“Wenn er dich angreift, liegt es nur an dir”. Diesen Satz bekam Marleen zu hören, als sie 2016 nach dem Abitur ihr Aupair-Jahr in Mailand begann. Ihr 10-jähriges Au-pair-Kind griff sie körperlich an und beleidigte sie, doch ihre Au-pair-Familie glaubte es ihr nicht. Sie brach ihren Auslands-Aufenthalt ab.
Wie Marleen entscheiden sich Tausende junge Menschen jedes Jahr, nach dem Abitur ins Ausland zu gehen. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Work and Travel, Au-pair oder als Freiwilliger. 8021 Freiwillige wurden in der aktuellsten Erhebung aus dem Jahr 2017 von AKLHÜ e. V., der Fachstelle und Netzwerk für internationale personelle Zusammenarbeit, ins Ausland entsendet. Für die Erhebung wurden ausschließlich staatliche, nicht kommerzielle Entsendeorganisationen befragt.
Marleen war vor ihrer Reise mit positiven Erwartungen erfüllt: “Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich einfach eine schöne Erfahrung habe: Neue Leute kennenlerne, die Sprache lerne und in der Familie helfen kann.” Doch nach zwei Wochen war der Aufenthalt für sie schon zu Ende.Die Konfrontationen wurden ihr zu viel.
Mehr Glück hatte Leonard, der ebenfalls ins Ausland ging. Seine Erwartungen vorher waren gering: “Ich wollte mich nur auf was Neues einlassen und von der deutschen Kultur weg.” Für ihn ging es 2016 für einen Internationalen Jugend Freiwilligendienst auf die Philippinen. Dort half er in einem Kinderheim für Straßenkinder und auf der beiliegenden Reisfarm. Jeden Tag gab es eine neue Aufgabe, auf die er sich einstellen musste, so zum Beispiel auch das Schlachten von Tieren. “Natürlich war es am Anfang erst einmal schockierend und überfordernd. Aber gleichzeitig auch witzig. Es hat sich nicht real angefühlt, sondern wie ein Abenteuer in einem Traum.”
Marleen wurde hingegen schnell mit der Realität konfrontiert: “Ganz am Anfang war es noch total schön. Das Land, die Menschen und auch die Familie.” Doch das änderte sich schnell, als sie merkte, dass die Vorstellungen der Gasteltern ganz anders waren als ihre eigenen. Den Haushalt zu machen und einkaufen zu gehen, das seien die Aufgaben der Frau, sagte ihr Gastvater. So hatte sich die 21-Jährige das nicht vorgestellt.
“Natürlich ist so ein Auslandsaufenthalt mit allen möglichen Herausforderungen und Problemen verbunden”, weiß Daniela Heblik von der Organisation “Weltwärts”, die jedes Jahr Hunderte von Freiwilligen ins Ausland entsenden. Sie sagt, dass die Probleme vielfältig sein können: Heimweh, Probleme beim Einleben oder auch die Sprache. Natürlich stelle auch die Kultur ein großes Problem da. “Warum reagieren Menschen in anderen Ländern so, wie sie reagieren? Viele Freiwillige treffen zunächst einmal auf interkulturelle Differenzen und Missverständnisse.”
Auch Leonard erinnert sich, dass die ganz neue Kultur auf den Philippinen erst einmal gewöhnungsbedürftig war: “Ich musste erst einmal mit dem neuen Essen klarkommen, mit den Menschen oder auch mit der Zeitplanung, denn die ist auf den Philippinen eher gar nicht vorhanden”. Der 20-Jährige war mit einer staatlichen, nicht kommerziellen Organisation unterwegs. Wenn er Unterstützung brauchte, konnte er sich einfach an die Organisation wenden. Mitgenommen aus dem Dienst hat er vor allem auch, dass er vorurteilsfrei Situationen und Menschen begegnen kann: “Ich habe gelernt, manchmal alles auszuschalten, was ich gelernt habe.” Ein Jahr war er auf den Philippinen und bereut es nicht.
Daniela Heblik von “Weltwärts” empfiehlt, bei einem Freiwilligendienst immer einen geförderten zu wählen. Diese sind nicht kommerziell und haben meistens eine Qualitätskontrolle. Die Leistungen bei den Freiwilligendiensten seien ähnlich. Eine ausgiebige Vorbereitung und eine Beratung vor, während und nach dem Dienst. Die Vorbereitung sei das wichtigste, sagt die “Weltwärts”-Koordinatorin: “Es reicht nicht, sich ein bisschen einzulesen. Man muss sich vor allem mit der eigenen Rolle auseinander setzen: Was will ich? Wo will ich hin und was kann und will ich machen?”.
Marleens Vorbereitungen hielten sich in Grenzen. Mittlerweile studiert sie an der FH in Dortmund Soziale Arbeit. “Ich bereue nur, dass ich mir keine andere Familie gesucht habe, aber ich wollte einfach nur nach Hause”, sagt sie im Nachhinein. Erneut ins Ausland zu gehen kann sie sich vorstellen: “Aber dann nur reisen.” Auch Leonard studiert mittlerweile: Psychologie in Groningen. Er kann sich auf jeden Fall vorstellen, erneut ins Ausland zu gehen: “Ich studiere ja gerade schon in den Niederlanden, aber das ist ja nicht so weit weg. Nach dem Bachelor will ich dann doch noch einmal einen Freiwilligendienst machen und eine andere Kultur kennenlernen.”
Beitragsbild: Deanne Ritchie/Unsplash