„Frauen in der Politik sind keine Selbstverständlichkeit“

Während die eine noch ihre Rede für den Parteitag zu Ende schreibt, diskutiert die andere über einen Science-Fiction-Film. Zwei unterschiedliche Situationen, zwei unterschiedliche Frauen – was sie verbindet, ist die Arbeit in der Kommunalpolitik.

Auf dem CDU-Parteitag in Bochum ist viel los, ein Blick in die Runde verrät, dass Monika Czyz hier zu den jüngsten Mitgliedern gehört. Ihre Rede schreibt die 24-Jährige erst heute. „Das stresst mich nicht“, erklärt sie mit einem Lächeln. Monika wirkt professionell, sie lacht oft und hat Spaß mit ihren Parteikolleg*innen.Sie ist schon seit zehn Jahren Mitglied bei der CDU und war früher Landesvorsitzende der Schülerunion. Neben ihrer politischen Arbeit studiert sie Theaterwissenschaft an der Ruhr-Uni Bochum. Monika fühlt sich hier wohl und ist mit allen Abläufen beim Parteitag vertraut. Sie unterhält sich, weiß, wann sie die Stimmkarte heben muss, und schüttelt die Hände anderer Mitglieder. Was Monika an der CDU mag: „Den Volkspartei-Gedanken, dass wir einfach sagen, wir machen Politik für alle Menschen und alle Krisensituationen.“

Bei den türkischen Filmtagen im Dortmunder U beginnt gleich ein Science-Fiction Film. Aber noch unterhalten sich die Menschen und im Hintergrund läuft türkische Popmusik. Bei den Filmtagen bekommen Menschen die Gelegenheit, Filmklassiker der türkischen Kinokultur auf der Leinwand zu erleben. Hannah Rosenbaum ist heute als Bezirksbürgermeisterin der Dortmunder Nordstadt zu Gast.Bevor es losgeht, unterhält sie sich aufmerksam mit einem Bürger aus der Nordstadt. Sie findet: „Für mich ist das einfach ein großes Privileg, mit den Menschen im Austausch zu sein.“ Die 35-Jährige hat sich schon früh engagiert. Angefangen hat es mit ihrem Chemiestudium an der TU-Dortmund, da unterstützte sie die Fachschaft. Später wurde Hannah AStA-Sprecherin und war beim deutschen Studierendenwerk aktiv. Mit dem Ende ihres Studiums endete auch das studentische Engagement. Hannah bemerkte schnell: „Da war irgendwie eine Lücke.“ Und so wurde sie Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen.

In der Politik stoßen Frauen auf verschiedene Hürden

Cécile Weidhofer forscht zum Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Politik. Foto: EAF Berlin

Hannah und Monika stecken beide eine Menge Motivation in ihr politisches Engagement. Sie sagen aber auch, dass es nicht immer einfach ist, sich als Politikerin zu behaupten. „In einer Partei wird dir eben nichts geschenkt“, sagt Monika.

Cécile Weidhofer forscht zum Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Politik und arbeitet als Projektleiterin für das Helene-Weber-Kolleg bei der EAF Berlin.Das Kolleg ist die erste deutschlandweite Plattform für Kommunalpolitikerinnen und unterstützt sie unter anderem mit Empowerment-Programmen und Vernetzungsangeboten. Cécile Weidhofer erklärt: „Die Hürden, denen Frauen in der Politik begegnen, sind vielfältig. Zum Beispiel fühlen sich Frauen in politischen Diskussionen häufig weniger ernst genommen oder können das politische Amt nicht mit der Familie und Erwerbsarbeit vereinbaren.“

Die Perspektiven von Frauen gehen verloren

Hannah beschäftigt es, dass es weniger Frauen als Männer in der Politik gibt. Sie sagt: „Je größer der Frauenanteil in der Politik ist, desto mehr verändert sich auch die Art und Weise, wie ich als Frau rede und diskutiere und wie ich wahrgenommen werde.“ Weiter sagt sie: „Wenn bei Entscheidungsprozessen mehr Männer da sind, dann geht uns eine Perspektive verloren.“

Im Deutschen Bundestag sind nur 35,1 Prozent der Abgeordneten weiblich, obwohl etwa die Hälfte der Bevölkerung Frauen sind. Die Lebensrealität von Frauen wird daher nicht ausreichend abgebildet, erklärt Cécile Weidhofer. Die Expertin hört oft: „Es sind doch viel mehr Frauen in den Parlamenten als noch vor 100 Jahren, das wird schon irgendwie.“ Sie antwortet auf solche Argumente: „Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Frauen in der Politik sind. Wir müssen etwas dafür tun.“

Quelle: Deutscher Bundestag

Weibliche Vorbilder fehlen

Ein niedriger Frauenanteil in der Politik bedeutet, dass Vorbilder fehlen. Aus diesem Grund würden Frauen sich oft weniger zutrauen, meint Cécile Weidhofer. Sie erklärt: „Wenn Frauen in der Politik sind, wird auch der Weg für andere Frauen einfacher: Sie haben Vorbilder und sehen, wie man sich für eigene Themen einsetzten kann.“ In Bezug auf ihre Zukunftsplanung würden Frauen deshalb auch seltener über eine politische Karriere nachdenken als Männer, erklärt die Expertin. Das Problem beginnt also schon damit, dass Frauen sich einen Job in der Politik oft gar nicht erst zutrauen. Ein Teufelskreis.

Die Rahmenbedingungen in der Kommunalpolitik seien zudem oft schwer mit familiären Verpflichtungen zu vereinbaren und bieten wenig Flexibilität, stellt Cécile Weidhofer fest. „Das Prinzip der modernen Demokratie, wie wir es kennen, ist unter Ausschluss von Frauen entstanden“, erklärt Weidhofer. Die Rahmenbedingungen unserer Demokratie seien eher auf die Lebensrealität von Männern ausgelegt. In ihrer Studie „Mit Kind in die Politik“ beschreibt Weidhofer zum Beispiel, dass für ehrenamtliche Mandatsträger*innen eine einheitliche Regelung für Elternzeit fehlt. Davon sind besonders Kommunalpolitiker*innen betroffen, die wegen des Mandats keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen können. Die damit einhergehende Herausforderung, wird besonders deutlich bei zeitintensiven Aufgaben, wie zum Beispiel dem Amt von ehrenamtlichen Bürgermeister*innen.

Enttäuschungen gehören dazu

Monika Czyz während ihrer Rede beim Parteitag der CDU Bochum. Foto: Lena Gallay

Beim CDU-Parteitag wird es jetzt spannend für Monika. Sie hat ihre Rede bereits gehalten. Die Mitglieder halten ihre Stimmkarten in der Hand und die Abstimmung beginnt. Wird Monika ein weiteres Mal zur Beisitzerin gewählt?

Konzentriert schreibt sie sich die Ergebnisse auf, alles geht ganz schnell, dann macht sich in ihrem Gesicht Enttäuschung bemerkbar. Monika hat die Abstimmung verloren. „Das gehört eben auch dazu“, sagt sie. Eine Parteikollegin nimmt Monika freundschaftlich in die Arme und kurz darauf kann Monika schon wieder Späße mit den anderen machen.

Sexismus und sexuelle Belästigung

Monika sagt, dass sie sich in der CDU wohlfühlt. Sie erzählt aber auch, dass das im Verlauf ihrer politischen Karriere nicht immer so war. Sie hat in der Partei Erfahrungen mit Sexismus und Belästigungen gemacht. „Für mich ist Sexismus ein großes Problem in der Politik. Das geht von Bemerkungen bis wirklich hin zu Übergriffen.“ Sie hatte damals Angst, offen über ihre Erlebnisse zu sprechen. „Ich hatte Angst, es könnte meine Karriere beschädigen“, erzählt sie.

Auch die Expertin Cécile Weidhofer weiß, dass Sexismus in Parteien ein häufiges Problem ist. Eine Studie der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin (EAF Berlin) 2021 zeigt, dass 60 Prozent der befragten Politikerinnen unter 45 Jahren bereits Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht haben. Die EAF Berlin ist eine unabhängige Forschungs- und Beratungsorganisation, die nach eigenen Angaben eine gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an Führungspositionen fördert. Die Studie zeigt außerdem, dass Politikerinnen quer durch das Parteienspektrum von sexueller Belästigung betroffen sind. Politikerinnen auf Kommunalebene sind dabei seltener von sexueller Belästigung betroffen als Politikerinnen auf Landes- und Bundesebene.

Was ist Sexismus?
Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert den Begriff wie folgt: Sexismus ist die Benachteiligung, Abwertung, Verletzung und Unterdrückung einer Person oder einer Gruppe aufgrund des Geschlechts. Sexismus ist auch die Vorstellung, dass Geschlechter eine Ordnung oder Reihenfolge haben. Zum Beispiel die Vorstellung, dass Männer mehr wert sind als Frauen.
Was ist sexuelle Belästigung?
Sexuelle Belästigung ist eine konkrete Form von unangemessenem Verhalten und ist rechtlich verboten. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wird sexuelle Belästigung folgendermaßen definiert: Ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, dass die Würde der betreffenden Person verletzt, besonders wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Zu den strafbaren Verhalten gehören: unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen.

Eine männlich dominierte Parteikultur

Bei den türkischen Filmtagen ist der Film inzwischen vorbei, Hannah geht auf die Bühne, jetzt startet die anschließende Podiumsdiskussion. Diskutiert wird auf deutsch und türkisch, eine Dolmetscherin übersetzt. Hannah sitzt auf der Bühne mit der Regisseurin Serpil Altin, der Dolmetscherin und dem Drehbuchautor Korhan Ugur.

Hannah Rosenbaum (rechts) bei den Türkischen Filmtagen im Dortmunder U. Foto: Özgür Karadag

Bei der Diskussionsrunde auf der Bühne sind die Frauen in der Überzahl. In der Politik sitzt Hannah häufig in Gesprächsrunden, in denen die Geschlechterverteilung andersherum ist. Häufig sind hier die Männer in der Mehrzahl und die meisten sind älter als Hannah. „Ich hatte schon oft das Gefühl, als Frau weniger ernst genommen zu werden als ein Mann mittleren Alters“, stellt sie fest.

Cécile Weidhofer bestätigt Hannahs Wahrnehmung: „Alle Parteien in Deutschland sind männlich dominiert, auch bei den Grünen, wo es sicherlich noch die größte Anzahl an weiblichen Mitgliedern gibt.“ Die Studie der EAF Berlin zeigt zwar, dass sich in der Parteikultur bereits einiges verändert hat und das Bewusstsein für die Geschlechterungerechtigkeit gestiegen ist. Trotzdem schätzt die Hälfte der befragten Teilnehmerinnen die Diskussionskultur in der Politik als kritisch ein. Die Politikerinnen berichten davon, sich häufig nicht ernst genommen zu fühlen und herabgesetzt zu werden.

Förderprogramme und Frauenquote – Was kann helfen?

Die Lösungen, wie man die Geschlechterungerechtigkeit in der Politik überwinden kann, sind so vielfältig wie das Problem selbst. Cécile Weidhofer sagt: „Es gibt nicht die eine geheime Lösung, man muss einfach viele Ansätze haben.“ Die Expertin hält es für wichtig, Förderprogramme anzubieten und die Frauen zu ermutigen, sich überparteilich zu vernetzen und zu unterstützen. Zudem hält Weidhofer strukturelle Änderungen für wichtig: „Wir müssen über Themen wie Sexismus und passende Rahmenbedingungen sprechen. Und über eine gesetzliche Quotenregelunge.“ Sie ist eine Befürworterin eines Paritätsgesetzes, um so Geschlechtergerechtigkeit in der Politik herzustellen.

Was ist ein Paritätsgesetz?
Ein Paritätsgesetz soll dazu beitragen, dass verschiedene Geschlechter gleichermaßen in politischen und gesellschaftlichen Bereichen vertreten sind. Paritätsgesetze können verschiedene Maßnahmen beinhalten. Häufig führen solche Gesetze feste Quoten für die Vertretung von Geschlechtern ein. Das kann bedeuten, dass Parteien verbindliche Vorgaben haben, mit wie viel Prozent Frauen auf Wahllisten vertreten sein müssen. Befürworter*innen sehen in dem Gesetz einen Beitrag zur Demokratie, denn dadurch könnte zum Beispiel der Frauenanteil in Parlamenten an die 50 Prozent-Marke kommen. Kritiker*innen äußern häufig Bedenken in Bezug auf die Wahlfreiheit und die mangelnde Beachtung individueller Leistungen.

Die Expertin merkt außerdem an: „Ich glaube, was bei der Diskussion ganz wichtig ist: Es geht nicht um eine männliche oder weibliche Dominanz, sondern um Vielfalt, Respekt und Chancengleichheit.“
Auch Kommunalpolitikerin Monika ist davon überzeugt, dass eine Frauenquote helfen würde, Geschlechtergerechtigkeit in der Politik herzustellen. Am Anfang war sie kein Fan von der Frauenquote, erzählt Monika, aber inzwischen hat sich ihre Meinung geändert. „Wenn wir es in den ganzen Jahren nicht geschafft haben, dieses Problem zu lösen, dann können wir nicht mehr die Männer entscheiden lassen, wie wir mehr Frauen in die Politik bekommen, sondern dann müssen wir erst die Frauen in die Vorstände holen und uns dann überlegen, wie wir mehr Frauen als Mitglieder dazubekommen.“ Hannah findet, man müsse außerdem zeigen, dass es kein Hexenwerk ist, sich politisch zu engagieren. Sie versichert: „Wenn man an Politik interessiert ist und immer bereit ist, sich in die Themen einzulesen, dann kann man das schaffen.“

 

Beitragsbild: Monika Czyz & Hannah Rosenbaum, Collage: Lena Gallay

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