Die Ebbe nach der Flut – Was vom Regen übrig bleibt

Mehr als sechs Monate sind seit der Flutkatastrophe an Ahr und Erft vergangen. Auch jetzt sind Betroffene noch von der Nacht des 14. Juli gezeichnet. Vier dieser Menschen schauen inmitten des Wiederaufbaus zurück. 

„Das fand ich am schlimmsten: Zu wissen, meine Kollegen sind da unten und ich kann nichts machen.“

Laura Graf
Name: Laura Graf
Alter: 22
Wohnort: Bad Münstereifel
Beruf: Ausbildung zur Stadtsekretärin
Während der Flutkatastrophe mit der Freiwilligen Feuerwehr aus Bad Münstereifel im Einsatz

Zum ersten Mal alarmiert wurden wir am 14. Juli um 15.33 Uhr: Die Koordinierungsstelle (KOST) in Bad Münstereifel sollte besetzt werden. Das ist eine Art Büro in unserer Wache, von dem aus wir unsere Einsätze organisieren. Weil wir nicht bei der Berufsfeuerwehr sind, ist die KOST nicht immer besetzt. Ein paar Minuten später kam auch schon der erste Einsatz – ein Baum lag auf der Straße – und die Kollegen sind losgefahren. Von diesem Zeitpunkt an war ich eigentlich drei oder vier Tage lang durchgehend wach und habe gar nicht realisiert, was gerade passiert, sondern einfach funktioniert.

Laura im Einsatz mit der Feuerwehr Bad Münstereifel. (Foto: Laura Graf)

Zuerst haben wir uns in Bad Münstereifel auf die verschiedenen Autos verteilt. Ich sollte mit unserem großen Gerätewagen zu einem Bauhof fahren, Sandsäcke holen und sie verteilen. Also sind ein Kollege und ich mit den Sandsäcken in den Nachbarort Schönau und haben dort Haustüren verbarrikadiert. Als wir eine zweite Ladung geholt hatten und zurückkamen, ging alles ganz schnell. Zuerst stand das Wasser auf Höhe unserer Fußsohlen. Innerhalb von sechs oder sieben Minuten war es kniehoch. Da war für uns klar: Wir müssen hier weg. Ansonsten wären wir stecken geblieben. Also haben wir uns auf den Rückweg nach Bad Münstereifel gemacht. Auf dem Weg erreichte uns allerdings ein Anruf aus der Koordinierungsstelle: „Die KOST in Bad Münstereifel muss aufgegeben werden, fahrt nach Nöthen.“ Die Erft, ein Nebenfluss des Rheins, fließt direkt vor unserer Wache entlang. Wenn das Wasser kommt, hat man keine Möglichkeit, auszuweichen. Deswegen brauchten wir einen höheren Standort: Nöthen.

Ab dem Moment, als wir auf der neuen Wache waren, hing ich die ganze Nacht da fest. Wir hatten nur wenige kleine Einsätze wie Straßensperrungen, aber nach Bad Münstereifel kamen wir nicht mehr, weil die Straßen überschwemmt waren. Wir haben also nur über Funk mitbekommen, was dort für Einsätze reinkamen. Ich hatte mein Zeitgefühl komplett verloren. Es war total chaotisch. Niemand meiner Kollegen war bis dahin in so einer Situation. Viele waren überfordert. Bei den meisten Einsätzen ging es darum, zu versuchen, dass das Wasser keine Häuser oder Menschen mitreißt. Solche Alarmierungen waren richtig hart zu hören. Das war für mich auch am schlimmsten: zu wissen, meine Kollegen sind da unten und ich kann hier oben nichts machen.

So sah die Feuerwehrwache in Bad Münstereifel nach der Flut aus. (Foto: Laura Graf)

Jetzt nach der Flut haben wir alle eine ganz andere Verbindung zueinander. Vor allem zu den Kollegen, mit denen man in einem Auto saß. Manche haben die Situation allein durch ihre Anwesenheit schon ertragbarer gemacht. Als wir am dritten oder vierten Tag dann mal zur Ruhe kommen konnten, saß ich erst einmal mit einem Kollegen auf unseren Feldbetten in der Wache und habe geweint. Erst da habe ich so richtig realisiert, was passiert ist und für mich gelernt, wie ich mit solchen Extremsituationen umgehe. Dass ich mich nicht zurückziehe, sondern mit Menschen über meine Gefühle spreche.

Weil wir während der Nacht niemanden erreichen konnten, sind mir zum Beispiel Verabschiedungen jetzt viel wichtiger. Mein Vater und meine Schwester sind auch bei der Freiwilligen Feuerwehr. Ich habe beide die ganze Nacht nicht gesehen. Ich wusste nur, dass sie im Einsatz sind. Als die Straßen am nächsten Morgen, dem 15. Juli, wieder befahrbar waren und wir unsere Kollegen suchen gegangen sind, erinnere ich mich noch genau an den Moment, als ich die beiden gesehen habe. Wir sind aufeinander zugelaufen, haben uns in die Arme genommen und einfach losgeheult. Bis kein Tropfen mehr rauskam. Das werde ich nie vergessen. Dazu zählt auch, dass ich gelernt habe, dass es immer Leute gibt, die bei mir sind und mich unterstützen. So wie in der Feuerwehr. Wir sind jetzt wie eine kleine Familie. Und wenn die Flut ein bisschen – aber auch nur ein ganz bisschen – was Gutes bewirkt hat, dann das.

Chronologie der Flut
Am 14. Juli 2021 haben Wassermassen Gebiete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz überflutet. Es hatte bereits den ganzen Tag geregnet, gegen Nachmittag stieg der Wasserpegel von Ahr, Erft und weiteren Nebenflüssen rapide an. Das Dorf Schuld im Ahrtal war der erste Ort, den die Flutwelle traf. Mayschoss einer der letzten.
Bereits gegen 20.15 Uhr maß die Ahr einen Pegelstand von 5,75 Metern. Danach rissen die Fluten das Messgerät weg. Das Landesumweltamt in Mainz prognostizierte gegen 21 Uhr einen Pegelstand von sieben Metern. Üblich für die Ahr sind 70 Zentimeter.
Noch in der Nacht auf den 15. Juli brachen Häuser und Brücken ein. Auch Menschen wurden von den Wassermassen mitgerissen. Andere stiegen auf die Dächer ihrer Häuser, von denen sie erst am nächsten Tag per Helikopter gerettet wurden.
Am Morgen des 15. Juli hatte sich das Wasser in vielen Gebieten bereits wieder zurückgezogen. Der Regen war vorüber. Er hinterließ Schlamm, Schutt und 184 Tote.

„Die Option aufzuhören, gab es eigentlich nie. Es war sofort klar, dass es weitergeht.“

Katharina Pütz
Name: Katharina Pütz
Alter: 65
Wohnort: Billig bei Euskirchen
Beruf: Buchhändlerin
Ihre Buchhandlung „Die Leserei“ wurde durch die Wassermassen zerstört. Mittlerweile ist der Laden aufgebaut und hat seit dem 2. November wieder geöffnet.

Als wir am 15. Juli, dem Tag nach der Flutnacht, das erste Mal in den Laden kamen, war alles mit einer Schlammschicht bedeckt. Das Wasser war schon wieder abgeflossen. Wir konnten aber erkennen, dass das Wasser im Erdgeschoss gestanden haben muss. Durch Corona waren wir bereits seit Monaten finanziell ziemlich mitgenommen und hatten erst seit zwei Wochen das Gefühl, es geht wieder aufwärts.

Ich bin an dem Tag in der naiven Hoffnung nach Bad Münstereifel gefahren, dass in der Markstraße, einer kleinen Seitenstraße, und bei uns im Laden eigentlich nichts sein kann. Dann kamen wir mit dem Auto nur bis nach Iversheim, weil die Straßen nicht mehr befahrbar waren und sind die letzten drei Kilometer über Geröll und Schutt zu Fuß weiter. Bis dahin hatte ich gar nicht realisiert, was passiert war. Ich dachte: Tja, es ist eben ein bisschen Regen. Aber auf dem Weg nach Bad Münstereifel wurde das Gefühl in der Brust immer beklemmender und der Kloß im Hals dicker. Autos standen senkrecht, Bahngleise kreuz und quer. Als ich dann im Laden stand, war da kurz der Moment, in dem ich dachte: Das darf nicht wahr sein! Jetzt ist alles vorbei. Aber es kam genauso schnell der Gedanke, dass ich weitermachen möchte. Die Option aufzuhören, gab es eigentlich nie. Es war sofort klar, dass es weitergeht. Also haben wir direkt überlegt, was zu tun ist. Vielleicht hatten wir auch deswegen Glück, so schnell Handwerker zu bekommen. Weil wir uns früh entschieden hatten.

Katharina Pütz in der Leserei. (Foto: Katharina Pütz)

Die Wochen danach waren wir täglich im Laden, haben den Keller entrümpelt, sauber gemacht, den Hof hergerichtet und alle Regale rausgeräumt, weil neuer Boden rein musste. Wir haben viele Bücher retten können, die aus den unteren Regalen waren aber alle hinüber. Gleichzeitig habe ich versucht, das Geschäft von zu Hause aus aufrecht zu erhalten. Das war aufwendig und anstrengend. Aber die Anteilnahme und Hilfsbereitschaft waren unglaublich. Menschen haben aus Berlin und Frankfurt angerufen, um Bücher bei uns zu bestellen. Menschen, die uns gar nicht kannten und trotzdem helfen wollten. Auch die Buchbranche ist unglaublich: Verlagsvertreter haben sich sofort gemeldet und gefragt, wie sie helfen können. Weil ich keine Inventarversicherung hatte, wurde der Schaden nicht übernommen, aber ein Sozialwerk des Börsenvereins, von dem ich gar nichts wusste, hat uns finanziell unterstützt. Und in den ersten Wochen waren hier natürlich auch unglaublich viele Helfer unterwegs. Es ist niemand vorbeigegangen, ohne den Kopf reinzustecken und zu fragen: „Braucht ihr Hilfe? Können wir irgendwas tun?“ Das war wirklich großartig, da kommen mir auch jetzt noch die Tränen.

Mittlerweile sind die Menschen in Bad Münstereifel dankbar für jedes Geschäft, das wieder öffnet. Man kommt in die Marktstraße und hier brennt ein Licht. Das tut einfach gut. Denn auch nach dieser langen Zeit haben die Menschen hier das Bedürfnis, sich mitzuteilen. Man hört immer noch die schlimmsten Geschichten und wenn man selbst Teil einer solchen Katastrophe war, ist man einfach dankbar. Dafür, dass man überlebt hat, dass man hier wieder etwas aufbauen kann, und dafür, dass es weitergeht. Das ist alles nicht selbstverständlich. Man erkennt, wie schnell von heute auf morgen alles anders sein kann. Deswegen ist es gut, dass Geschäfte vor Ort sind, wo Menschen hingehen und reden können. Der Laden hier ist jetzt so wie vorher. Das Einzige, was noch nicht zurück ist, ist das Sofa aus der Kinderecke. Das steht noch in der Polsterei und kann bald abgeholt werden.

„Und dann sagte sie sehr deutlich: ‚Du hast einen Ahrtal-Dachschaden.‘ Und ich muss leider sagen: Das stimmt.“

Hartmut Bock
Name: Hartmut Bock
Alter: 67
Wohnort: Berne bei Oldenburg in Niedersachen
Beruf: Rentner und ehrenamtlich für die Oldenburger Tafel tätig
Fährt seit August regelmäßig mit Foodsharing ins Ahrtal und hat mittlerweile circa zwölf Tonnen Lebensmittel dorthin gebracht.

Ich fahre morgen wieder runter ins Ahrtal, diesmal nach Gelsdorf. Ich habe vorhin die Info bekommen, welche Lebensmittel ich kriege: vier Paletten Räucherlachs, eine ganze Palette Joghurt und 20 Kisten Aufschnitt. Wahrscheinlich werden es elf Stunden reine Fahrtzeit, weil ich mit Anhänger fahre. Die Ladung morgen Mittag, die körperliche Arbeit, jeweils fünf Stunden Fahrt, die zurück nach Oldenburg im Dunkeln und mit Regen. Das ist schon eine wahnsinnige Belastung.

In der dritten Woche nach der Flutkatastrophe habe ich entschieden, helfen zu wollen. Ich habe die Notlage in den Nachrichten und über Facebook gesehen und den Entschluss gefasst: Da musst du was tun. Ich wusste, dass ich durch die Oldenburger Tafel an ein Kühlfahrzeug komme. Um Ware musste ich mich selbst kümmern, also habe ich bei Supermärkten und kleineren Läden nach übrig geblieben Lebensmitteln gefragt. Kontakte im Katastrophengebiet zu knüpfen, hat dann nochmal zwei Wochen gedauert, weil ich zuerst die öffentlichen Stellen angerufen habe. Da warte ich zum Teil heute noch auf Rückruf. Also habe ich über Facebook gesucht und bin am 8. August das erste Mal losgefahren.

Als ich die Bilder aus dem Fernsehen dann in echt gesehen habe, war ich geschockt. Da hingen Schienen in der Luft, darunter fünf, sechs Meter alles weggeschwemmt. Wenn man nach Mayschoss fährt, sieht man, soweit man gucken kann, Ruinen. Fenster und Türen weg, der Putz abgetragen. Solche Aufnahmen kann man nicht vergessen. Bewusst geworden ist mir das alles aber erst, als ich am späten Abend wieder zu Hause war: Ich habe meine Frau angesehen und sofort geweint.

Hartmut Bock vor dem Kühlfahrzeug auf dem Weg ins Ahrtal. (Foto: Hartmut Bock)

Das verändert einen. Ich sehe jetzt, wie gut wir es haben. Wenn mir kalt ist, drehe ich die Heizung auf. Wenn ich Durst habe, mache ich mir einen Tee. Wenn ich duschen will, gehe ich duschen. Aber wenn ich mir anschaue, wie es da unten aussieht, dann habe ich auch heute noch damit zu kämpfen. Auch, wenn die Bilder sechs Monate später andere sind. Die Straßen sind wieder befahrbar, es sind Notbrücken gebaut worden und die Häuser haben sich verändert. Trotzdem gibt es immer noch kleine Orte, in denen wenig bis gar nichts gemacht wurde. Man findet da noch so viel Elend.

Zwischendurch habe ich gedacht, dass es ein Fehler war, mich so reinzuknien. Man weiß nicht, worauf man sich einlässt, bis man da steht. Es wäre vielleicht anders gewesen, wenn ich nur eine Tour gemacht und den Wagen dann in die Ecke gestellt hätte. Andererseits habe ich einer Menge Menschen geholfen. Viele da unten sind auch psychisch in einer schlechten Situation. Es gibt zwar Seelsorger, die ihre Hilfe anbieten, aber die Leute kommen nicht. Ich müsste mir vermutlich auch Hilfe suchen, um alles zu verarbeiten, werde es wahrscheinlich aber nicht tun.

Ich habe hier in Oldenburg eine Bekannte, die zu mir gesagt hat: „Du hast dich so verändert. Du lachst nicht mehr.“ Und dann sagte sie sehr deutlich: „Du hast einen Ahrtal-Dachschaden.“ Und ich muss leider sagen: „Das stimmt.“ Aber ich komme vom Ahrtal nicht mehr los. Das geht vielen so. Gleichzeitig ist da nämlich so viel Herzlichkeit und Freude. Dankbarkeit für kleine Gaben. Und das überwältigt einen. Das vergisst man nie mehr.

„Was mit unserem Haus passiert, ist noch unklar. Vielleicht wird es aufgebaut, vielleicht abgerissen und neu gebaut, vielleicht verkauft.“

Hannah Schaefer
Name: Hannah Schaefer
Alter: 19
Wohnort: Schuld
Beruf: Studentin in Köln
Ihr Zuhause in Schuld wurde durch die Wassermassen zerstört. Gerade wohnen Hannah und ihre Familie in einem Haus von Freunden in
 Schuld, bald ziehen alle nach Köln.

Ich saß am 14. Juli nachmittags mit meiner besten Freundin in unserem Wohnzimmer. Wir haben getrunken und Shisha geraucht. Währenddessen wurde der Regen draußen immer stärker und irgendwann sind wir an die Ahr gucken gegangen. Hochwasser kennen wir hier. Im Sommer passiert das schon mal. Gegen Abend stand das Wasser aber schon ganz schön hoch. Ich dachte, vielleicht kommt es bis in den Hof und weil ich Angst um mein Auto hatte, habe ich das weggefahren. Ich habe auch noch unser Bettzeug aus den Schränken geholt und unter die Türen gelegt. Ich dachte da echt noch, dass die das abhalten können. Nach ungefähr einer Stunde habe ich Angst bekommen, dass mein Auto immer noch nicht hoch genug steht: Ich bin also nochmal los.

Als ich zurückkam, war schon die Feuerwehr da und das Wasser stand mir bis zu den Waden. Meine kleine Schwester und meine Freundin hatten wichtige Dokumente  und Laptops auf die obere Etage gebracht. Meine Eltern waren zu dem Zeitpunkt beide in Köln arbeiten. Ich habe selbst noch ein paar Sachen gepackt und als wir wieder aus dem Haus wollten, mussten wir im Hof schon durch hüfthohes Wasser waten. Aber auch da dachte ich noch, dass unser Haus das überlebt. Gegen acht sind wir dann zu Freunden nach Harscheid gefahren, wir konnten ja sowieso nichts machen.

Das hier war Hannahs Zimmer. (Foto: Lea Hollender)

Unser Haus am nächsten Morgen zu sehen, war schlimm. Ein Baum steckte in der Hauswand und im Wohnzimmer war bis auf meine Shisha gar nichts mehr. Das war auch das einzige Mal, dass ich während der ganzen Zeit geweint habe. Danach war ich wie in einem Film. Ich war überhaupt nicht mehr wirklich da. Ich hatte die Verantwortung für meine Schwester, also habe ich einfach versucht, zu funktionieren. Unsere Eltern kamen nicht zu uns durch, weil die Straßen zerstört oder unterspült waren. Wir haben also bei unserer Oma in Schuld übernachtet. Aber erst nach drei Tagen, als meine Eltern dann endlich kamen, habe ich das erste Mal wieder richtig geschlafen. Die Tage und Wochen danach sind total an mir vorbeigegangen. Es kamen viele Leute, die unser Haus begutachtet haben. Die einen meinten „Baut es wieder auf“, die anderen „Reißt es ab“. Noch ist unklar, was damit passiert. Wenn man unser Haus jetzt nochmal aufbauen wollte, müsste man es auf die Energiestandards von 2021 bringen – das kostet. So viel bekommen wir von der Versicherung gar nicht wieder. Vielleicht wird das Haus also aufgebaut, vielleicht abgerissen und neu gebaut, vielleicht verkauft. Wir ziehen alle vier weg. Wir denken, dass das Wasser auf jeden Fall wiederkommt.

Hannah steht in ihrem ehemaligen Wohnzimmer. (Foto: Lea Hollender)

Nach der Flut haben mich viele gefragt: „Bist du denn gar nicht traurig?“ Doch, natürlich bin ich traurig! Aber wenn ich den ganzen Tag weine, komme ich nicht weiter. Wir sind nicht die einzigen, denen das passiert ist, und viel zu viele sehen nur das Negative. Schaut mal, wie viele Helfer gekommen sind – wie viele tausend Menschen! Freiwillige, die mit riesigen Maschinen, die wahnsinnig viel Sprit verbrauchen, hierhinkamen, um uns zu helfen. Und viele von denen stehen auch jetzt noch da unten und arbeiten. Dazu kommen THW und Bundeswehr. Das hätte deutlich mehr gewürdigt werden können. Es war eine Umweltkatastrophe, kein Krieg. Das hat niemand absichtlich gemacht, das ist einfach passiert. So viele hier beschweren sich. Ich weiß gar nicht, worüber.

Ich habe versucht, das alles nicht so an mich ranzulassen. Habe ich bis heute nicht gemacht. Es ist selten, dass ich mit meinen Gedanken allein bin. Das geht jetzt erst in meiner Wohnung in Köln wieder los. Ich versuche aber trotzdem, das zu verdrängen. Es bringt mir ja nichts. Es ist passiert und es ist schlimm, aber wir können froh sein, dass niemand verletzt wurde. Was sich verändert hat, ist das nach Hause kommen in die Eifel. Das wird es so nicht mehr geben. Ich will Schuld trotzdem nicht komplett verlassen, da müssen wir uns noch was überlegen.

Wenn ich aktuell von Köln nach Schuld komme, bin ich manchmal kurz davor, bei unserem Haus einzubiegen statt hier zum Haus unserer Freunde. Dann stehe ich da und merke: Da kann ich ja gar nicht mehr hinfahren, das ist ja gar nicht mehr Zuhause. Wenn ich an Zuhause denke, denke ich an unser Wohnzimmer. Oder an mein Bett. Aber mein Zuhause wird jetzt Köln sein und nicht mehr Schuld. Das war sowieso mein Plan, ich wusste die ganze Zeit: Ich möchte studieren gehen, ich möchte nach Köln. Also gucke ich nach vorne und nicht nach hinten.

Beitragsbild: Lea Hollender

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