In der Corona-Krise ist eine andere Pandemie in Vergessenheit geraten: Aids. Weltweit geht die Bekämpfung von HIV zurück. Gleichzeitig gibt es allein in Nordrhein-Westfalen etwa 18.000 Infizierte. Am Welt-Aids-Tag haben wir mit einem Betroffenen gesprochen.
Seit Beginn der Corona-Pandemie im März gibt es laut der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) einen massiven, anhaltenden Rückgang bei der Durchführung von HIV-Tests. “Die Corona-Krise hat die Bekämpfung von HIV bereits jetzt erkennbar verlangsamt – vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen”, erklärt Jan Kreutzberg, Geschäftsführer der DSW. In Uganda beispielsweise habe sich die Zahl der durchgeführten HIV-Tests seit März verringert – im April um 40 Prozent.
Wir dürfen nicht zulassen, dass die Eindämmung von HIV und Aids auf das Abstellgleis gerät.
Laut eines aktuellen Berichts der Vereinten Nationen (UN) sind zentrale Dienstleistungen an Menschen mit HIV durch Covid-19 gestört. Am Dienstag sollen anlässlich des Welt-Aids-Tages die Themen HIV und Aids wieder mehr in den Fokus rücken.
Max (24) hat im Oktober 2015 seine Diagnose bekommen – HIV positiv. Damals war er 19 Jahre alt und studierte Pharmazie in Jena. Er könne sich noch sehr gut erinnern, wie ihn eine Krankenpflegerin im Wartezimmer aufrief, erzählt er. Sie habe ihm gesagt, sie hole noch schnell die Ärzte dazu. Das sei für ihn der Moment gewesen, an dem klar war, dass das Ergebnis nicht negativ sein kann. Er beschreibt das Gefühl so, als würde man gegen eine Wand laufen oder als würde einem die Luft ausgehen.
Im vergangenen Jahr haben sich laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts in NRW etwa 540 Menschen infiziert. Das waren rund 30 Fälle mehr als 2018. Die Anzahl der an den Folgen verstorbener Menschen ist um 8,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 73 Fälle gesunken. Das teilte das Statistische Landesamt am Montag mit. In Dortmund schätzt die lokale Aidshilfe die Zahl der HIV-positiven Personen auf circa 600 bis 700. Belastbare Daten gebe es aber nicht, sagt Janosch Iselhorst von der Aidshilfe.
Diskriminierung ist oft Normalität
Max’ Leben hat sich mittlerweile normalisiert. Viermal im Jahr muss er zum Infektiologen und einmal täglich muss er eine Tablette einnehmen. Ansonsten habe sich kaum etwas verändert, sagt er. Als er seinen Freund:innen und seiner Familie davon erzählt hat, sei er auf viel Verständnis und Unterstützung gestoßen. Allgemeinen Vorurteilen oder Diskriminierung im persönlichen Umfeld sei er nicht begegnet.
Der Studie positive Stimmen* von der Deutschen Aidshilfe zufolge ist er damit jedoch Teil der Minderheit. 77 Prozent der mehr als 1000 Befragten gaben 2012 an, Diskriminierung erfahren zu haben. Darunter fallen Tratsch und Beleidigungen, aber auch körperliche Angriffe.
Diskriminierung ist auch im Gesundheitswesen keine Seltenheit. 20 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen im Vorjahr medizinische Behandlung verweigert wurde. Auch sonst gibt es demnach oft überzogene Hygienemaßnahmen oder abfällige Kommentare.
Unnötige Belehrungen und sarkastische Kommentare
Das hat auch Max erlebt. Bei der betriebsärztlichen Untersuchung habe der Arzt gar nicht gewusst, wie er mit der Situation umgehen sollte, berichtet der 24-Jährige. Am Ende habe es nur unnötige Belehrungen gegeben – und das, obwohl Max noch nicht einmal dazu verpflichtet ist, davon zu erzählen. Bei einer anderen, von HIV unabhängigen, Untersuchung habe ihn der Chefarzt lediglich sarkastisch gefragt, wie er das denn geschafft habe.
Allgemein hat Max in den vergangenen fünf Jahren allerdings einen Fortschritt bemerkt. Die Menschen seien viel aufgeklärter, betont er. Die Einführung der Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) habe den Menschen zusätzlich Angst genommen. Durch die Einnahme dieser Pille soll eine Infektion mit dem HI-Virus vorgebeugt werden.
„Das Wichtigste war am Anfang für mich, Support zu haben“
Für Max war die Unterstützung seines Umfeld anfangs eine große Hilfe. Da ein Freund von ihm kurz vorher ebenfalls mit HIV diagnostiziert wurde, hatte er einen Ansprechpartner. Er konnte ihm helfen, mit ihm reden und vor allem verstehen.
Doch nicht alle Menschen mit HIV haben direkt diesen Zugang und diese Art von Hilfe. Max verweist deshalb auf die lokalen Aidshilfen – wie etwa in Dortmund.
Der Verein Aidshilfe Dortmund hat ein breites Angebotsspektrum. Neben Präventionsworkshops in Schulen oder der allgemeinen Beratung gibt es zum Beispiel das caféplus, ein Selbsthilfe- und Begegnungszentrum. Seit 2015 können sich hier HIV-infizierte Menschen, Angehörige oder Freund:innen treffen und ihre Erfahrungen austauschen. Mit dem Buddyprojekt der deutschen Aidshilfe sollen neu auf HIV getestete Personen mit Menschen, die schon länger mit dem Virus leben vermittelt werden. Die stehen ihnen dann als Ansprechpartner:innen zur Seite, wie es für Max eben sein Freund war.
Angleichung an Corona-Strategie?
Max wünscht sich bei der Bekämpfung des HI-Virus eine Angleichung an die Strategie gegen Covid-19. Testen sei hier das Wichtigste: Die Leute herausfiltern, die das Virus in sich tragen und es dann dort bekämpfen.
Die DSW knüpft ebenfalls an die Corona-Pandemie an und erhofft sich ähnliche Anstrengungen bei der Entwicklung und Forschung für Medikamente und Medizinprodukte zur HIV-Prophylaxe und Behandlung. Zusätzlich soll die Gesundheitsversorgung für alle ermöglicht werden und Gleichberechtigung hergestellt werden. „Um insbesondere Mädchen und Frauen vor einer HIV-Infektion zu schützen, braucht es Präventionsmaßnahmen wie umfassende Sexualaufklärung, einen besseren Zugang zu Kondomen und einen höheren Schutz vor sexualisierter Gewalt”, erklärt DSW-Geschäftsführer Jan Kreutzberg.
Im 10-Punkte-Programm der UN werden Maßnahmen aufgelistet, die die Aids-Epidemie bis 2030 ausrotten sollen. „Advancing the three zeros“ heißt es im Global Aids Update 2020: Null neue HIV-Infektionen, Null Diskriminierung und Null Tote durch die Folgen von HIV oder Aids.
Im Jahr 2019 lag die Zahl der Neuinfektionen mit HIV bei Erwachsenen bei schätzungsweise 1,7 Millionen. Das sind in etwa 23 Prozent weniger als 2010 – da waren es noch 2,1 Millionen Neuinfektionen.
“Habt keine Angst”
Max Botschaft ist vor allem eine: Nicht so viel Angst haben. „Habt keine Angst vor Menschen, die HIV-positiv sind und das wissen“, sagt er. Denn wenn man von der Infektion wisse, könne sie behandelt werden – mit Medikamenten sind Infizierte nicht mehr ansteckend.
Gefährlich wird es nur bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr und ohne regelmäßige Tests. Denn nur ein Test bringt Gewissheit. Und egal ob positiv oder negativ: „Beides sind Dinge mit denen man umgehen kann.“
Beitragsbild: Archiv/Pia Billecke