Transparenz gewollt, das System verändert – Klimajournalismus, der etwas bewegt

Etwas bewegen. Etwas verändern. Etwas schaffen, das wichtig ist, das Wert hat. Viele angehende Journalist*innen träumen genau davon. Politische Skandale aufdecken, korrupte Chefs von Weltkonzernen stürzen. Eine, die das geschafft hat, ist Hannah Knuth. Sie ist eine, die etwas verändert hat. Und sie ist auch eine, die sagt, verändern wollte sie eigentlich nichts. Sie wollte etwas anderes.

Eine der Geschichten, mit der Knuth etwas bewirkt hat, begann vor etwa drei Jahren mit zwei Hinweisen: einen an Hannah Knuth, einen an Tin Fischer. Sie bezogen sich auf die Umweltorganisation „Plant-for-the-Planet“. Diese pflanzt in Mexiko Bäume für Unternehmen und Privatpersonen. Das Versprechen: so ausgestoßenes CO2 zu kompensieren. Einen Baum für einen Euro, das gute Gewissen gratis dazu. Konnte das stimmen?

Einbahnstraße oder Hauptstraße?

Knuth und ihr Team stürzten sich in monatelange Recherchen. Sie durchforsteten Datenbanken, werteten Satellitenbilder aus. Die Recherchewege waren lang und verzweigt – klassisch für investigative Recherchen, sagt Knuth. Ob man oft das Gefühl hat in eine Sackgasse zu laufen? „Gott, ständig“, antwortet die Journalistin. Sie zitiert ihren Kollegen: „Fahren wir in der Einbahnstraße oder fahren wir gerade auf der Hauptstraße?“ Man müsse es sich erlauben in die falsche Richtung zu laufen und anschließend den ganzen Weg wieder rückwärtszugehen.

Doch sie schienen ein ganzes Stück Hauptstraße zurückgelegt zu haben. Knuth und ihre Kolleg*innen fanden unter anderem heraus, dass die Organisation falsche Angaben zur den bepflanzten Flächen machte. Für große Teile der angegebenen Fläche hatten sie keine Genehmigung, andere standen unter Wasser. Nur eins der gebrochenen Versprechen, die die Journalist*innen aufdeckten.

Das System bricht zusammen

Im Dezember 2020 war es so weit. Die Zeit veröffentlichte den Artikel. Etliche Spenderkonzerne kündigten ihre Kooperationen, darunter Gruner+Jahr und Granini. „Die Erkenntnis, dass wir uns nicht einfach auf vermeintliche Lösungen stützen dürfen, sondern selbst aktiv werden müssen.“ Und: Klimajournalismus, der etwas bewegt, das geht. Da ist sich Knuth sicher. Und es brauche mehr davon.

Das zeigt auch eine ihrer jüngsten Recherchen. Sie betrifft Verra, den weltweit führenden Zertifizierer von CO₂-Kompensationen. Er soll jahrelang Millionen von wertlosen CO2-Zertifikaten an Unternehmen herausgegeben haben. „Ich glaube mit der haben wir am meisten bewegt, weil hinter denen so ein großes System zusammengefallen ist“, so Knuth. Viele Unternehmen hätten ihre Behauptung zurückgenommen, klimaneutral zu sein oder ihre Ziele angepasst, ergänzt sie. Mit dem Rücktritt des Konzernchefs von Verra hat ein einzelner Mensch die Wirkung ihrer Recherche sichtbar gemacht – plastisch, greifbar – und bestätigt.

„Wir berichten, wir machen ja keine Politik“

Zurück in die mexikanischen Wälder zu Plant-for-the Planet. Die Reaktionen auf die Recherchen waren dichotom. So veranstaltete Sat.1 noch im März eine Spendenaktion in Millionenhöhe. Abwendung sieht anders aus. Sie wollen die Partnerschaft erhalten. Wie fühlt sich solch scheinbare Ignoranz gegenüber monatelanger Recherche an? „Ich sage immer, mir ist es egal, wie die Unternehmen oder Politiker Dinge bewerten, die ich recherchiere. Mir ist wichtig, dass das, was ich recherchiere, an die Öffentlichkeit kommt“, so Knuth. Jeder solle sich ein Bild machen können. Sicher wundere sie der Vertrauensvorsprung, wenn Unternehmen weiter an die Änderung und Besserung der Organisation glauben würden. „Aber ich bin ja nicht da, um den Leuten vorzuschreiben, was sie machen sollen, sondern ich bin dafür da, dass sie sich nach bestem Wissen und Gewissen eine Meinung bilden können“, so die Journalistin, „und das liegt wirklich bei jedem selbst.“

„[…] mir ist es egal, wie die Unternehmen oder Politiker Dinge bewerten, die ich recherchiere. Mir ist wichtig, dass das, was ich recherchiere, an die Öffentlichkeit kommt.“

Mit dieser Einstellung ist sie nicht allein. Gesa Steeger ist Journalistin bei Correctiv. Auch sie arbeitet im Bereich des investigativen Klimajournalismus. Auch sie sagt, es gehe ihr darum, eine Faktengrundlage zu schaffen. Und ergänzt: „Damit kann natürlich jeder und jede machen, was er oder sie möchte.“ Sie erzählt von einem Gespräch mit einer Kollegin aus London, die seit Jahren über die Abholzung des Amazonasgebietes schreibt – frustriert. Sie habe Steeger gefragt, wie sie damit umgehe, dass man immer wieder über die gleichen Sachen berichtet und große strukturelle Änderungen ausbleiben. Ihre Antwort: Steeger würde sich freuen, wenn auf Recherchen politische Maßnahmen folgen würden. Dennoch: „Wir sind halt Journalist*innen. Wir berichten, wir machen ja keine Politik.“ Es müsse nicht immer „der große politische Wurf“ sein. Das, was sie will, ist Aufmerksamkeit schaffen, eine Agenda.

Die Mission

Den großen politischen Wurf anzustoßen, das ist Knuth und ihrem Team zwar gelungen. Dennoch – auf die Frage, ob es bei Klimaberichterstattung schwieriger ist etwas zu verändern, antwortet sie: „Also ich würde erstmal sagen, ich will gar nichts verändern. Ich will einfach Transparenz.“ Sie fährt fort: „Ich gehöre nicht zu den Journalistinnen und Journalisten, die sagen, ich bin hier angetreten, um ein System zu verändern oder eine Krise zu lösen.“ Aufdecken lautet ihre Mission. Aber nicht haltungsgetrieben, sondern „ohne, dass dahinter gleich die Absicht steht, jetzt stürzen wir ein System, jetzt stürzen wir einen Politiker, jetzt retten wir das Klima.“

„Ich will gar nichts verändern. Ich will einfach Transparenz“

Das ist es also, was Knuth will. Keine Veränderung, sondern etwas viel Grundlegenderes, etwas, das viel weiter davor liegt. Transparenz. Worte, die auch im Gespräch mit Steeger fallen: Transparenz, Faktengrundlage, eine Grundlage für Diskussionen, strukturelle Probleme rausarbeiten, genau hinschauen, Sachen transparent machen, informieren, Wissenstransfer – und ein drittes Mal – Transparenz.

Und was ist nun mit all jenen, die Journalist*innen werden, weil sie davon träumen, aktiv etwas zu verändern? Ausbünde purer Naivität? Vielleicht. Vielleicht auch nicht, weil es nichts Grundlegenderes für Veränderung gibt, als der Bevölkerung transparent zu machen, was es zu verändern gibt. Wenn sie nur wollen.

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