Wie ein Smartphone-Unternehmen die Technikbranche revolutionieren will

Das Unternehmen Fairphone aus Amsterdam wirbt damit, faire und nachhaltige Handys herstellen. Dabei geht es nicht nur um die Herstellung der Handys an sich, sondern auch um die Rohstoffbeschaffung der einzelnen Handymodule. Auf dem riesigen Handymarkt ist das ein gewagtes Unterfangen. Kann das holländisches Unternehmen dieses Vorhaben umsetzen und vielleicht die Technik-Branche revolutionieren?

Auf den ersten Blick sieht es ganz normal aus. Fünf Zoll großes Display, schwarzer Rahmen und ein paar Kratzer auf dem Bildschirm. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Doch was der 31-jährige Leon aus Köln in der Hand hält, ist ein besonderes Handy: ein Fairphone.

Die Herstellung von Smartphones ist ein schmutziges Geschäft. Sie hat weitreichende Folgen für Mensch und Natur. Damit Produktionsfirmen wichtige Metalle, wie Aluminium und Nickel, für das spätere Handy bekommen, dringen sie tief in natürliche Lebensräume ein. Sie roden Urwälder in Brasilien, sprengen Berge in Chile und verschmutzen die Umwelt in Zentralafrika mit giftigen Stoffen. Nichtregierungsorganisation kritisieren zudem immer wieder die Arbeitsbedingungen. Kinderarbeit, niedrige Bezahlung und lange Arbeitszeiten sind keine Seltenheit. Der Abbau bestimmter Konfliktrohstoffe finanziert Bürgerkriege. Bei Leons Fairphone soll das anders sein. Das Unternehmen aus Amsterdam stellt nach eigenen Angaben ethische Handys her. Doch kann eine faire und nachhaltige Produktion überhaupt gelingen?

Der Handymarkt und seine Schattenseiten

Der Handymarkt ist nicht nur sehr lukrativ, sondern auch sehr undurchsichtig. 22 Millionen Smartphones haben die Deutschen im vorigen Jahr gekauft. Die Wenigsten dürften die Details in der Herstellung und die vielen Lieferketten kennen. Am 11. Juni hat der Bundestag ein Lieferkettengesetz beschlossen. Ziel ist es, Menschenrechte und die Umwelt in der globalen Wirtschaft besser zu schützen – in vielen Branchen, nicht nur bei Smartphones. Von 2023 an sollen zunächst Unternehmen mit mindestens 3000 Mitarbeiter*innen mehr Verantwortung für ihre Zulieferer*innen haben. Sie müssen für faire Löhne und Sicherheit am Arbeitsplatz sorgen. Menschenrechtliche Standards soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle überwachen. Ab 2024 gilt das auch für Firmen mit mindestens 1000 Mitarbeiter*innen.

Bereits 2017 hatte das Bundesministerium einen Leitfaden zum Lieferkettenmanagement herausgegeben. Doch viele Handy-Produzenten halten sich nicht daran. Danach sind Kinderarbeit, fehlende Schutzkleidung und fehlende Arbeitssicherheitstrainings nicht zu tolerieren, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz eine Grundvoraussetzung. Amnesty International kritisiert jedoch die Arbeitsbedingungen und die Kinderarbeit in Kobalt-Minen in der Demokratischen Republik Kongo. Skandalöse Arbeitsbedingungen in Chinas Handyfabriken in Hengyang hat die Nichtregierungsorganisation China Labor Watch bemängelt.

Aktives Miteinander statt Routinekontrollen

Für eine faire und nachhaltige Produktion sind gute Arbeitsbedingungen wichtig. Fairphone gibt an, darauf in den Fabriken zu achten. Foto: Fairphone

Daher versuche Fairphone, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das Unternehmen führe nicht nur Überprüfungen in chinesischen Fabriken durch. Laut der Vermarktungsagentur von Fairphone arbeitet das Unternehmen aktiv mit vielen Organisationen zusammen, um für mehr Fairness zu sorgen. Dadurch sollen Brandschutzmaßnahmen, bessere Sicherheitsbekleidung für die Angestellten sowie die Arbeitszeiten verbessert worden sein. Fairphone kooperiert mit Arima, einem Produktionspartner in China, um Sozialfonds für das Wohlergehen der Arbeitnehmer*innen zu errichten. Sowohl Arima als auch Fairphone zahlen für jedes verkaufte Telefon in einen Fonds ein. Mit dem Geld kümmert sich die Firma um die Bedürfnisse der Arbeiter*innen. Das bestätigt Julia Lietzow von der Fairphone-Vermarktung in Deutschland.

Trotzdem ist das Fairphone immer noch weit entfernt von „fair“. Das schreibt die Firma selbst auf ihrer Homepage. Es gebe buchstäblich tausende soziale und ökologische Standards, die die Herstellerfirmen bei der Produktion von Smartphones verbessern können.

Fachliche Expertise aus Berlin

Das weiß auch Melanie Jaeger-Erben. Sie leitet das Fachgebiet Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung in der Elektronik an der TU Berlin. Ihrer Meinung nach müsste es vor allem verbindliche institutionelle Regeln und Strukturen geben. Das Lieferkettengesetz ist zwar ein Anfang, aber kleinere Unternehmen wie beispielsweise Fairphone verpflichtet es bisher nicht.

Ihre Kollegin Marina Proske vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration in Berlin sieht Verbesserungsbedarf bei Fairphone. Die Firma habe noch keine messbaren Ziele, sondern versuche, Schritt für Schritt besser zu werden. Allerdings habe Fairphone als kleiner Hersteller auch weniger Möglichkeiten, auf große Zulieferer einzuwirken. Dennoch sagt Proske: „Gerade auf der Materialseite sieht man die Erfolge sehr gut: Faires Gold, faires Zinn, recyceltes Neodym. Sie sind da meiner Meinung nach sehr transparent, was bisher erreicht wurde und was nicht.‘‘

Leon hat sein Fairphone 2 seit vier Jahren. Foto: Magnus Terhorst

Leon vertraut dem Unternehmen Fairphone: „Ich denke, die versuchen bei Fairphone das Bestmöglichste rauszuholen.‘‘ Der studierte Philosoph arbeitet seit einem Jahr als Webentwickler bei einem größeren Softwareunternehmen. Mit Elektronikteilen kennt er sich ein bisschen aus. Er weiß aber auch, dass ein in Asien gefertigtes Fairphone Abstriche in der Nachhaltigkeit haben kann.

Transparenz ist der Schlüssel zur Nachhaltigkeit

Fairphone dokumentiert öffentlich, wie die Handys produziert werden. Zulieferer*innen und Kooperationspartner*innen stehen auf der Homepage des Unternehmens. Zinn werde in der Mine South Kivu in Kongo abgebaut. Tantal in der Katanga Provinz in Kongo. Wolfram kommt aus Ruanda. Und Gold? Das beziehe die Firma aus dem Bergbau in Peru. Zudem versuche sie, die Rohstoffe vom Abbau in der Quelle bis zur Lieferung zu verfolgen. Dabei kooperiere sie mit vielen Organisationen.

Eine davon ist die chinesische Organisation TAOS. Vor der ersten Produktionsphase des Fairphones im August 2013 überprüfte sie eine Fabrik in Chongqing, einer Millionenstadt im Südwesten Chinas. Nach Angaben der Umweltorganisation ,Germanwatch‘ stellte TAOS einige Verstöße gegen Arbeitsrechte und Sicherheit fest. Beispielsweise habe ein 15-jähriges Mädchen in der Fabrik gearbeitet. Als Reaktion habe Fairphone das Mädchen ausbezahlt und Kinderarbeit verboten. Außerdem sollen Arbeiter*innen 60 bis 70 Stunden in der Woche gearbeitet haben. Daraufhin habe Fairphone eine Projektmanagerin vor Ort eingesetzt, um dem entgegenzuwirken.

Zudem bemühe sich Fairphone, einen konfliktfreien Abbau von Rohstoffen zu gewährleisten. Das teilt die Firma auf ihrer Homepage mit. Konfliktfrei heißt hier, dass Minen und Abbaugebiete beispielsweise nicht in Bürgerkriege verwickelt sein dürfen. Außerdem hat die Firma im September 2015 eine komplette Kostenaufschlüsselung des Fairphone 2 veröffentlicht. Auch an dieser Stelle beweist Fairphone Transparenz und ist damit vermutlich einmalig in der weltweiten Handyherstellung.

Damit ein Handy fair und nachhaltig ist, müssen auch die Rohstoffe nachhaltig sein. Foto: Fairphone

Nachhaltige Elektronik hat viele Ansatzpunkte

Nicht nur faire Arbeitsbedingungen sind ein Problem bei der Smartphone-Herstellung, sondern auch die Verwendung nachhaltiger Rohstoffe. „Elektronik hat es sowieso schwerer als andere Produktarten, klassische Nachhaltigkeit zu erfüllen. Für die Herstellung werden viel Energie und eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien benötigt, die nur zum Teil recycelt werden können‘‘, sagt Marina Proske. Sie besitzt schon ihr zweites Fairphone – nachdem das erste sechs Jahre im Einsatz war. Ihrer Meinung nach hat nachhaltige Elektronik viele Ansatzpunkte: Verbesserungen von Umweltauflagen in der Rohstoffgewinnung, effizienter Materialeinsatz oder ein langlebiges Design. Beispielsweise hat das Fairphone 2 eine Platine mit recyceltem Kupfer, um einen effizienten Materialeinsatz zu haben.

Für viele andere Hersteller*innen spielt Nachhaltigkeit nur eine untergeordnete Rolle. Sie beziehen Rohstoffe möglichst preiswert und bauen günstige Teile in ein Handy ein. Seit November 2014 hat Fairphone auch ein Recyclingprogramm in Europa. Dafür hat die Firma die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, alte Mobiltelefone einzusenden. Defekte Handys werden recycelt, während funktionsfähige Geräte eine zweite Chance auf dem Gebrauchtmarkt bekommen.

Jeder soll sein Fairphone reparieren können

Die modulare Bauweise am Beispiel des Fairphone 2. Foto: Fairphone

Außerdem basieren die Fairphones auf einer modularen Bauweise. Die soll es den Besitzer*innen ermöglichen, ihre Telefone zu öffnen und selbstständig reparieren zu können. Dieses Konzept und die sorgfältige Auswahl der verwendeten Komponenten sollen die Lebensdauer des Gerätes erhöhen. Dazu gibt es kostenlose Reparaturanleitungen. Durch die modulare Bauweise ist das Fairphone jedoch schwerer als vergleichbare Geräte.

Im Gegensatz zu konventionellen Hersteller*innen hat Fairphone eine praktische Lösung beim Akkutausch. „Das ist noch ganz old school, hinten Deckel auf, rausnehmen und neuen Akku rein. Dafür brauchst du wirklich gar kein technisches Verständnis‘‘, sagt Fairphone-Fan Leon. Er hat seinen Akku schon einmal gewechselt. Bei Bedarf tauscht er auch die Kamera oder das Mikrofon problemlos aus. Seiner Meinung nach sei das für Lai*innen ebenso machbar. Auf dem gesamten Smartphone-Markt gibt es kein vergleichbares Modell, das so einen einfachen Austausch einzelner Hardware-Komponenten erlaubt. Marina Proske vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration lobt: „Wer sein Gerät lange nutzen möchte, sollte ein Produkt wählen, welches eine austauschbare Batterie bietet. Denn bei einer langen Nutzungsdauer streckt sich die Umweltlast der Produktion über möglichst viele Jahre.“

Die Fairphone-Community in Deutschland

Viele Fairphone-Besitzer*innen helfen sich bei Problemen untereinander. Leon ist Mitglied der Online-Community Fairphone Angels. Rund 30 Nutzer*innen helfen sich zum Beispiel bei Softwareproblemen oder beim Wechseln von Modulen. Im Online-Forum kann jeder über die Handys mitdiskutieren. In Deutschland gibt es mehrere solcher Interessengruppen; auf Facebook sogar eine mit über 5000 Mitgliedern.

Verbraucher*innen sehen einem Smartphone seine Nachhaltigkeit nicht an. Das versichert Marina Proske. Doch auch, wer sich nicht für ein Fairphone entscheide, könne beim Handykauf auf Nachhaltigkeit achten. Wer ein Smartphone auswählt, das keine unnötigen Extras wie eventuell extrem großen Speicher hat, könne den Aufwand für die Rohstoffgewinnung möglichst gering halten. Gleichzeitig wird dadurch auch die Natur nicht unnötig belastet.

Persönliche Erfahrungen mit dem Fairphone

Leon nutzt sein Fairphone 2 seit vier Jahren im Dauerbetrieb. Die für ihn wichtigen Apps hat er alle drauf: Telegram, WhatsApp, ein Navi und einen Internetbrowser. Das funktioniere alles einwandfrei. Leon hat auch ein spezielles Betriebssystem aufgespielt, obwohl ein normales Android problemlos funktionieren würde. Er ist rundum zufrieden mit seinem Fairphone. „Außerdem kann man was unterstützen, was für unsere Zukunft relevant ist. Im Idealfall kann man ein Handy lange benutzen und muss sich nicht umgewöhnen. Jeder hat eine nette Community, die er immer fragen kann‘‘, sagt Leon.

 

Beitragsbild: Fairphone

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