Viele Studierende sind in der Corona-Krise in finanzielle Not geraten. Eigentlich sind sie auf Nebenjobs angewiesen, die sind jetzt weg. Bund und Länder unterstützen. Doch an den Hilfen gibt es Kritik.
Montagmittag, Anfang Juni in Bonn. Vor dem Hauptsitz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) protestieren Studierende aus NRW. Mit Lautsprechern und selbstgebastelten Pappschildern wollen sie auf ihre Lage aufmerksam machen. Auch in anderen deutschen Hochschulstädten formiert sich an diesem Tag der Protest. So auch in Dortmund und Mainz. Auf den Plakaten in Mainz steht: „Karlicz-Exit“ oder „Karliczek – Bildungsschreck“. Daneben ist das Konterfei der Bildungsministerin Anja Karliczek abgebildet, wie die Aufnahmen der Demo von Bonner Generalanzeiger und Tagesschau zeigen. Die Studierenden fühlen sich von ihr und der Politik vergessen.
Auch der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) in Dortmund ist alarmiert: „Bei einer Umfrage an der TU Dortmund, an der 300 Studis teilgenommen haben, kam heraus, dass sich 54 Prozent das nächste Semester nicht mehr leisten können“, berichtet AStA-Sprecher Marcel Skorupa.
Und Dortmund ist kein Einzelfall: Die Arbeitsgemeinschaft der Studierendenwerke in NRW schätzt, dass etwa 40.000 Studierende in NRW von akuter, finanzieller Not betroffen sind. Deutschlandweit könnten es 750.000 Studierende sein. Verlässliche Zahlen gibt es allerdings nicht, da es keine zentrale Anlaufstelle für Studierende in finanzieller Not gibt.
Die Hilfsangebote kamen spät
Die Lage ist ernst. Der Corona-bedingte Lockdown in Deutschland führte dazu, dass Restaurants, Cafés und Museen Ende März schließen mussten. Dazu trifft viele Unternehmen die wirtschaftliche Rezession. Die Folge: Studierende verloren ihre Nebenjobs und gerieten in finanzielle Not.
Erst seit Anfang Mai stehen Hilfen wie ein zinsfreies Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zur Verfügung. Hilfen über die Studierendenwerke können Studis sogar erst seit Mitte Juni beantragen. Viele Studierende mussten also zwei oder drei Monate ohne Einnahmen überbrücken. Einzige Hilfsangeboten waren oft Darlehen von Asten oder Spenden.
Für Hilfen aus sozialen Sicherungssystemen kommen Studierende oft nicht in Frage: Sie können beispielsweise kein Kurzarbeitergeld erhalten und werden daher häufiger gekündigt. Auch auf Hartz IV haben Studierende keinen Anspruch. Während eines Studiums darf niemand Arbeitslosengeld II beziehen. Einzig Wohngeld können Studis beantragen, wenn sie für eine Bafög-Förderung abgelehnt werden.
Das Deutsche Studierendenwerk kritisiert deshalb vor allem, wie lange es dauerte, bis die Politik tatsächlich Maßnahmen beschloss. Das teilt Pressesprecher Stefan Grob mit. Das BMBF weist diese Kritik zurück: „Das BMBF hat von Beginn der Pandemie in Deutschland an geeignete Maßnahmen getroffen, um Studierende bei pandemiebedingten finanziellen Engpässen zu unterstützen“, sagt Pressesprecherin Daniela Schmidt. Die Maßnahmen seien seit Anfang Mai angelaufen.
So können Studierende seitdem zinsfrei einen Kredit bei der staatlichen Förderbank KfW beantragen und erhalten maximal 650 Euro pro Monat. Dies gilt allerdings nur bis März 2021. Danach gilt wieder der reguläre Zinssatz.
Dass die Hilfen zunächst nur in Form von Krediten kamen, stößt bei Studierenden ebenfalls auf Kritik. Eigentlich hätte die Politik großen finanziellen Spielraum: Aus dem Bafög-Haushalt des vergangenen Jahres sind über 900 Millionen Euro übrig. Mittel, die ohnehin für Studierenden in Deutschland gedacht waren. „Doch statt das Geld für Soforthilfen bereitzustellen, die nicht zurückgezahlt werden müssen, fließt es in KfW-Kredite“, kritisiert Marcel Skorupa vom Dortmunder AstA. Betroffene müssen dieses Geld wieder zurückzahlen.
Kredite verschieben das Problem in die Zukunft
Die Asten in NRW fordern stattdessen für Betroffene eine Soforthilfe von 3000 Euro, die sie nicht zurückzahlen müssen. So ist in einem Offenen Brief von Studierendenvertretungen aus ganz Deutschland an die Regierung zu lesen: „Eine verschuldete Studierendengeneration darf es unter keinerlei Umständen geben und ist die schlechteste Lösung, die sich der Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland leisten konnte.“ Denn ein Kredit verschiebe das Problem der Studienfinanzierung nur in die Zukunft.
Das Deutsche Studierendenwerk sieht die Kreditlösung weniger kritisch. „Man sollte die Verschuldungsangst immer in Relation zur zukünftigen Arbeit sehen. Immerhin ist ein Studium die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit und dann kann man Kredite gut zurückbezahlen“, sagt Pressesprecher Stefan Grob.
Für Studierende, die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen, gibt es seit Mai außerdem Erleichterungen beim Bafög. Das heißt, Studis haben keine Nachteile, wenn sie Leistungen im Studium nicht erbringen können. Außerdem können sie nun auch Bafög beantragen, wenn ihre Eltern durch die Krise in Kurzarbeit sind und deshalb ihre Kinder nicht mehr finanziell unterstützen können.
Studierendenvertretungen wie der AStA in Dortmund sehen auch das kritisch: „Hätte die Bundesregierung effektiv helfen wollen, wäre es viel unkomplizierter gewesen, das BAföG für alle betroffenen Studierenden in Notsituationen zu öffnen, da der Bundeshaushalt dieses Geld definitiv hergegeben hätte“, heißt es in einer Pressemitteilung.
„In der aktuellen Corona-Situation sind die Angebote total am Limit und teilweise auch ausgeschöpft.“
Immerhin gesteht der Bund den Studierendenwerken von den 900 Millionen Euro Überschuss aus dem Bafög-Haushalt 100 Millionen Euro für finanzielle Hilfen zu. Davon sollen nun Soforthilfen über die Studierendenwerke gezahlt werden. Maximal 500 Euro bekommen Studierende als Einmalzahlung. Allerdings stehen die Hilfen nur Studis zur Verfügung, die weniger als 500 Euro auf ihrem Konto haben. Man wolle immer auf 500 Euro aufstocken, erklärt Johannes Zedel vom Dortmunder Studierendenwerk.
Das Geld vom Bund sei dringend nötig, meint Olaf Kroll, Referent der Arbeitsgemeinschaft der Studierendenwerke in NRW. Studierendenwerke konnten zwar auch bisher Nothilfen bei finanziellen Schwierigkeiten zur Verfügung stellen. Doch diese Notfallfonds waren auf eine Situation wie die Corona-Krise nicht vorbereitet: „Die bisherigen Hilfsangebote für notleidende Studierende von den Studierendenwerken waren für Einzelfälle vorgesehen. In der aktuellen Corona-Situation sind die Angebote total am Limit und teilweise auch ausgeschöpft.“
“Wir mussten auch noch die Infrastruktur für die Verteilung aus dem Boden stampfen.”
Bisher boten Studierendenwerke beispielsweise Darlehen über die Darlehenskasse der Studierendenwerke in NRW an. Das kann auch weiterhin beantragt werden, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.
Ein zentrales Problem der Studierendenwerke war außerdem, dass es gar keine Infrastruktur für die Verteilung der Hilfen gab, so Kroll. Ihm sei die Dringlichkeit der Lage bewusst und man wolle den Studierenden so schnell wie möglich helfen: „Aber wir mussten mit 57 Studierendenwerken in Deutschland und dem Deutschen Studierendenwerk als Dachverband abstimmen, wie das Geld verteilt wird. Das nimmt einfach viel Zeit in Anspruch und dann mussten wir auch noch die Infrastruktur für die Verteilung aus dem Boden stampfen.“
Deshalb dauere es so lange, bis die Hilfen von den Studierendenwerk tatsächlich zur Verfügung stehen. Das bestätigt auch Johannes Zedel vom Dortmunder Studierendenwerk: „Wir würden das Geld gerne auszahlen, aber wir haben einfach noch nicht die technischen Voraussetzungen.“ Geplant ist die Auszahlung ab dem 29. Juni.
Studium als Privileg?
Wie lange diese 100 Millionen Euro reichen werden, ist allerdings unklar. Das Dortmunder Studierendenwerk bekommt davon rund 2 Millionen Euro. Es ist für Studis in Dortmund, Hagen, Meschede, Iserlohn und Soest zuständig. Das sind etwa 120 000 Studierende. Wenn jeder den Höchstsatz beantragt, könne man in Dortmund höchstens 4 000 Betroffene pro Monat unterstützen.
Derzeit liegen beim Dortmunder Studierendenwerk etwa 2 400 Anträge vor (Stand: 25.06.2020). Jetzt müsse man abwarten, wie sich die Nachfrage weiter entwickle, so Johannes Zedel vom Dortmunder Studierendenwerk. Ob der Bund noch einmal Geld nachschieße, wenn die Mittel aufgebraucht sind, stehe nicht fest.
Asten und Studierendenwerke treibt derweil noch eine weitere Sorge um: Eltern von derzeitigen Abiturienten, die in Kurzarbeit sind, werden ihren Kindern im Herbst kaum ein Studium finanzieren können. „Studieren könnte ein Privileg für die werden, die es sich leisten können“, sagt Marcel Skorupa vom AStA in Dortmund.
Beitragsbild: Mira Kossakowski/AStA TU Dortmund