Kommentar: Degrowth als Bumerang – wie die Idee ihre eigenen Ziele gefährdet

Gerecht, demokratisch, naturverbunden – die Degrowth-Bewegung schmückt ihre Idee mit blumigen Versprechen. Doch dabei verschleiert sie nicht nur, wie unrealistisch ihre Umsetzung wäre. Auch die sozialen Folgen wären dramatisch.

Die Idee klingt schlüssig: Je größer eine Wirtschaft wird, desto mehr Ressourcen verbraucht sie. Dadurch steigt der CO2-Ausstoß. Und je mehr die Wirtschaft wächst, desto mehr Menschen werden ausgebeutet, während einige immer reicher werden. Die logische Konsequenz: Die Wirtschaft muss schrumpfen. Degrowth scheint eine simple Antwort auf komplexe Fragen zu sein.

Eine verlockende Idee

Und dazu eine verlockende. Gegen Ungleichheit, gegen Ausbeutung, gegen Kapitalismus – wahrscheinlich würden die meisten Menschen dieser Stoßrichtung zunächst zustimmen. Doch über all dieser Attraktivität des Konzepts schwebt die Frage: Wie lässt es sich umsetzen?

Der Degrowth-Bewegung scheint dies selbst nicht klar zu sein. Beispiel Verkehr: Während sich die einen für höhere Steuern einsetzen, möchten die anderen Flüge und Autos teilweise komplett verbieten. Über verschiedene Themen hinweg gibt es verschiedene Strömungen mit verschiedensten Ideen – doch ein konkreter Entwurf fehlt. Der wäre allerdings nötig, um die Idee tauglich für einen zielführenden Diskurs zu machen.

Wie soll Degrowth durchgesetzt werden?

Dann würde Degrowth jedoch auf sein nächstes Problem stoßen. Es dürfte wenig realistisch sein, dass die Idee des radikalen Verzichts eine breite Zustimmung gewinnen könnte. Konsens statt Zwang – dieses Prinzip wäre zwar demokratisch, aber auch schlichtweg naiv. Wieder das Beispiel Verkehr: Laut einer aktuellen ADAC-Umfrage begrüßen viele Menschen zwar die Verkehrswende, auf Autos und Flugreisen wollen sie aber nicht verzichten.

Auch die heftige Debatte über das neue Heizungsgesetz hat gezeigt: Eingriffe in den persönlichen Lebensalltag oder gar Verbote sind umstritten – auch, wenn sie der Umwelt zuliebe sind. Parteien, die noch radikalere Einschränkungen in ihre Agenda aufnehmen würden, hätten daher wohl nicht einmal die Chance auf einen Sitz im Bundestag. Sollte sich in Deutschland dennoch eine Mehrheit für die Idee gewinnen lassen, würde dies aber noch lange nicht reichen.

Die ganze Welt müsste mitziehen

Entscheidend wäre nämlich ein globaler Kurswechsel. Klar, Deutschlands Rolle als Klimasünder ist nicht zu unterschätzen. Laut Bundesumweltministerium hat die Bundesrepublik seit der Industrialisierung fast fünf Prozent zur Erderwärmung beigetragen. Und natürlich könnte Deutschland als Vorbild vorangehen, seine Wirtschaftsleistung und somit den CO2-Ausstoß drastisch reduzieren.

Dennoch: Ohne internationale Kooperationen wären die Effekte auf den Klimawandel unbedeutend. Das heißt auch, aufstrebende Nationen aus Afrika oder Asien dürften erst gar nicht den Fortschritt ausleben, der in den westlichen Industrienationen schon seit Jahren gängig ist. Eine anmaßende und zugleich überhebliche Vorstellung.

Vor allem aus sozialer Perspektive ist dies bedenklich. Denn wirtschaftliches Wachstum führt unweigerlich zu mehr Wohlstand. Zwar ist die Kritik berechtigt, dass Wohlstand nicht nur materielle, sondern auch soziale und ökologische Faktoren einbeziehen muss. Allerdings ist Wachstum ein wesentlicher Grund dafür, dass Armut und Kindersterblichkeit in weiten Teilen der Welt zurückgegangen sind. Die steigende Nachfrage nach Produkten aus Entwicklungsländern bewirkt auch, dass genau diese Länder aus ihren sozialen Problemen herauswachsen.

Wirtschaftswachstum bringt Wohlstand

Zugegeben: Der vielzitierte „Wandel durch Handel“ mag sich teilweise als naiv herausgestellt haben. Dennoch ist nicht abzustreiten, dass die positive Entwicklung vieler Schwellenländer auf Exporten basiert. Den Konsum ihrer Abnehmer drastisch einzuschränken, würde diesen Ländern einen Weg zum Fortschritt versperren.

Die Degrowth-Bewegung hat zweifelsfrei recht, dass das bisherige Wirtschaftsmodell an seine Grenzen stößt. Und auch ihre Skepsis, dass sich alle Probleme allein durch Entkopplung lösen lassen, ist begründet. All dies bestätigen auch Energieökonom*innen wie Claudia Kemfert.

Die Lösung muss jedoch ein Zusammenspiel sein. Verzicht – im kleineren Stil als von Degrowth gefordert – auf der einen Seite, effizientere Technologien und Kreislaufwirtschaft auf der anderen Seite. Denn ein radikales Schrumpfen der Wirtschaft ist nicht nur reine Theorie, sondern könnte sich mit seinen Folgen auch als sozialer Bumerang erweisen.

 

 

Beitragsbild: qimono, Pixabay

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