Schluss mit westlicher Wissenshoheit – warum wir einen Lehrstuhl für Black Studies brauchen

Foto: Unsplash, Nathan Dumlao

Auf kurt.digital schreiben wir regelmäßig E-Mails. Diese geht an Karin Prien, Vorsitzende der Kultusministerkonferenz. Das deutsche Hochschulsystem ist noch immer stark westlich geprägt: Wissen wird aus einer europäischen Sicht vermittelt. Das hilft dem Kampf gegen Rassismus nicht, findet unsere Autorin. Deshalb fordert sie einen Lehrstuhl für Black Studies.

 

Sehr geehrte Frau Prien,

im Mai 2022 erschien die erste Studie des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors. In der Studie bestätigen 90 Prozent der Deutschen, dass es in Deutschland Rassismus gibt.

Es kann nicht schaden, zu untersuchen und darüber aufzuklären, wie die Bevölkerung Rassismus hierzulande wahrnimmt. Viel wichtiger wäre es aber, unsere koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten und die Institutionen zu verändern, die immer noch davon geprägt sind. Das gilt vor allem für Hochschulen: Bis heute wird dort europäisiertes, zum Teil rassistisches Wissen vermittelt. Dieses Wissen prägt das Denken der Studierenden, Forschenden und Lehrenden und damit den gesellschaftlichen Diskurs, den wir führen.
Ein erster Schritt, dem entgegenzutreten, wäre, einen Lehrstuhl für Black Studies zu gründen. Den gibt es Deutschland nämlich nicht.
Zwar haben die Studierenden bei uns die Möglichkeit, sich mit nicht-westlichen Kulturen auseinanderzusetzen, zum Beispiel in den transkulturellen Studien an der Universität Bremen. Gelehrt wird aber aus einer westlichen, eurozentristischen Perspektive. Wenn die Lehre dann noch überwiegend von weißen Menschen gestaltet wird, bedeutet das, dass Wissen gefiltert und Perspektiven verschlossen werden. Die afrozentrische Perspektive der Black Studies könnte den Diskurs um unsere koloniale Verantwortung verändern und dazu beitragen, Bildung zu dekolonialisieren.

Frau Prien, mit Black Studies könnte im deutschen Hochschulbetrieb ein wissenschaftliches Netzwerk entstehen, das Zugänge ermöglicht und diverse Perspektiven umfasst, die über Europa hinausgehen und damit unsere Wahrnehmung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig beeinflussen.
In den USA gibt es bereits Programme für Black Studies und natürlich kann man aus bereits etablierten Angeboten lernen. Deutschland hat aber seine eigene koloniale Vergangenheit und es braucht einen Ort, wo Schwarze Geschichte, Kultur, Diskriminierungserfahrungen und Empowerment regional und wissenschaftlich reflektiert werden können. Immer wieder hat es hierzulande Bestrebungen gegeben, Black Studies einzuführen. Beispielsweise von Berlin Postkolonial oder den Berliner Jungsozialist*innen – bisher ohne Erfolg.

Die Uni Köln hat darüber hinaus im April die erste Rektoratsbeauftragte für Rassismuskritik in Deutschland ernannt. Die beauftragte Professorin wird zum einen interne Beratungsstrukturen für Studierende und Beschäftigte aufbauen, die rassistisch diskriminiert werden. Zum anderen wird sie die Forschung, Lehre und Verwaltung rassismuskritisch untersuchen.
Institutionen erkennen also das Problem. Gehen auch Sie darauf ein, indem Sie Ressourcen für den bundesweit ersten Lehrstuhl für Black Studies zur Verfügung stellen.

Mit freundlichen Grüßen
Clara Quebbemann

 

Ein Interview mit Dr. Natasha A. Kelly zum Thema Black Studies an deutschen Universitäten gibt es hier.

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