Uniklinik-Streik NRW: (K)eine Frage des Geldes?

 

„Weiter Reanimieren! Für mich sieht das aus, wie ein Schockbarer Rhythmus. Harun, bitte den Defibrillator laden. Alle weg vom Patienten! Jetzt schocken“, ruft Sarah Göbel ihrem Team zu, das hastig probiert, die Versuchspuppe „wiederzubeleben“.

Praxisanleitung zur Reanimation durch Sarah Göbel und ihr Team.

„Wir haben euch jetzt mal vorgemacht, wie man mit einem vernünftigen Team und mit einer vernünftigen Personalanzahl reanimiert, die wir in der Realität nicht haben“, fügt die Pflegerin lachend hinzu.

Was Sarah Göbel fast schon beiläufig über die Lippen kommt, ist der Grund, warum sie und die anderen seit acht Wochen vor dem Uniklinikum in Essen campieren. Die Belegschaften der sechs Unikliniken in NRW (Essen, Düsseldorf, Köln, Münster, Aachen, Bonn) streiken. Sie fordern in sämtlichen Bereichen den „Tarifvertrag Entlastung“. Dieser soll eine bessere Betreuung von Auszubildenden, einen besseren Personenschlüssel, sowie einen Ausgleich für Überlastungen gewährleisten.

 

Es geht uns nicht ums Geld, wir wollen mehr Personal.

Fabian Jenau, Pfleger auf der Zentralen Notaufnahme (ZNA)

 

Täglich erlebe er Situationen, in denen er einfach überfordert sei und seine Patienten nicht adäquat versorgen könne. „Auf unserer Station haben wir Leute, die zwei Stunden in ihren Extremitäten liegen müssen, weil vorne schon wieder drei neue Leute reinkommen, die akut versorgt werden müssen.“ Er mache sich Sorgen, um seine Zukunft: „Wir machen hier Jobs, wo du weißt, du bist irgendwann raus bist, weil du Burnout oder kaputte Knochen hast.“

Seit acht Wochen geht er deshalb jeden Morgen in das Zelt vor dem Eingangsbereich der Klinik. Um acht Uhr beginnt die Streikversammlung. Dort werden die Neuigkeiten der Verhandlungstage verkündet, Solidaritätsbeiträge vorgelesen oder neue Forderungen ausgearbeitet. Ab und zu gibt es gibt auch Aktionen, wie heute. Die Idee: Examinierte Pfleger*innen zeigen Auszubildenden, wie man einen Gips anlegt oder wie man reanimiert. Jurek Macher ist gerade fertig mit seiner Ausbildung und arbeitet nun auf der Intensivstation.

Statt zu lernen, kommen Auszubildende in einen Bereich und müssen da die Personallücken auffangen.

Jurek Macher, Pfleger auf der Intensivstation

Laut ihm, würden viele dann schon nach dem ersten oder zweiten Lehrjahr feststellen, dass die Pflege kein Beruf für die Ewigkeit sei.

Der Streik geht nicht spurlos an dem Krankenhausalltag vorbei. Zwar sind die Streikenden, gemäß einer Notdienstvereinbarung in permanenter Bereitschaft, jedoch sollen seit Mai rund 1700 Operationen verschoben worden seien. Das sagte der Vorstandsvorsitzende des Uniklinikums Essen, Jochen Werner in einem Interview mit der WAZ. Man sei im vollen Bewusstsein, dass bestimmte Bereiche gestärkt werden müssten, nur können die Unikliniken den geforderten Personalumfang nicht alleine stemmen, so Werner. Er fordert eine Art Sondervermögen Gesundheit, so ähnlich wie es das neuerdings für die Bundeswehr gibt.

Vergangenen Dienstag wurde ein erstes Angebot vonseiten der Unikliniken vorgelegt, dass der Pflege am Bett fünf zusätzliche freie Tage gibt. Das reicht den Streikenden nicht. Sie fordern den „Tarifvertrag Entlastung“ für sämtliche Bereiche und nicht nur für die Pflege am Bett.

Wir streiken für alle zusammen, weil wir als Zahnrad nicht funktionieren, wenn man ein paar Zähne rausbricht.

Sarah Göbel, Pflegerin auf der ZNA

 

Es bleibt also offen, wie lange der Streik noch andauern wird. Das Uniklinikum Bonn hat bereits Klage gegen ihre Belegschaft eingereicht. Der Prozess, den das Klinikum in der ersten Instanz verloren hat, wird nun auf Landesebene neu aufgerollt.

In Großstädten in NRW wird gestreikt, in Dortmund nicht. Warum?

Die Antwort liegt auf der Hand: Derzeit streiken nur die Unikliniken und in Dortmund gibt es keine. Die Arbeitszeiten und Löhne der Belegschaften der privaten und öffentlichen Krankenhäuser haben einen anderen Tarif. Somit hat der Streik keinen Einfluss auf das Krankenhauspersonal in Dortmund. Dennoch verfolgt David Staercke, Pressesprecher von Verdi Westfallen aufmerksam die Entwicklungen des Streiks der Unikliniken in NRW: „Im nächsten Jahr sind die Tarifverhandlungen des öffentlichen Diensts und dann schauen wir mal, sollte das Personal der UK erfolgreich sein, könnte das eine Blaupause für die Belegschaften in Dortmund sein.“ Er drücke auf jeden Fall die Daumen. Ob das Sarah, Fabian, Jurek und den anderen Streikenden hilft, wird sich in den kommenden Tarifverhandlungen zeigen.

 

Beitragsbild: Pascal Nöthe

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