Solidarisch, praktisch, gut? – Alternative Wirtschaft für alle

Wirtschaft bestimmt unseren Alltag. Auf die Frage, wie wir sie in Zukunft gestalten wollen und können, gibt es viele Antworten – auch abseits der klassischen Volkswirtschaftslehre. Eine davon ist das Konzept der solidarischen Ökonomie.

Ein schmaler Pfad führt vom asphaltierten Fußgängerweg auf die Felder der Kümperheide. Am Rand der sonnenbeschienenen Ackerflächen stehen drei große Tunnel-Gewächshäuser. Davor parken ein VW Bus und jede Menge Fahrräder. Auf einer kleinen Freifläche stehen zwei Schubkarren, randvoll beladen mit Porree. Zwei Studierende und ein älteres Ehepaar sortieren mit flinken Handgriffen die Stangen und verstauen sie in großen roten Kisten. Auf dem Feld ist ein zweites Team damit beschäftigt für Nachschub zu sorgen. Es ist Freitag – Erntetag bei der SoLaWi, der solidarischen Landwirtschaft Dortmund.

Anbauen – Aber anders

Um zu erkennen, dass hier eine unkonventionelle Form der Landwirtschaft betrieben wird, ist kein Hintergrundwissen nötig. Auf den Feldern der Kümperheide gibt es keine klassische Monokultur. Porree wächst in direkter Nachbarschaft zu Grünkohl, Wirsing und Mangold. Saisonal bauen die Mitglieder der SoLaWi verschiedenste Gemüse und Obstsorten an und ernten diese rund ums Jahr. Die Gemeinschaft besteht aus Studierenden, Rentner*innen, Berufstätigen und Familien. Vorerfahrung aus der Landwirtschaft bringt hier kaum jemand mit. Zu den engagierten Erntehelfer*innen gehört auch Angela. Sie ist schon seit den Anfängen der Initiative dabei und war Teil der Gruppe, die sich vor knapp acht Jahren auf die Suche nach einer geeigneten Ackerfläche gemacht hat. Mit Elmar Schulte-Tigges fand sich schließlich ein Landwirt, der sich auf das Projekt einließ. „Es gab dann erstmal eine Testphase, um zu sehen, ob die Idee funktioniert“, erzählt Angela, „Das hat alles gut geklappt, so dass wir anschließend eine längerfristige Abmachung mit Elmar getroffen haben.“ Der junge Landwirt arbeitet eng mit der SoLaWi zusammen. Sie organisieren miteinander den Anbau, die Ernte und die Arbeitsaufteilung.

Auf den Feldern der SoLaWi Dortmund gibt es rund ums Jahr viel zu tun. Foto: Elmar Schulte-Tigges.

Inzwischen ist die Solidarische Landwirtschaft Dortmund ein eingetragener Verein, bewirtschaftet knapp zwei Hektar Fläche und versorgt mit den Erträgen jährlich bis zu 240 Haushalte im gesamten Stadtgebiet. Die Ausgabe läuft über räumlich verteilte Abholgruppen. Auch Angela ist für eine Gruppe zuständig. Einmal die Woche transportiert sie Gemüsekisten von der Kümperheide zu einem Verteilerpunkt nahe ihrer Wohnung. „Alle Mitglieder, die dort im Umkreis leben, kommen dann vorbei und holen sich ihren Anteil für die Woche ab“, erklärt sie.

Das Konzept basiert auf dem Prinzip der Solidarität. Konkret bedeutet das: Manche Mitglieder zahlen mehr als die empfohlenen 81 Euro, die als Gesamtkosten für einen Jahresanteil anfallen. So können auch andere Personen mit einem geringeren Beitrag dabei sein. Die Gesamtkosten für das Jahr werden über die Beiträge der Beteiligten vorgestreckt, wodurch Ernteerfolge und -risiken von allen in gleichem Maße getragen werden. Aktives Engagement und Mitarbeit sind freiwillig, aber jederzeit möglich. Angela kommt mindestens einmal die Woche zur Kümperheide. Bei Bedarf gerne auch öfter. „Für mich ist die Gemeinschaft hier sehr wichtig. Es sind so viele unterschiedliche Menschen mit denen man sonst vielleicht gar nichts zu tun hätte. Hier verbringen wir viel Zeit miteinander und feiern mehrmals im Jahr gemeinsame Feste.“

Wirtschaft auf dem Spektrum

Peter Utting, ehemals stellvertretender Leiter des Forschungsinstitut für soziale Entwicklung der Vereinten Nationen, veröffentlichte 2015 sein Buch „Social and Solidarity Economy: Beyond the Fringe“. Darin beschreibt er, wie alternative Wirtschaftsformen besonders häufig in Krisenzeiten entstehen oder neuen Aufschwung bekommen. Zu diesen Konzepten zählt auch die solidarische Ökonomie. Unter den Begriff fallen neben gemeinschaftlichen Landwirtschaftsprojekten wie der SoLaWi Dortmund noch eine Vielzahl weiterer Ansätze und Initiativen.

Eine präzise Kategorisierung der alternativen Wirtschaftsformen ist nicht einfach und laut Susanne Elsen auch nicht zielführend. Sie ist Professorin für angewandte Sozialwissenschaft an der Freien Universität Bozen. Elsen forscht seit Jahren zum Thema gemeinwesensbasierter Arbeitsmarktpolitik und ökosozialer Transformation. Sie vertritt eine recht breite Definition von solidarischer Ökonomie: „Ich lehne mich an Definitionen an, die dieses gesamte, sehr breite Spektrum als „andere Ökonomien“ bezeichnen. Anders deshalb, weil hier nicht das primäre Ziel ist, Kapital zu akkumulieren.“

In solidarischen Ökonomien diene Wirtschaften, laut Susanne Elsen, als Instrument, ohne Fokus auf immer weitere Gewinnsteigerung.  Das Ziel sei, die Lösung konkreter sozialer, ökologischer oder kultureller Probleme. Die Organisationsform spiele dabei keine ausschlaggebende Rolle. Eingetragene Vereine zählen genauso dazu wie privat organisierte Gruppen oder genossenschaftliche Verbände. Solidarische Ökonomien beruhen grundsätzlich auf dem gemeinsamen Agieren von Interessengruppen. Beteiligte sollen ein Mitspracherecht haben und aktiv teilhaben. Beispiele für solidarökonomische Projekte sind vielfältig. Susanne Elsen zählt dazu sowohl urbane Landwirtschaftsprojekte und Repair-Initiativen als auch Ansätze geldloser und Tausch-Gemeinschaften.

Ein Geben und Nehmen

Der Himmel über dem Dortmunder Nordmarkt ist wolkenverhangen. Am Ende der Straße flackert das Neon-Schild einer Supermarkt-Filiale. Die Häuserfassaden reihen sich grau in grau aneinander. Aus einem verglasten Schaufenster fällt warmes Licht auf den regennassen Gehweg. Die erleuchtete Scheibe ist geziert von einer handgemalten Aufschrift: „FRIDAs Umsonstladen“. Hinter dem Schaufenster verbirgt sich ein kleines Geschäft. Entlang der rustikalen Backsteinwände stehen Regale voller Bücher und Spielzeug neben vollbehangenen Kleiderständern. Im vorderen Teil des Ladens sitzt Sascha entspannt auf einer dunkelblauen Ledercouch, vor sich einen Laptop und eine Tasse Kaffee. Kundschaft ist keine zu sehen. Es ist Montag – Abgabetag im Umsonstladen.

Das Schaufenster des kleinen Ladens am Nordmarkt. Foto: Laura Städtler.

Sascha ist Gründungsmitglied der Solidarökonomischen Initiative e.V., die 2013 aus der Occupy-Bewegung Dortmund hervor gegangen ist. Occupy organisierte ab 2011 zahlreiche Platzbesetzungen, um gegen die Macht der Großbanken und für mehr soziale Gleichheit zu demonstrieren. Die Solidarökonomische Initiative hat es sich anschließend zur Aufgabe gemacht, durch öffentliche Aktionen speziell auf das Konzept des solidarischen Wirtschaftens aufmerksam zu machen. Aus dieser Motivation entstand vor fast zehn Jahren erstmals der „Gib-und-Nimm-Tisch“ in der Innenstadt. Äußerlich leicht mit einem Flohmarkt-Stand zu verwechseln, gab es einen ganz entscheidenden Unterschied: Für die angebotenen Gegenstände mussten Interessierte nichts bezahlen. „Als wir damit angefangen haben, kannte das Prinzip kaum jemand“, erinnert sich Sascha. „Mittlerweile kennen viele Leute zumindest die öffentlichen Bücherschränke, die auf der gleichen Idee basieren.“ Der „Gib-und-Nimm-Tisch“ kam gut an und wurde als monatliche Aktion fortgesetzt. 2020 erhielt die Initiative eine städtische Förderung und mietete die Ladenfläche am Nordmarkt an.

Das Konzept ist nach wie vor das Gleiche: Kund*innen bringen, was nicht mehr gebraucht wird und können mitnehmen, was sie selbst haben möchten. Und zwar auch ohne zuvor etwas abgegeben zu haben. Es gibt keine Kontrolle, keine Preise. Die Idee basiert allein auf Vertrauen und dem Solidaritätsprinzip. Sascha ist zufrieden mit dem Projekt: „Die Umsetzung funktioniert mit dem Laden jetzt noch besser, weil das Angebot dauerhaft besteht. Vor allem Menschen aus der Nordstadt kommen auch spontan vorbei und gucken sich um.“ Leute, die etwas aussortiert haben und weitergeben möchten, nehmen manchmal auch einen weiteren Weg auf sich, weil sie das Konzept unterstützen möchten, erzählt Sascha.

Vom Wollen zum Brauchen

Nach Susanne Elsen richten solidarische Ökonomien den Fokus auf die aktive Mitsprache aller Beteiligten und stellen dadurch eine Verbindung zwischen Produzent*innen und Konsument*innen her. Solidarität bedeute aber auch, für zukünftige Generationen mitzudenken. Nachhaltiges und klimaverträgliches Wirtschaften bilde daher einen weiteren Grundpfeiler des Prinzips, erklärt Angela. Produktion und Konsum heute seien ausschlaggebend für den Zustand der Umwelt in der Zukunft. Ein wichtiges Stichwort in diesem Kontext ist die Bedürfnisorientierung. Heißt: Es soll nur so viel produziert werden, wie jedes Individuum zur Deckung seines Bedarfs benötigt. Auf diese Weise agiert auch die SoLaWi Dortmund.

Kleidung, Bücher, Spielsachen – Vielseitiges Angebot in FRIDAs Umsonstladen. Foto: Laura Städtler.

Umsonstläden sind selbst keine Erzeuger. Ihr Konzept basiert aber ebenfalls auf der Vision von Nachhaltigkeit und klimaschonendem Konsum. Susanne Elsen formuliert drei konkrete Ansatzpunkte der Umsonstläden: „Das ist erstens die Überproduktion – wir haben teilweise zu viel. Zweitens die Ungleichverteilung – es gibt trotzdem Menschen, die haben zu wenig. Und an dritter Stelle übermäßiger Konsum, der durch das Konzept kritisiert wird.“

Dr. Kristina Bayer sieht solidarische Ökonomien ebenfalls als einen Kontrastentwurf zur momentanen Ressourcenverschwendung. Sie ist studierte Sozialwissenschaftlerin und lehrt seit 2009 am Lehrstuhl für vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Kassel. Ihre Forschung beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit solidarischen und genossenschaftlichen Wirtschaftsformen und deren Verbreitung in Deutschland.

Nur durch Gemeinschaft zu schaffen

Bevor Interessierte das Konzept umsetzen, bedarf es einiger Grundvoraussetzungen. Damit ein Modell, dass auf Freiwilligkeit und Solidarität beruht, funktionieren kann, braucht es gute Kommunikation und ein Gefühl der Gruppenzugehörigkeit. So erlebt es auch Angela bei der Solidarischen Landwirtschaft: „Es müssen natürlich nicht immer alle aktiv mithelfen. Aber in Ausnahmefällen kann kurzfristig mehr Unterstützung nötig sein und dann ist es wichtig, dass sich genug Leute finden, die mit anpacken.“

Auch Kristina Bayer sieht die Bildung einer stabilen Projektgruppe als eine der größten Herausforderungen. Ihrer Erfahrung nach empfinden viele Menschen die Verbindlichkeit einer Gruppe und damit verbundene Verantwortung auch als Einschränkung. Die Hürde etwas gemeinsam zu schaffen und sich ständig mit anderen Personen und deren Bedürfnissen auseinander zu setzen, sei für Viele heutzutage eine große Anstrengung. „Das ist das Nadelöhr, durch das alle durchmüssen“, sagt Kristina Bayer, „mache ich etwas lieber allein oder mit anderen zusammen? Sich an einem dauerhaften Konzept wie beispielsweise einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt oder einer Car-Sharing Gruppe zu beteiligen, ist für viele schwierig. Ältere Leute haben ganz andere Bedürfnisse als zum Beispiel eine junge Familie.“ Für die Verbreitung solidarökonomischer Initiativen, sei deshalb auch die Schaffung niedrigschwelliger Angebote von großer Bedeutung.

Die Nachfrage nach sozial gerecht und nachhaltig produzierten Produkten in Deutschland nimmt seit Jahren zu. Die Zahl der Personen, die beim Einkaufen auf das Fairtrade Siegel achten, stieg laut einer Allensbach Umfrage von 2013 bis zum Pandemiebeginn 2020 stetig an. Die global agierende Organisation fördert besonders sozial gerechte Arbeitsmodelle und nachhaltige Produktion. Damit ist Fairtrade auch ein solidarökonomisches Projekt. Weltweit nehmen inzwischen immer mehr Menschen den Klimawandel als ernstzunehmende Bedrohung war. Im Jahresbericht der Lloyd’s Register Foundation von 2019 äußerten sich knapp 70 Prozent der Befragten dementsprechend. Kristina Bayer merkt an: „Hinzu kommt die Digitalisierung und das Wegbrechen ganzer Branchen. All diese Entwicklungen machen alternative Wirtschaftsansätze zukünftig zu einem unausweichlichen Thema.“

Beitragsbild: Elmar Schulte-Tigges / lernbauernhof-schultetigges.de

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