Was #MeToo von anderen Social-Media-Trends unterscheidet

Seit dem 15. Oktober hat ein neuer Aufschrei das Netz gepackt: Unter dem Hashtag #MeToo setzen Tausende Frauen ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen ab. Auch nach zwei Wochen kommt das sonst schnelllebige Internet nicht zur Ruhe, was den neuen Slogan zu Sexismus angeht. 

In naher Zukunft wird Zeit in Bezug auf Geschlechter(un)gerechtigkeit vermutlich in “BW” und “AW” gemessen – in “before Weinstein” und “after Weinstein”. Der mittlerweile Ex-Hollywood-Produzent wurde von seiner Produktionsfirma vor die Tür gesetzt, nachdem Schauspielerinnen Belästigungs- und Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn vorgebracht hatten. Mit nur einer kurzen Nachricht und einer Aufforderung hat die Schauspielerin Alyssa Milano (bekannt aus “Charmed – Zauberhafte Hexen”) eine große Diskussion im Netz ausgelöst.

Viele Frauen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, posten Beiträge auf Twitter, Facebook und Instagram. Daneben schließen sich auch weitere Schauspielerinnen Milano an. Einige teilen ihre Geschichten von Erfahrungen sexueller Übergriffe, andere wiederum setzen eine ansonsten leere Nachricht ab, in der nur der Hashtag steht. Milanos Schauspiel-Kollegin America Ferrera veröffentlicht beispielsweise eine sehr persönliche Erfahrung, die sie als 9-Jährige gemacht hat.

https://www.instagram.com/p/BaVNRL5DtQm/

Dabei ist es gar nicht Alyssa Milano, die sich #MeToo ausgedacht hat. Zwar steht der Slogan in Zusammenhang mit Weinstein, aber den Hashtag gibt es bereits seit über einem Jahrzehnt. Tarana Burke, amerikanische Aktivistin und Direktorin der Organisation “Girls for Gender Equality”, hat ihn 2006 ins Leben gerufen. In ihrer Jugend ist sie selbst Opfer von sexueller Gewalt geworden und hat es seitdem zu ihrem Beruf gemacht, junge Frauen und Mädchen mit ähnlichen Erfahrungen zu unterstützen.

https://www.facebook.com/MicMedia/videos/1681853775170739/

 

Burke ist der Ansicht, dass sich die Weise, wie über sexuelle Übergriffe gesprochen wird, ändern sollte. Es sei großartig, dass Männer ihre Unterstützung zeigen und mit anderen Männern darüber reden. Was jetzt nötig sei, ist eine offenen Diskussion über gegenseitiges Einverständnis bei sexuellen Handlungen und darüber, was auch Männer tun können, um sexuelle Gewalt zu beenden. Auf die Frage: “What’s next?”, antwortet Burke mit: “Keep going.”

Innerhalb der letzten Tage wurde der Hashtag mehrere Tausend Mal benutzt – pro Stunde. Die zahlreichen Tweets von so vielen Frauen bleibt nicht ohne Wirkung. Auf der Plattform werden auch Männer aktiv und posten unter dem Hashtag #HowIWillChange, was ihrer Ansicht nach tun könnten, um die Situation zu ändern.

Viele teilen die Ansicht, dass sie nicht selbst Täter sein müssen, um sexuelle Gewalt zu fördern. Sie meinen, wenn sie Aussagen über Belästigungen nicht ernst nehmen oder sie bewusst geschehen lassen, dann sei das nicht weniger schlimm.

Man könnte jetzt sagen, dass eine hitzige Twitter-Diskussion bisher nie viel erreicht hat. Außer einem mehrtägigen Tumult im Internet würden selten “echte” Konsequenzen aus Hashtags gezogen, wie etwa beim schnell beiseite gelegten Slogan #aufschrei. Allerdings zeigt sich bei #MeToo schon so etwas wie eine gewisse Hartnäckigkeit. Seit zwei Wochen ist Alyssa Milanos Tweet in Umlauf, und er wird nach wie vor stark benutzt. Statt langsam wieder vergessen zu werden passiert das Gegenteil: Der Slogan breitet sich sogar in der EU-Politik aus.

Am Mittwoch hat die deutsche Grünen-Abgeordnete Terry Reintke im EU-Parlament die Initiative ergriffen und ein #MeToo-Plakat auf ihrem Platz aufgestellt. In einer Rede sagt die Politikerin: “Auch ich wurde sexuell belästigt, wie Millionen von Frauen in der EU.” Sie fordert Gesetze, die die Bewohner Europas stärker vor sexuellen Übergriffen schützen. Im Anschluss an die Rede diskutierten die Europa-Abgeordneten deshalb über eine Stunde lang und gelangten zu einem fraktionsübergreifend Konsens: Jemand von außerhalb muss die Belästigungs- und Vergewaltigungsvorwürfe im Parlament untersuchen. Es sind aber nicht alle einer Meinung, wenn es um den Slogan geht. Die deutsche Schauspielerin Nina Proll etwa kann überhaupt nichts damit anfangen und münzt den Hashtag zu #not me um.

https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=1309003962555410&id=311201199002363


Wäre die Schauspielerin jemals durch “mächtige” Männer in ihrer Karriere sexuell belästigt worden, würde sie sich “schämen, damit jetzt hausieren zu gehen, gerade vor jenen Frauen, denen tatsächlich Gewalt widerfahren ist”. Proll spricht dabei abwertend über “Schauspielerinnen, die behaupten, sie hätten Unzumutbares ertragen müssen”. Diese hätten im Vergleich zu denjenigen Frauen, “denen tatsächlich Gewalt widerfahren ist” die Wahl, wie weit sie gehen wollten, um eine Rolle zu bekommen.

Prolls Ansicht nach ist es also Einstellungssache, was als Sexismus und was als “erfreuliche sexuelle Annäherungsversuche” zu sehen ist. Damit vertritt sie eine Meinung, die auch auf positive Resonanz trifft. Der Stratosphären-Springer Felix Baumgartner hat ihren Post geteilt und mit den Worten kommentiert: “Nina Proll ist einfach toll! (…) Danke Nina für deine ehrlichen Worte und die gesunde Einordnungen dieses Problems. Wir brauchen starke Frauen wie dich, denn die können sich jederzeit selber wehren und das schätzen und respektieren wir Männer am meisten.”
Starke Frauen, die sich selbst verteidigen und nicht sexuell belästigen lassen sind mit Sicherheit auch einer der Wünsche von Feministen und Feministinnen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob ein Extremsportler, der sich bereits in der Vergangenheit mit einem eher konservativen Frauenbild hervorgetan hat, die richtige Person ist, um für alle Männer zu sprechen.

Egal, wie man zu #MeToo steht: Die intensive Debatte um den Hashtag zeigt, dass er einen wunden Punkt berührt. Für die Einen ist eine bestimmte Handlung oder Aussage sexistisch, für andere wiederum nicht. Wie so oft ist alles Interpretationssache. Aber auf Eines können wir uns einigen: Alles, was jemanden – egal ob Frau oder Mann – sich unwohl fühlen lässt, geht nicht in Ordnung. Was wir brauchen, ist eine offene, und zwar wirklich offene und ernstzunehmende, Diskussion darüber, was Höflich und was Unangebracht ist. Denn das Problem, das der Hashtag #MeToo beschreibt, ist ein aktuelles. Noch immer werden Frauen wie auch Männern, die in der Öffentlichkeit stehen, intimste Fragen gestellt.

Teaser- und Beitragsbild: pixabay/surdumihail lizenziert nach CC

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