Petitionen haben schon häufig dafür gesorgt, dass sich wichtige Dinge in der Politik ändern. Sie sind eine gute Möglichkeit für alle, sich demokratisch einzubringen. Aber was geschieht eigentlich mit einer Petition, nachdem man sie eingereicht hat?
Es ist ein Donnerstagnachmittag im Mai. Eine kleine Gruppe von Menschen hat sich an den Westfalenhallen versammelt. Dort trifft sich der Stadtrat für eine Sitzung. Diese Menschen haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen ihr Freibad erhalten. Die Initiatorin ist Petra Schulte-Fischedick. Sie hat im Januar 2021 eine Petition gestartet, um eine mögliche Schließung des Freibads Stockheide in der Dortmunder Nordstadt zu verhindern. Damit diese Forderung nicht nur auf einem Stück Papier bleibt, möchte sie diese Oberbürgermeister Thomas Westphal persönlich übergeben.
Zur Kundgebung sind zwar nur wenige gekommen. Online hat die Initiatorin für ihre Petition allerdings knapp 1700 Unterschriften gesammelt. Schulte-Fischedick hatte in der Zeitung gelesen, dass das Freibad in diesem Jahr nicht aufmacht. Die Sorge darüber, dass es dauerhaft geschlossen bleiben könnte, brachte sie dazu, politisch aktiv zu werden. Eine Petition hat sie zum ersten Mal gestartet.„Ich konnte überhaupt nicht absehen, wo das hingeht. Ich habe einfach gedacht: ‚Man muss doch irgendetwas tun. Mal schauen, wohin wir kommen.‘“
Gekommen ist sie bis zum Oberbürgermeister der Stadt. Während der Kundgebung kann sie Westphal tatsächlich ihre Petition übergeben und er hält sogar eine kurze Ansprache an die Gruppe. Schulte-Fischedick sagt er zu, dass er sie in konkrete Pläne für Stockheide mit einbeziehen werde. Für die Initiatorin ist das ein Zeichen der Wertschätzung. „Ich glaube, dass es auf jeden Fall gut war, darauf aufmerksam zu machen, dass auch das Freibad im Dortmunder Norden eine Menge Unterstützung hat.“
Jeder Ausschuss hat eigene Regeln
Petitionen sind nicht nur ein Thema für die Lokalpolitik. Das Verbot von „Upskirting“, die Ausweitung der Regelstudienzeit während der Corona-Pandemie, das Plastiktütenverbot in Supermärkten ab 2022: Unzählige Petitionen haben schon etwas geändert. Egal, ob es ganz Deutschland betrifft oder die eigene Stadt. Über Petitionen können Bürger*innen eigene Ideen einbringen oder politischen Entscheidungen entgegenwirken, wenn sie mit ihnen nicht einverstanden sind. Wie wichtig das Petitionsrecht ist, zeigt der Blick ins Grundgesetz. In Artikel 17 heißt es:
Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.
So wichtig diese Möglichkeit ist, so kompliziert erscheint die Umsetzung. Denn es gibt für jeden Petitionsausschuss eigene Regeln. Das beginnt mit den unterschiedlichen Vorgaben auf Gemeinde-, Länder- und Bundesebene. Menschen, die sich dem Thema zum ersten Mal widmen, kommen so schnell durcheinander. So ging es zum Beispiel der Dortmunder Studentin Liliane Kozik. Die 21-Jährige hat vergangenes Jahr mit zwei Freundinnen eine Petition gestartet. Gemeinsam haben sie sich dafür eingesetzt, dass die Laienreanimation an weiterführenden Schulen in NRW dauerhaft unterrichtet wird.
Da Bildungspolitik Ländersache ist, hat sie sich an den Petitionsausschuss in NRW gewandt. Schon die Vorbereitung sei eine Herausforderung gewesen. „Ich hatte die Sorge, dass kleine Feinheiten dafür sorgen, dass der Petitionsausschuss unseren Vorschlag nicht annimmt“, sagt Kozik. Sie habe schon einige „Horrorgeschichten“ von Menschen gehört, deren Petition an kleinen Details gescheitert seien. „Da war ich natürlich sehr verunsichert.“ Sie hätte sich vom Ausschuss in NRW gewünscht, dass dieser den Vorgang auf seiner Webseite noch detaillierter erklärt. Um sicherzugehen, dass sie ihre Petition formgerecht einreicht, hat Kozik viel recherchiert.
Herausgefunden hat sie, dass sich die Regeln zum Beispiel darin unterscheiden, ob und wie die Ausschüsse der einzelnen Bundesländer Onlineunterschriften akzeptieren. Teilweise ist es möglich, dass Petent*innen ihr Anliegen persönlich vor dem Ausschuss vortragen – manchmal benötigen sie dafür eine bestimmte Zahl an Unterschriften.
Der Petitionsausschuss NRW: beschäftigt wie nie zuvor
Wenngleich jedes Bundesland seine eigenen Regeln hat, ist die Grundstruktur der Ausschüsse überall gleich. Das Wichtigste für Kozik war: Sie musste ihre Petition schriftlich und unterschrieben einreichen.
Ihr Ansprechpartner, der Petitionsausschuss des Landtags in NRW, besteht aus 21 Mitgliedern. Serdar Yüksel ist seit mehr als zehn Jahren Abgeordneter im Ausschuss und seit der vergangenen Wahl 2017 Vorsitzender. Für den Bochumer SPD-Politiker sind Petitionen eines der wichtigsten Werkzeuge der Demokratie. „Ich habe mir geschworen: Wenn ich mal Politiker werden sollte, dann gehe ich in den Petitionsausschuss, um den Menschen auch konkret helfen zu können“, sagt Yüksel. Im vergangenen Jahr erreichten ihn mehr als 7000 Petitionen. Das waren deutlich mehr als in den Jahren zuvor.
Yüksel schreibt diese Entwicklung vor allem den verordneten Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie zu. „Es gab ein großes Akzeptanzproblem in manchen der Entscheidungen, die von der Exekutive ausgeführt wurden. Und das hat zu einigen Beschwerden beim Petitionsausschuss geführt.“
Deshalb sieht Yüksel das Gremium als eine Art Seismograf. Statt Erdbeben misst der Ausschuss die Stimmung in der Bevölkerung. „Wir bekommen als erste mit, wenn dieser Seismograf in die eine oder andere Richtung ausschlägt.“ Auch deshalb hält er den Petitionsausschuss „für den vielleicht wichtigsten Ausschuss des Landtages“.
Bereits eine Unterschrift reicht aus
Wie viele Unterschriften eine Petition hat, ist in NRW irrelevant. „Bei uns ist eine Unterschrift ausreichend, damit sich das Parlament mit einem Anliegen befasst“, sagt Serdar Yüksel. So ist es in allen Bundesländern. Sobald ein*e Petent*in ein Anliegen formgerecht einreicht, muss sich der jeweilige Ausschuss darum kümmern. Dieser achtet auch darauf, dringende Anfragen zuerst zu beantworten, damit er allen Petent*innen sinnvoll helfen kann.
Viele Unterschriften zeigen jedoch, dass auch viele Menschen hinter der Petition stehen. Zudem ist die Zahl an Unterschriften im Bundestag ein entscheidendes Kriterium. Wer mehr als 50.000 Unterschriften sammelt, erhält eine Redezeit vor dem Petitionsausschuss. Dieses „Quorum“ gibt es neben dem Bundestag nur in Thüringen und Schleswig-Holstein. In NRW entscheidet der Ausschuss selbst, welche Petent*innen er einlädt. Für Kozik ist das ein legitimes Vorgehen. „Wenn jedes Mal jemand vorsprechen dürfte, würde das die Kapazitäten übersteigen.“
Hinter Petitionen stecken persönliche Geschichten
Mit ihrer Petition wollte Liliane Kozik nicht nur die Aufmerksamkeit der Landtagspolitiker*innen auf das Thema lenken. Für sie ist die Laienreanimation ein persönliches Anliegen. Denn sie hatte selbst einen Herzfehler. Bei ihr bestand dauerhaft die Gefahr des Kammerflimmerns. „Die Hauptursache, warum die Menschen einem nicht helfen würden, ist, dass sie Angst davor haben, etwas falsch zu machen.“ Seit 2017 beschäftigt sie sich mit dem Thema, 2018 hat sie das Projekt „Herzsicherheit an Schulen“ gegründet.
Auch Petra Schulte-Fischedick hat mit ihrer Petition um etwas Persönliches gekämpft. Vor mehr als 20 Jahren ist sie mit ihrem Partner nach Dortmund gezogen. Schon damals hat sie das Freibad immer wieder besucht. Mittlerweile geht sie mit ihrer Tochter jeden Sommer hin. Für sie ist es ein Ort, um Freund*innen und Bekannte zu treffen. „Das fände ich total schade, es würde hier einfach fehlen.“
Unterstützung durch Gemeinschaft
Mit diesen Anliegen hätten sich beide auch direkt an Politiker*innen wenden können. Doch für beide war vor allem eins wichtig: Aufmerksamkeit generieren.
„Petitionen sind ein gutes Mittel, mit dem man Menschen zusammenbringen kann, die nicht einer gemeinsamen Gruppe angehören, die aber ein gemeinsames Anliegen haben“, sagt Petra Schulte-Fischedick. Auch Liliane Kozik hat durch die Unterschriften zeigen können, dass nicht nur sie hinter dem Projekt steht. „Wir haben die Petition gestartet, damit es eine Stimme aus der Bürger*innenschaft gibt, die sagt, dass dieses Modellprojekt wichtig ist.“
Innerhalb von fünf Monaten hat sie online etwas mehr als 1000 Unterschriften sammeln können. Ohne die Corona-Beschränkungen hätte sie mit wesentlich mehr Stimmen gerechnet. Sie wollte Aktionen organisieren, um Leute auf der Straße gezielt anzusprechen und mit ihnen Reanimationen zu üben. Etwas mehr Resonanz hätte sie sich gewünscht – vor allem mit Blick auf andere Petitionen, die zeitgleich liefen. „Es ist schade, wenn eine Petition, die Jens Spahn absetzen will, mehr Unterschriften hat als eine Petition, bei der es um Menschenleben geht.“
Abgeordnete als “Anwälte der Bürger*innen”
Nachdem Kozik ihre Petition eingereicht hatte, war für sie der größte Teil der Arbeit erledigt. Für den Ausschuss ging sie erst los. Dabei ist der Ablauf bei jeder Petition identisch: Zuerst kontrolliert der Ausschuss, ob die Petition ordnungsgemäß eingegangen ist, also ob sie schriftlich vorliegt und unterschrieben ist. Ist das der Fall, schauen die Mitglieder, worum es geht. Jede*r Abgeordnete des Petitionsausschusses in NRW hat Expertise in bestimmten Bereichen. Je nachdem, welches Thema betroffen ist, betreut es ein*e bestimmte*r Abgeordnete.
Nachdem der Ausschuss Koziks Thema angenommen hatte, forderte er eine Stellungnahme der Einrichtung an, die von der Petition betroffen war. In Koziks Fall war es das Schulministerium. Als diese Stellungnahme vorlag, prüfte der Ausschuss, ob die Sachlage damit schon eindeutig war oder ob noch Punkte offen waren. Falls auf dieser Grundlage noch keine Entscheidung möglich gewesen wäre, hätte der Ausschuss Kozik noch zu einem „Erörterungsgespräch“ eingeladen. Bei manchen Petitionen schauen sich die Mitglieder die Situation auch vor Ort an und treffen daraufhin eine Entscheidung.
Bei Koziks Petition brauchte es kein solches Gespräch, da der Sachverhalt eindeutig war. Die Petentin hat sich während des gesamten Vorgangs vom Petitionsausschuss ernstgenommen gefühlt. „Ich habe gemerkt, dass es ihnen wichtig war, dass ich mein Anliegen einbringe“, sagt sie. Sie habe im Vorfeld mehrmals mit dem Petitionsausschuss telefoniert und sich stets gut beraten gefühlt. Außerdem habe sie das Gremium immer wieder über den aktuellen Stand der Bearbeitung informiert. Nachdem die zuständigen Mitglieder alle Einzelheiten geklärt hatten, stellten sie die Ergebnisse dem Ausschuss vor. Nach der gemeinsamen Beratung trafen alle Abgeordneten eine Entscheidung, die sie Liliane schriftlich mitteilten: „Dem Anliegen der Petentin wird umfassend Rechnung getragen.“ Der Landtag hat entschieden, das Modellprojekt an weiteren Schulen in NRW als Regelangebot fortzusetzen. Davor gab es an einigen Schulen schon Modellprojekte.
Beide Petentinnen würden es nochmal machen
„Ohne Petitionen gibt es keine Demokratie“, sagt Serdar Yüksel. „Man sollte dieses verfassungsgemäße Recht der Petitionen viel mehr bekannt machen, damit viel mehr Menschen von diesem Recht Gebrauch machen.“
„Es wäre wichtig, dass noch transparenter wird, was genau mit der Petition geschieht“, sagt Liliane Kozik. „Wie läuft das ab? Wie wird darüber beraten?“ Das sind Fragen, die für sie nicht offen sein sollten. Außerdem ist sie der Meinung, dass Petitionen auch politische Debatten auslösen können.
„Es gibt Themen, die die Parteien gar nicht berücksichtigen. Hier können wir als Gesellschaft auch Themen anregen und sagen: ‚Hey, das ist wichtig, da müsst ihr draufschauen!‘“
Petra Schulte-Fischedick sieht in ihrer Petition neben Aufmerksamkeit, die sie für das Freibad erzielen konnte, einen weiteren Zweck: „Das hat sich für mich zu einer Chance entwickelt, meiner Tochter zu zeigen, was wir in einer Demokratie für unsere Überzeugungen tun können. An diesem konkreten Anliegen hat sie gesehen: Wir können uns dafür einsetzen, wir werden gehört – und sogar der Oberbürgermeister kommt.“
Beitragsbild: David Rückle