Sri Lanka – Ein Land versinkt im Tumult

Seit Monaten wird es nicht ruhig um den südasiatischen Staat vor der Küste Indiens: Staatsbankrott, Demonstrierende, die die Regierungsresidenz stürmen, Inflation und eine drohende Hungersnot – ganz schön viel los. Aber was ist passiert? 

I. Die Proteste

Sri Lanka befindet sich seit Monaten im Krisenmodus. Demonstrierende fordern wiederholt den Rücktritt der Regierung und des mächtigen Staatspräsidenten Gotabaya Rajapaksa. Das Land kann seine Schulden nicht mehr bezahlen und befindet sich in der schwersten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit im Jahr 1948. Es mangelt an Medikamenten, Lebensmitteln, Gas zum kochen und Treibstoff, der nicht nur für die Autos und TukTuks benötigt wird, sondern auch für die stromerzeugenden Kraftwerke. In den letzten Monaten kam es infolgedessen zu stundenlangen Stromausfällen im Inselstaat.

Am vergangenen Samstag (09.07.2022) demonstrierten laut Medienberichten rund 100.000 Sri Lanker gegen die Regierung. Die Wut und der Frust der Bevölkerung entlud sich und es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei und der Armee. Laut einer Krankenhaussprecherin wurden bei den Massenprotesten mindestens 95 Menschen verletzt. Darauf reagierte der Premierminister mit einem Rücktrittsangebot; mittlerweile hat Staatspräsident Gotabaya Rajapaksa ebenfalls seinen Rücktritt für Mittwoch den 13. Juli bekanntgegeben.

Eskalation: Demonstrierende stürmen Regierungsgebäude

Am Samstagnachmittag (09.07.2022) gelang es den Demonstrierenden in mehrere Gebäude der Regierung zu gelangen. Darunter der Amtssitz des Präsidenten, der Präsidentenpalast und die Residenz des Premierministers. Zudem wurde die Privatresidenz vom Premierminister Ranil Wickremesinghe in Brand gesetzt. Laut Medienberichten sind bereits Verdächtige festgenommen worden.

Aktuell weigern sich die Demonstrierenden weiter die Gebäude zu verlassen. Sie wollen erst gehen, wenn der Staatspräsident und der Premierminister zurückgetreten seien, heißt es.

II. Die Hintergründe

Seit dem 21. November 2019 haben zwei Brüder aus der Politikerfamilie “Rajapaksa” die beiden wichtigsten demokratischen Ämter in Sri Lanka inne: Mahinda Rajapaksa ist Premierminister – und war zuvor über neun Jahre Präsident und Gotabaya Rajapaksa, auch genannt Gota, ist Staatspräsident. Laut dem Sri-Lanka-Experten Wolfgang Heinze seien beide durch großzügige Wahlversprechen ins Amt gekommen. Beispielsweise habe die Subventionierung von Benzin zur Überlastung des Staatshaushaltes beigetragen. Heinze ist Projektleiter für Sri Lanka und Bangladesch der “Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit” und arbeitet seit 2021 in Colombo, der Hauptstadt von Sri Lanka.

Doch die Verantwortung für die Wirtschaftskrise läge nicht allein bei den Rajapaksa-Brüdern, so Heinze. So war die Finanzpolitik bereits vor deren Amtsantritt angespannt.

Gota Go Game und die Proteste der letzten Monate

Außerdem ist Sri Lanka auf teure Importe angewiesen, wobei die durch die Corona-Pandemie und den Russland-Ukraine Krieg ausgelösten Wirtschaftskrisen wenig hilfreich sind. Das Leben wird teurer, die Inflation steigt, Waren und Güter kommen nicht mehr ins Land. Weil Kraftstoff in den Kraftwerken fehlt, kommt es zu stundenlangen Stromausfällen. Auch das trockene Wetter verhindert, dass die Wasserwerke die Strominfrastruktur aufrecht erhalten können. In der Folge wächst in Sri Lanka die Frustration mit der Regierung und mit den Politikbrüdern. So entsteht das sogenannte “Gota Go Game”. Dabei steht Gota für den Präsidenten Gotabaya, Go für “Geh” in Englisch und Game für Dorf. Das “Dorf” vergleicht Heinze mit dem Speakers’ Corner in London. Hier äußern Regierungskritiker ihren Unmut über die Politik und den Staatspräsidenten.

Bereits Anfang April kommt es zum Ausruf des Notstandes. Die Militärpräsenz auf den Straßen erhöht sich, Demonstrationen werden teils mit Gewalt niedergeschlagen. Bereits damals versuchten Demonstrierende den Präsidentenpalast zu stürmen. Erst einmal vergeblich. Als der Unmut in der Bevölkerung immer weiter wächst und am 9. Mai Pro-Regierungs Demonstrierende das “Gota Go Game” zerstören, entlädt sich die Wut der Bevölkerung. Sie fordert eine Ende der korrupten Regierung rund um die Rajapaksa-Familie. Bei landesweiten Protesten werden rund 40 Häuser von Politikern angezündet. Viele davon gehören der Rajapaksa-Familie, wozu neben den beiden Brüdern noch ein weiterer Minister und einige Parlamentsabgeordnete zählen. Letzten Endes bleibt Gota allerdings an der Macht, sein Bruder wird dagegen durch den Politiker Ranil Wickremesinghe ersetzt. Der neue Premierminister tritt am 13. Mai bereits seine fünfte Amtszeit an, diese könnte allerdings seine bisher kürzeste werden. Nach den Protesten etabliert sich der 9. jedes Monats als Massendemonstrationstag in Sri Lanka, sagt Heinze.

Der Fahrer der Stiftung musste drei Tage auf 14 Liter Sprit warten und nach DIN A4 Blättern mussten wir einen halben Tag suchen.

Nach Demonstrationen vom 9. Mai bleibt die Lage alles andere als entspannt: Wenn es Sprit gibt, ist dieser meist teuer, Medikamente bleiben Mangelware und Papier ebenso. Dadurch können unter anderem die Zeitungen des Landes nicht mehr so häufig veröffentlichen. Heinze erzählt, dass auch der Fahrer der Stiftung drei Tage auf 14 Liter Sprit warten musste; nach importierten DIN A4 Blättern hätten sie einen halben Tag suchen müssen.

Einen Tag vor den geplanten Großdemonstrationen am Samstag (09.07.2022) habe die Regierung beschlossen, dass am Freitag und am Samstag keine “Tank Bowsers” (deutsch: Tanklaster) die Tankstellen beliefern sollten. Er selber habe von politischen Beobachtern gehört, dass es sich dabei um eine Maßnahme handelte die Demonstrierende davon abhalten sollte in die Hauptstadt zu gelangen.

III. Die Konsequenzen

Die Bevölkerung will eine Regierung ohne die Rajapaksa – dafür bräuchte es die Mehrheit der Opposition im Parlament. Allerdings vereint die Partei der Rajapaksa rund 60 Prozent der Abgeordneten. Sofern es keine Überläufer gäbe, müsse also eine Neuwahl her, sagt Heinze. Allerdings bräuchte es dafür eine Verfassungsänderung, da die nächste reguläre Wahl erst Anfang 2023 sei. Legitimität brauche es sowohl in der Bevölkerung, als auch im Parlament. Heinze hofft, dass sich spätestens am Mittwoch (13.07.2022) klären wird, wann der Präsident zurücktrete und sich bald eine stabile Regierung bilden könne. Diese Regierung, betont er, brauche Sri Lanka, um wieder auf die Beine zu kommen.

Aktuell sieht es so aus, dass Gota am Mittwoch sein Amt niederlegen wird. Laut Medienberichten scheint auch der Ministerpräsident Ranil Wickremasinghe sein Amt aufzugeben. Ob die Rajapaksa-Familie und Ranil Wickremasinghe sich zukünftig aus der Politik raushalten werden, bleibt abzuwarten. Eine stabile Regierung wird aber auch benötigt, weil Sri Lanka mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verhandelt, der IWF jedoch zuerst die nötigen Reformen in der Politik sehen möchte. Zusätzlich befürchten Expert*innen eine Hungersnot in dem rund 22 Millionen Einwohnerland. Ausgelöst wurde die Nahrungsmittelknappheit unter anderem wegen fehlender Düngermittel, die aufgrund der Wirtschaftskrise nicht bezahlt und importiert werden konnten.

Laut Heinze könnte Sri Lanka für Deutschland ein “Cautionary Tale” sein, was soviel bedeutet wie eine Negativbeispiel, wenn nicht klug mit den verfügbaren Haushalt umgegangen werde. Fakt ist, so betont Heinze, dass Sri Lanka nicht das einzige Land sei, das stark gebeutelt aus der Pandemie gekommen sei. In anderen Ländern, besonders in Asien, Afrika und Südamerika werden ähnliche Muster zu erkennen.

Beitragsbild: Clker-Free-Vector-Images via Pixabay

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