Bei ihren Plänen für die Deutsche Bahn ist die Ampelregierung ähnlich unambitioniert wie ihre Vorgänger. Auch die Ampel scheint bei der Vekehrswende vor allem auf E-Autos zu setzen, aber das reicht nicht. Wenn sie es mit dem Klimaschutz ernst meint, müssen der ÖPNV und der öffentliche Fernverkehr attraktiver und günstiger werden. Ein Kommentar
Noch halb verschlafen stehen die Fahrgäste am Bahnsteig, da kommt die Durchsage aus den Lautsprechern: „Die S1 Richtung Solingen fällt aus. Grund sind technische Probleme am Zug. Wir bitten um Entschuldigung.” Der Bitte nach Entschuldigung nachzukommen, fällt aber schwer.
Die Probleme der Bahn sind nichts Neues. Wer regelmäßig Zug fährt, hat sich schon an Verspätungen, Ausfälle und völlig überfüllte Wagons zu den Stoßzeiten gewöhnt. Einige der frustrierten Bahnnutzer*innen dürften nach der Bundestagswahl auf Besserung gehofft haben. Schließlich ist die Union, die 16 Jahre Verbesserungen bei der Bahn verschlafen hat, nicht mehr an der Macht. Und tatsächlich wirkt der Teil über die Bahn im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf den ersten Blick als gäbe es große Veränderungen – doch der Schein trügt.
Die aktuellen Pläne lesen sich nämlich, als hätte die Ampel von der GroKo abgeschrieben: Die Verkehrsleistung bis 2030 verdoppeln, mehr Schienennetze elektrifizieren, besserer Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) im ländlichen Raum. Alles Ziele, die sich schon die GroKo 2018 setzte. Mit diesen Plänen ging es in deren Regierungszeit aber nur schleppend voran: In den ersten beiden Jahren der GroKo erhöhte sich die Verkehrsleistung der Bahn laut eigenen Zahlen minimal. Danach kam der coronabedingte Einbruch. Würde es im gleichen Tempo wie vor der Pandemie weitergehen, wäre das Ziel, die Verkehrsleistung der Bahn zu verdoppeln, in etwa 38 Jahren erreicht. Das wäre 2060.
In ihrem Koalitionsvertrag hat die GroKo 2017 verkündet, sie wolle 70 Prozent aller Schienennetze elektrifizieren. Auch hier ist bislang wenig passiert. 61 Prozent sind es aktuell laut Bundesverkehrsministerium. Nur: 2016, waren es bereits 60 Prozent. Dass die Ziele der neuen Regierung sich jetzt ähnlich anhören, macht nicht gerade optimistisch, dass bei Bahn und ÖPNV in Deutschland der große Durchbruch kommt.
Von der Deutschen Bahn war kaum noch die Rede
Grüne und FDP hatten in den Koalitionsverhandlungen eine Zerschlagung des Deutsche Bahn-Konzerns gefordert. Davon erhofften sie sich größeren Wettbewerb auf der Schiene und damit langfristig mehr Bahnverkehr.
Der Vorsitzende der @Monopolkom Jürgen Kühling fordert die Ampel-Koalition auf, mehr Mut bei der Schaffung von Wettbewerb in den regulierten Bereichen Bahn, Telekommunikation und Post zu haben https://t.co/3DzInQLl5q
— Monopolkommission (@Monopolkom) November 5, 2021
Die SPD hat das abgelehnt. Danach war von der Bahn bei den Verhandler*innen kaum noch die Rede. Zugegeben: Ob eine Zerschlagung sinnvoll ist, ist unter Expert*innen umstritten. Das “einfach-weiter-so” der Ampel, das sich jetzt abzeichnet, ist aber keine Alternative.
Dabei wäre es so wichtig, dass die Politik Bahn und ÖPNV mehr Aufmerksamkeit schenkt. Die Gründe sind längst bekannt: Die Bahn ist deutlich sicherer als das Auto. Laut statistischem Bundesamt ist das Risiko, bei einem Autounfall zu sterben, 59-mal so hoch wie bei einer Zugfahrt. Der andere Grund ist der Klimaschutz. Laut Bundesumweltministerium sind die Emissionen in keinem Bereich der deutschen Wirtschaft seit 1990 so wenig gesunken wie im Verkehr.
ÖPNV und Bahn statt E-Autos
Viele Politiker*innen setzen auf Autos mit Elektro- statt Verbrennungsmotoren, um dieses Problem zu lösen. Das gilt gerade für die FDP, die in der Ampel mit Volker Wissing den Verkehrsminister stellen wird. Sie sollten bei der „Verkehrswende“ allerdings lieber auf die Bahn umsteigen. Elektroautos haben bislang vor allem wegen des Ressourcenverbrauchs bei der Herstellung keine sonderlich gute Klimabilanz. Diese ist zwar besser als bei Verbrennern, laut Bundesumweltministerium liegt sie aber über den gesamten Nutzungszeitraum immer noch bei 162 Gramm CO2 pro Kilometer. Bei der Bahn sind es laut Umweltbundesamt gerade einmal 58 Gramm pro Fahrgast und Kilometer.
An die Menschen zu appellieren, sie sollen doch bitte aufs Auto verzichten und mehr Bahn fahren, reicht nicht. Die Erfahrung zeigt aber, dass Autofahrer*innen bei besseren Angeboten freiwillig auf die Bahn umsteigen. Ende 2017 führte die DB eine Hochgeschwindigkeitsverbindung auf der Strecke zwischen Berlin und München ein. Seither brauchen Fahrgäste für diese Strecke nur noch viereinhalb statt sechs Stunden. Im darauffolgenden Jahr hatte sich die Zahl der Fahrgäste laut Bahn zwischen den beiden Städten verdoppelt.
Der ÖPNV muss günstiger werden
Auch die Preise im Nah- und Fernverkehr müssen sinken, um mehr Fahrgäste zu gewinnen. Das zeigt zum Beispiel Wien. In der österreichischen Hauptstadt kostet ein Ticket für den ÖPNV nur 365 Euro im Jahr. Die Zahl der Fahrgäste ist dort mehr als doppelt so hoch wie in der deutlich größeren deutschen Hauptstadt Berlin, in der die Preise deutlich höher sind.
Wenn die neue Regierung beim Klimaschutz so konsequent handeln will, wie es die Vertreter*innen der drei Parteien oft behaupten, muss sie beim öffentlichen Nah- und Fernverkehr etwas Grundlegendes ändern. Natürlich lässt sich die Arbeit der neuen Regierung nicht beurteilen, bevor sie angetreten ist. Bisher sieht es aber leider so aus, als sehe sie Bahn und ÖPNV nur als Nebensache.
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