Pflege.“
Auf Dauer könne diese Art der urbanen Landwirtschaft die klassische Form nicht ersetzen, habe aber viele Vorteile, findet Studentin Lea: „Dachfläche, die sonst leer steht, kann so sinnvoll genutzt werden.“ Außerdem seien die Dächer insektenfreundlich. Eine Rooftop-Farm schaffe neue Lebensräume, die es sonst in der Stadt nicht gebe. Ein weiterer Vorteil seien die kurzen Transportwege der Lebensmittel und die Nähe zur Natur: „Ich find‘s auch einfach cool, dass Menschen so wieder einen viel stärkeren Bezug zu Lebensmitteln bekommen und auch selber anbauen. Das finde ich total wichtig.“ Bisher seien die Erträge allerdings noch nicht so hoch, deshalb würden die geernteten Lebensmittel unter den Projektteilnehmer*innen aufgeteilt, sagt Lea. Für Moritz ist die Arbeit draußen außerdem ein guter Ausgleich zum Unialltag. „Ich habe zuvor auch schon im Hochschulgarten, der BOase mitgemacht und ich finde es einfach schön, draußen was zu machen und mit den Händen direkt zu sehen, wie man etwas Gutes erschafft“, erläutert er.
Nicht alles läuft rund
Schwierigkeiten gibt es aber auch. „Wir haben ein paar Restriktion wegen der Gebäudesicherheit und dem Aufbau. Richtig lange aufhalten dürfen wir uns hier eigentlich auch nicht, wegen der Fluchtwegsituation. Wir hätten gerne mehr hieraus gemacht, vielleicht ein Treffpunkt mit gemütlicher Sitzecke“, gibt Moritz zu.
Auch die Corona-Zwangspause war für das Team nicht leicht. „Während des Lockdowns waren wir selten auf dem Dach“, sagt Lea. Im Winter sei die Kommunikation online gelaufen. Momentan dürfen die Projektteilnehmer*innen in Fünfergruppen herkommen. „Ist schon schade für das Projekt. Wir wären bestimmt schon viel weiter, wenn Corona nicht dazwischengekommen wäre“, sagt Lea.
Beitragsbild: Saskia Rudnik