Diesen Artikel hat unsere Autorin ohne Hilfe geschrieben, obwohl sie mit einem Ghostwriter gesprochen hat. Damit er das Interview ohne Bedenken führen konnte, nennen wir seinen Namen nicht. Im Gespräch erzählt er von seinem Arbeitsalltag und den ethischen Bedenken, die mit seinem Beruf verknüpft sind. Außerdem verrät er, woran Dozierende Ghostwriting erkennen sollten.
Wie viele Studierende verdanken Ihnen ihren Erfolg im Studium?
Viele. In meiner Tätigkeit als Ghostwriter habe ich schätzungsweise schon tausend wissenschaftliche Arbeiten geschrieben.
Welche Aufträge liegen zurzeit auf Ihrem Schreibtisch?
Im Moment bearbeite ich drei Aufträge. Als erstes ist da eine Dissertation im Marketing-Bereich. Dann sind da zwei kleine Sachen, also Hausarbeiten. In einer beschäftige ich mich mit Marktentwicklung am Immobilienmarkt.
Also schreiben Sie hauptsächlich für Studierende aus den Wirtschaftswissenschaften?
Genau. Ich habe in BWL promoviert. Studiert habe ich Soziologie und Politikwissenschaften. Nach meinem Abschluss kam dann noch Theologie dazu. Alles, was im naturwissenschaftlichen Bereich liegt – Maschinenbau, Medizin, Jura –, ist nicht mein Fachgebiet. Dort nehme ich grundsätzlich keine Aufträge an. Wenn ich Aufträge in meinem Fachgebiet annehme, kommt es darauf an, um welche Art von Arbeit es geht. Bei Masterarbeiten und Dissertationen überlege ich, ob ich den Kunden die Dimension des Themas wirklich bieten kann. Wenn diese Ansprüche für mich zu hoch sind, lehne ich die Aufträge ebenfalls ab.
Wie bearbeiten Sie einen Auftrag, wenn wir die Dissertation als Beispiel nehmen?
Auch, wenn eine Dissertation mein Fachgebiet betrifft, muss ich mich einarbeiten. Das ist bei Hochschuldozenten ja nicht anders. Die müssen auch up to date sein. Bei Dissertationen gibt es die wenigsten Vorgaben, was sowohl den Inhalt der Arbeit als auch die Literatur betrifft. Eine erfolgreiche Dissertation befähigt zur Lehre an Hochschulen. Man soll in der Arbeit also zeigen, dass man zur Lehre in der Lage ist. Dazu gehört, dass man das Thema eigenständig formuliert, die Recherche betreibt, Literatur auswählt und so weiter.
Wie sieht das bei der Dissertation aus, die Sie gerade bearbeiten?
In diesem Fall ist es so, dass der Kunde die Arbeit zum Teil schon fertig hat. Die Herausforderung ist, das Thema, das er vor einigen Jahren vereinbart hat, so anzupassen, dass unter anderem ein aktueller Literaturüberblick möglich ist. Grundsätzlich ist die Literaturrecherche immer gleich – ob bei einer Hausarbeit oder Dissertation. Man hat das Thema, man sucht Literatur dazu heraus. Bei einer Dissertation muss die Suche aber detaillierter sein. Ein anderer wichtiger Punkt sind begriffliche Grundlagen. Wann taucht ein Begriff zum ersten Mal in der Forschung auf? Wie ist die Begriffsentwicklung abgelaufen? In einer Dissertation wird erwartet, dass man das auch abbilden kann.
Das klingt nach einer Menge Arbeit. Wieviel Zeit benötigen Sie durchschnittlich für einen Auftrag?
Das kommt wieder auf den Auftrag an. Länger als einen Arbeitstag, also acht Stunden, sollte ich für eine einfache Hausarbeit nicht brauchen. Kurzfristige Aufträge, deren Deadline am nächsten Tag ist und für die ich eine Nacht am Computer sitzen muss, nehme ich nicht an. Das sehe ich nicht ein! Langfristige Projekte, wie zum Beispiel Dissertationen, begleiten mich dann auch schon mal mehrere Monate.
Welche Kriterien muss man erfüllen, um als Ghostwriter*in arbeiten zu können?
Ich bin mir sicher, dass es auch unseriöse Agenturen gibt, die Sie einstellen würden. Bei der Agentur, über die Sie mich gefunden haben, ist es wichtig, dass Autoren mit einem Bachelorabschluss nur Haus- und Bachelorarbeiten schreiben, Autoren mit einem Master Haus-, Bachelor- und Masterarbeiten schreiben und so weiter. Es gibt auch immer wieder Autoren, die sagen, dass sie zu allen Fachgebieten schreiben würden, das in Wahrheit dann aber gar nicht können. Das führt oft zu einem schlechten oder gar keinem Ergebnis. Der direkte Austausch zwischen dem Autor und dem Kunden ist wichtig, damit eine Arbeit gelingt. Das ist aber nicht die Regel in der Branche, weil es auch Agenturen gibt, die ihren Autoren nicht vertrauen. Sie befürchten, dass die Autoren ihnen die Kunden wegnehmen, da die Kommunikation dann zwischen Autor und Kunde ablaufen würde.
Sie arbeiten seit rund zehn Jahren als Ghostwriter. Wie sind Sie darauf gekommen?
Per Zufall. Ein Bekannter von mir war Ghostwriter, weswegen dieser Beruf für mich nichts Neues war. Der entscheiden Punkt, warum ich mich schließlich für den Beruf entschieden habe, war das sehr lukrative Einkommen, das als Ghostwriter möglich ist. Ich war vorher im öffentlichen Dienst, das war eine super Position. Ich war gerade fertig mit dem Bachelor und fand es total schön, direkt in einer verantwortungsvollen Position arbeiten zu dürfen. Irgendwann habe ich aber angefangen, mich zu langweilen. Dann habe ich mir ganz blauäugig eine Agentur gesucht – es gab damals noch nicht so viele – und habe dort nebenberuflich begonnen. Ich habe relativ schnell festgestellt, dass mir das Freude macht. Beim öffentlichen Dienst habe ich gekündigt. Das ist da schon sehr ungewöhnlich. Mittlerweile schreibe ich auf Honorarbasis für mehrere Agenturen.
Was ist bei Ihrer Arbeit besonders wichtig?
Es ist wichtig, dass man nur in seinem Fachgebiet schreibt. Außerdem sollte man, wenn man einen Auftrag annimmt, schon vorher wissen, was man schreibt und nicht bei null anfangen. Man sollte sich also im Thema auskennen. Wenn das nicht so ist, hilft das dem Kunden ja nicht. Die Kunden kommen nicht zu mir, weil sie ihre eigene Leistung haben wollen. Sie wollen eine, die tendenziell besser ist als ihre eigene. Wenn ich einen Auftrag annehme, weil er mich brennend interessiert, mir aber bei einem Teil nicht sicher bin, dann teile ich mir diesen Auftrag mit einem anderen Ghostwriter.
Da es nicht im Interesse der Kunden liegt, dass das Ghostwriting auffliegt, sage ich ihnen immer wieder, dass sie vor der Abgabe ihre Arbeit lesen sollen. Das klingt zwar platt, aber ich erlebe immer wieder, dass das eben nicht getan wird. Es kann sein, dass dem Dozenten ein Aspekt besonders gut gefällt. Wenn der Kunde sich die Arbeit aber nicht durchgelesen hat und zu bestimmten Aspekten nichts sagen kann, ist das der Zeitpunkt, an dem der Dozent misstrauisch werden sollte.
Ist einer Ihrer Aufträge schon mal aufgeflogen?
Ja, tatsächlich. Man kann meistens nicht sagen, an welchen Faktoren es am Ende liegt, dass das Ghostwriting auffällt. In dem einen Fall lag es aber am Kunden selbst. Da der Austausch über die Agentur stattgefunden hatte, wusste ich nicht, dass er sich bereits im Drittversuch für seine Bachelorarbeit befand. Die Arbeit sollte aber sehr gut werden. Darunter verstehe ich eine Leistung, die mit einer 1,0 bewertet werden kann. Die habe ich dann auch geschrieben und der Kunde war begeistert. Kurze Zeit später meldete er sich aber völlig entrüstet bei der Agentur und sagte, er sei durchgefallen. Die Agentur war geschockt, die kannte ja meine Arbeit.
Warum war er denn durchgefallen?
Der Kunde hat auf einer Studentenparty mit der Arbeit angegeben. Der Dozent hat dann letztendlich den Hinweis erhalten. Deswegen rate ich meinen Kunden immer, so diskret wie möglich mit dem Thema umzugehen. Wenn wir über eine Masterarbeit reden, macht man sich theoretisch für sein ganzes Leben angreifbar. Man weiß ja nicht, ob der beste Freund, dem man es erzählt, es auch noch in zehn Jahren ist.
Wie geht es Ihnen denn dabei? Als Ghostwriter helfen Sie anderen schließlich dabei, zu betrügen. Haben Sie dabei keine ethischen Bedenken?
Es ist schon ein heikles Thema, das gebe ich offen zu. Das kann man nicht jedem erzählen. Für mich ist Ghostwriting aber eine erfüllende Tätigkeit. Ich helfe den Kunden gerne, besonders denen, die in einer Notsituation sind. Gerade 2020, als Corona angefangen hat, gab es viele kleinere Leistungen bei uns, weil viele Universitäten die Prüfungsleistungen umgestellt haben.
Wie sind Sie rechtlich abgesichert? Hatten Sie schon einmal rechtliche Probleme?
Durch die Vertragsbeziehungen mit den Agenturen bin ich rechtlich abgesichert. Dieser Vertrag stellt sicher, dass sich die Geschäftsbeziehung in ordentlichen Bahnen bewegt. Ein Punkt ist dabei etwa die Honorarzahlung, die vertraglich abgesichert ist. Dadurch sind Autoren davor geschützt, Texte zu erstellen, für die dann keine Bezahlung erfolgt. Immerhin kostet eine zehnseitige Hausarbeit bei uns mindestens 750 Euro, bei einer Dissertation bewegen wir uns schon im vierstelligen Bereich. Letztendlich gehen die Kunden einen Vertrag mit der Agentur ein, nicht mit mir. Das bedeutet, dass sie von mir rein rechtlich keine Leistung einfordern können. Rechtliche Probleme hatte ich bis jetzt auch noch nicht.
Hatten Sie schon mal einen Auftrag, den Sie besonders schwer fanden?
Klar. Ich kann mich an eine Dissertation erinnern, bei der der Doktorvater plötzlich verstorben ist. Das ist der worst case. Wir waren fast fertig, das muss ich auch noch dazu sagen. Der Kunde hatte extrem viel Geld für den Auftrag bezahlt. Die Herausforderung war dann, einen anderen Doktorvater zu überzeugen. Das hat erstmal nicht funktioniert, weil der verstorbene Doktorvater einen Lehrstuhl innehatte und man nicht einfach mit einem Thema von einem zum anderen Lehrstuhl gehen kann. Ich habe also ein neues Exposé geschrieben und das Thema nochmal angepasst. Nach drei Monaten hatte der Kunde dann einen neuen Doktorvater gefunden. Dem gefiel aber die Studie nicht, die wir gemacht hatten. Da ging es viel um Statistik. Da war ich zuerst der Meinung, dass das schwierig ist und ich das nicht kann. Die Dissertation konnte ich dann aber beenden.
Wie gehen Sie dann mit solchen Situationen um?
Wenn sich die Anforderungen ändern, ist das immer schwierig. Man muss als Ghostwriter in der Lage sein, ein Thema von Anfang bis Ende zu bearbeiten, wenn die Anforderungen klar sind. Einem Ghostwriter kann nicht zwischendurch auffallen, dass das Thema eigentlich zu schwierig ist. Wenn man im Business anfängt, weiß man das nicht. Die Dimensionen der Themen sind dann nicht einschätzbar. Das kommt aber mit der Erfahrung.
Beitragsbild: Sophie Godelmann