Bei Oma wohnen kann sich lohnen – zwei Generationen erzählen

Dank „Wohnen für Hilfe“ leben Waltraud Schreiber und Raffaella Michalski in einer gemeinsamen Wohnung – trotz des großen Altersunterschieds. Hier erzählen sie von ihrem Alltag, vom Probewohnen und wie Kissenbezüge sie einander nähergebracht haben.

Waltraud Schreiber ist Rentnerin aus Koblenz. Raffaella Michalski ist für ihr Studium der BioGeoWissenschaften nach Koblenz gezogen. Seit über zwei Jahren leben die beiden nun schon in einer Wohngemeinschaft. Sie berichten über ihre Erfahrungen mit „Wohnen für Hilfe“ und wie sie ihr gemeinsamen Zusammenleben gestalten.

Wie seid ihr auf das Projekt „Wohnen für Hilfe“ gestoßen?

Waltraud: Ich habe eine Dreizimmerwohnung in Koblenz. Früher habe ich hier mit meinen beiden Söhnen gewohnt und habe jetzt die ganze Wohnung für mich allein. Ich bin auf das Projekt „Wohnen für Hilfe“ gestoßen. Ich fand das sehr interessant und habe Kontakt zu Frau Dommershausen aufgenommen, die das hier bei uns betreibt. Irgendwie hat es aber nie geklappt, sodass ich überhaupt keine Lust mehr hatte irgendwann. Dann habe ich gesagt: „Nee, das mache ich nicht mehr.“ Aber dann hat mich Frau Dommershausen angerufen und gesagt: „Ich habe hier eine Studentin, sie braucht nur für sechs Wochen einen Platz“. Und dann kam Raffaella und die hat sechs Wochen bei mir gewohnt.

Raffaela: Ich war froh, dass es geklappt hat. Ich komme eigentlich aus Siegen. Ich habe mich kurzfristig für´s Studium entschieden und musste hier eine Wohnung finden. Ich habe mich bei zig WGs beworben. Das hat natürlich alles eine Weile gedauert. Ich hatte mir schon vorher Gedanken gemacht, ob es vielleicht möglich wäre, zu den älteren Menschen zuziehen und denen zu helfen. Dann habe ich zufällig einen Flyer von „Wohnen für Hilfe“ entdeckt. Es war so, dass Frau Dommershausen mich erstmal vorübergehend bei ihrer Freundin Waltraud untergebracht hat, weil ich schon Vorlesungen hatte. Und dann hat sich das alles von selbst ergeben.

Habt ihr Zeit gebraucht, um euch aneinander zu gewöhnen?

Raffaella: Anfangs haben wir uns viel unterhalten. Wir haben uns gegenseitig beschnuppert, würde ich sagen. Ich war mal hier, habe mir alles angeschaut. Dann kam das Probewohnen. Am Wochenende bin ich immer nach Hause gefahren. So konnten wir uns langsam an die Situation gewöhnen. Auch nach dem Probewohnen bin ich noch regelmäßig nach Hause gefahren, aber nach und nach bin ich dann auch am Wochenende hiergeblieben.

Waltraud: Mir war wichtig, dass du am Wochenende erst einmal nach Hause fährst. Ich wohne jetzt schon länger allein in der Wohnung. Also habe ich mir gedacht, wenn ich am Anfang das Wochenende allein bin, dann fällt mir die Umstellung leichter.

Raffaella: Es ist doch ganz natürlich, zu denken: „Hoffentlich lande ich nicht bei einer alten grimmigen Oma.“ Aber Gott sei Dank ist alles gut gegangen. Wenn man in einer Wohngemeinschaft lebt, muss man immer ein bisschen Toleranz haben. Man kann sich nicht zu 100 Prozent in allen Dingen verstehen, man muss Kompromisse machen.

Was ist Wohnen für Hilfe?
„Wohnen für Hilfe“ ist ein Vermittlungsprogramm für Wohnpartnerschaften. Meist ältere Menschen bieten ihren Wohnraum jüngeren Menschen an, die im Gegenzug Hilfe im Alltag leisten, um die reguläre Miete zu ersetzen. Dabei lautet die Faustregel: Ein Quadratmeter Wohnfläche für eine Stunde Hilfe im Monat. Das Projekt soll den generationsübergreifenden Zusammenhalt stärken und das gegenseitige Verständnis von Alt und Jung fördern. Ältere Menschen bekommen Unterstützung, während bezahlbarer Wohnraum für Studierende geschaffen wird. So wird der aktuellen Wohnungsnot entgegengewirkt. Das erklären zwei Mitarbeitende des Projekts. Aktuell ist „Wohnen für Hilfe“ in rund 30 Städten in Deutschland vertreten.

Welche Aufgaben übernimmst du, Raffaella?

Raffaella: Unsere Wohnung ist so aufgeteilt, dass ich mein eigenes Zimmer habe. Bad und Küche teilen wir uns. Ich zahle keine Miete. Nur die Nebenkosten. Dafür erledige ich verschiedene Aufgaben im Haushalt. Dazu gehört zum Beispiel das Putzen vom Bad einmal in der Woche. Wir putzen gemeinsam die Fenster oder hängen die Vorhänge auf. Es gibt keine starren Regeln.

Waltraud: Ich bin nicht mehr so sicher auf der Leiter, also hilft Raffaella mir bei allem, was ich mir nicht mehr zutraue. Wir wechseln uns beim Staubsaugen oder anderen Aufgaben ab. Am Anfang hast du den Geschirrspüler ausgeräumt und gefragt, ob du dir dafür 15 Minuten aufschreiben sollst. Denn so ist das bei „Wohnen für Hilfe“. Für eine bestimmte Anzahl Quadratmeter Wohnfläche muss man eine bestimmte Anzahl Stunden helfen. Aber das genaue Protokollieren haben wir schnell sein gelassen.

Wie verbringt Ihr beide eure gemeinsame Zeit?

Waltraud: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Tage, an denen wir stundenlang in der Küche sitzen, Kaffee trinken und über Gott und die Welt reden. Diese Gespräche finde ich besonders bereichernd. Ich interessiere mich dafür, was junge Menschen denken und wie sie die Welt sehen. An anderen Tagen sehen wir uns kaum, weil unsere Zeitpläne sehr unterschiedlich sind.

Raffaella: Unser Tagesrhythmen ist oft gegensätzlich. Ich kann total gut abends lernen. Morgens bleibe ich oft länger in meinem Zimmer. Waltraud steht aber früh auf. Wenn wir uns begegnen, genießen wir die gemeinsame Zeit.

Waltraud: Der einzige feste Plan ist das Badezimmer. Das machen wir jedes Wochenende. Aber alles andere ist sehr spontan. Wir machen oft zusammen den Balkon. Wenn es Zeit ist, pflanzen wir etwas. Wir sind auch schon gemeinsam spazieren gegangen hier in der Nachbarschaft.

Wie gestaltet ihr eure gemeinsame Zeit am liebsten?

Raffaella: Waltraud hat mir das Nähen beigebracht. Ich habe mein Zimmer ein bisschen umgestaltet. Ich konnte nach und nach immer mehr von meiner Persönlichkeit in den Raum bringen. Das Allererste, was wir gemacht haben, war ein Sofaüberwurf.

Waltraud: Ich fand das Sofa so furchtbar. Das war von meiner Mutter.

Raffaella: Alle Möbel sind von Waltraud. Mit ihr habe ich Kissenbezüge für mein Zimmer genäht. Wenn ich etwas nähen möchte, kann ich die Nähmaschine nehmen und es ausprobieren. Waltraud engagiert sich ehrenamtlich in einem Verein. Da organisiert sie ein internationales Essen. Ich war auch schon dort, weil ich Halb-Polin bin.

Waltraud: Und dann gehen wir manchmal zur Kleiderbörsen. Wir haben auch mal eine Modenschau gemacht. Das war total chic.

Raffaella: Und den Türkranz machen wir immer zusammen. Ich dekoriere in meinem Zimmer. Und Waltraud macht es im Rest der Wohnung. Aber den Türkranz – den machen wir immer gemeinsam.

Konflikte gehören zu jedem Zusammenleben. Wie geht Ihr damit um?

Waltraud: Wir hatten bisher keine ernsthaften Konflikte, weil jede ihre Privatsphäre hat. Wenn Raffaella ihre Zimmertür schließt, weiß ich, dass sie Ruhe braucht. Dann gehe ich auch nicht rein.

Raffaella: Ich sehe das genauso. Wir haben beide unsere Rückzugsorte. Natürlich gibt es hin und wieder kleinere Dinge, die wir abstimmen müssen, aber die lösen wir schnell. Es hilft, dass wir beide tolerant sind.

Was sind die größten Vorteile einer Wohngemeinschaft zwischen Alt und Jung?

Raffaella: Ich lebe mit einer Person aus einer anderen Generation zusammen, so habe ich einen anderen Einblick, eine andere Perspektive. Und ich kann viele Parallelen ziehen zu dem, was früher war und was heute ist. Das finde ich sehr lebendig und interessant. Und auch so wichtig. Natürlich ist auch der finanzielle Aspekt ein großer Vorteil, gerade wenn man bedenkt, wie teuer die Wohnungen heutzutage sind. Waltraud hat so viele Geschichten zu erzählen. Im Gegenzug hat sie wieder Leben in der Wohnung.

Waltraud: Es wird gar nicht richtig wertgeschätzt, aber junge Leute haben so viel Energie. Die älteren aber auch. Wenn wir die zusammenbringen könnten, dann könnten wir wirklich etwas bewegen. Ich glaube, das ist ein großer Vorteil solcher Projekte, dass wir mehr auf eine Wellenlänge kommen. Denn wir leben in derselben Gesellschaft. Aber oft fühlt es sich so an, als würden sich die Altersgruppen voneinander entfernen. Das ist problematisch, denn wir hören in den Nachrichten oft, dass alte Leute einsam sind und dass junge Leute einsam sind. Wir können doch einfach miteinander interagieren. Das Projekt ist eine Art Verjüngung für mich.

Ist „Wohnen für Hilfe“ für alle geeignet?

Raffaella: Wer generell bereit ist, mit anderen Personen in einer WG zu wohnen, für die Person kann es etwas sein. Ich bin immer gut mit alten Leuten klargekommen, weil ich als Kind viel Zeit mit meinen Großeltern und meinen älteren Nachbarn verbracht habe. Es ist wichtig, wirklich aneinander interessiert zu sein.

Waltraud: Wenn ich meine Freundinnen frage, sagt die Mehrheit: „Nein, ich teile kein Badezimmer.“ Und die andere Hälfte sagt: „In meine Küche kommt auch keiner.“ Ich glaube, das ist ein großes Hindernis. Ich weiß nicht, woran es liegt. Ich habe überhaupt keine Berührungsängste. Aber anscheinend ist es für manche Leute total wichtig, dass das Badezimmer von niemand anderem benutzt wird, außer vielleicht von Familienmitgliedern. Nun, man muss tolerant sein. Diese Einstellung hat man oder eben nicht.

Raffaella: Man sollte keine Vorurteile haben. Wer sagt: „Die Alten, die sind doch alle langweilig und konservativ.“ Oder: „Die Jugend von heute, das geht nicht.“ So funktioniert das nicht. Wir müssen offen füreinander sein. Ich glaube, wer den Impuls verspürt, das Projekt auszuprobieren, der sollte sich trauen.

 

Beitragsbild: Anne Dommershausen

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1 Kommentare

  1. says: Wilfried Boms

    Die Idee “Wohnen für Hilfe” ist leider noch nicht ausreichend bekannt. Sie gibt Antworten auf viele drängende Fragen und sollte verstärkt zum Zuge kommen. Die Für und Wider kommen im Beitrag gut zum Ausdruck – mit der richtigen Tendenz zum “Ja”.

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