Stereotypische Erwartungshaltungen, sexistische Kommentare oder unerwünschte Berührungen. Gerade für Frauen kann der Gang zum Fußballspiel schnell zur Gefahr werden. Denn: Sexualisierte Gewalt in deutschen Stadien ist ein Problem.
Ein Tor im Stadion fällt: Die Fans sind in Ekstase, heiteres Geklatsche, Freudentaumel. Doch für manche zeitgleich Bedrohung, Gewalt, Peinigung, während drumherum alles jubelt. Seit Mai soll es beim SC Freiburg mindestens sechs Fälle sexualisierter Gewalt gegeben haben. Auch bei Borussia Dortmund wurde laut Polizei in den ersten Spielen dieser Saison eine Anzeige erstattet. Ob dies wirklich alle Fälle sind, bleibt unklar.
Vermutlich hohe Dunkelziffer
In Dortmund kam es in der Saison 2018/19 und 2019/2020 „etwa bei einem halben Dutzend Heimspielen zu Vorfällen, die Dunkelziffer wird aber höher eingeschätzt“, hieß es in einem Statement von Borussia Dortmund an die Sportschau im Jahr 2020. Dies deckt sich mit den aktuellen Einschätzungen des Dortmunder Fan-Projekts. Der Verein fungiert als Knotenpunkt zwischen Borussia Dortmund, Fans und anderen Akteur*innen und leistet Antidiskriminierungsarbeit im Bereich Sexismus und sexualisierter Gewalt.
„Ich glaube, dass es deutlich mehr Übergriffe gibt. Das liegt aber auch daran, dass Übergriffe, die in einem geschlechtsspezifischen Kontext stattfinden, eben keine normalen Gewalttaten sind“, vermutet Laura Brand vom Dortmunder Fan-Projekt. In solchen Fällen spiele ein Schamgefühl oder ein eigenes Schuldgefühl eine große Rolle. Der Schritt zur Polizei sei nicht unbedingt der Erste, den Betroffene gehen würden. In vielen Fällen komme es nicht zu einer Strafanzeige, so Brand.
Keine offiziellen Zahlen
Ein weiteres Problem: Konkrete Zahlen über Fälle sexualisierter Gewalt in deutschen Stadien gibt es nicht. Grundsätzlich werden Straftaten bei Profifußballspielen von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze erfasst und in einem Jahresbericht veröffentlicht. Ein genauer Blick zeigt jedoch: Fälle sexualisierter Gewalt finden sich hier nicht gesondert wieder.
Tatort Stadion
„Dadurch, dass das Stadion ein Raum ist, in dem viele Menschen zusammenkommen und der männlich dominiert ist, kann es sein, dass es in gedrängten Situationen zu Übergriffen kommt“, erklärt Brand.
Die Enge auf den Tribünen, die Anonymität im Stadion und der Alkoholkonsum seien weitere Gefahrenpunkte. Zudem seien Machtverhältnisse – egal ob auf der Tribüne oder im VIP-Bereich – ein großes Risiko.
Hilfsangebote der Vereine
„Die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt im Bereich Fußball wurde in den letzten drei oder vier Jahren nochmal aktueller“, sagt Laura Brand. Ein Grund dafür ist das 2019 gegründete Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt. Zum Schutz der Zuschauer*innen entwickelte das Netzwerk ein Konzept für Vereine, Verbände oder Fangruppen. Damit soll es im Stadion künftig sicherer werden.
Ein Beispiel, wie die Umsetzung funktionieren kann, zeigt Borussia Dortmund. Seit der Saison 2020/2021 gibt es das Hilfsangebot „Panama“. Mit der Frage „Wo geht’s nach Panama“ oder dem Codewort „Panama“ bekommen Betroffene in bedrohlichen Situationen Hilfe. Hierfür stehen ein geschultes Team und ein extra eingerichteter Rückzugsort zur Verfügung. Der Verein möchte, dass „eine Achtsamkeitskultur herrscht, in der sich Täter*innen nicht mehr unbeobachtet fühlen.“
Beitragsbild: Unsplash, Waldemar Brandt