„Für den Printjournalismus ist der Zug abgefahren“

Die Printzeitung erlebt einen starken Rückgang. Der Trend verlagert sich ins Digitale. Weg vom klassischen Format. Hin zu Text to Speech, Video und Online. Woran liegt das? Und welchen Herausforderungen stehen Verlage und Rezipient*innen gegenüber?

Knapp zehn Prozent der Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren lesen regelmäßig Tageszeitung. Das zeigt eine Statistik des Statista Research Departments aus dem Jahr 2024. Maximilian Eder sagt: Das hat mit einer gewissen Gewöhnung zu tun. Was das für das Zeitungswesen bedeutet, erklärt er im Interview.

Maximilian Eder. Foto: Karin Weber

Eder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Zuvor arbeitete er viele Jahre freiberuflich in der Print- und Digitallandschaft. Aktuell forscht er zu der Frage, wie künstliche Intelligenz den Lokaljournalismus unterstützen kann. Im Interview spricht Eder über die Bedeutung des Lokaljournalismus, Paywalls und die Frage, warum die Zeitung bis heute nicht ausgestorben ist.

Herr Eder, lesen Sie selbst Zeitung?

Selten. Ich kaufe mir gelegentlich die Wochenendausgabe der ZEIT, weil ich am Wochenende die Zeit (lacht) habe, mich in Ruhe hinzusetzen und einen längeren Artikel in Ruhe zu lesen. Unter der Woche ist es schwierig. Ich bin viel mit der Bahn unterwegs und sehe dort auch selten Menschen, die noch die Zeitung aufschlagen.

Würden Sie gerne mehr Zeitung lesen?

Ich glaube schon! Die Frage ist aber immer die nach der Aktualität: Wenn wir beispielsweise dynamische politische Entwicklungen haben, wie sie gerade in Deutschland aktuell sind – dann sind die Leser*innen mit der Digitalausgabe oder der Webseite tagesaktueller unterwegs.

Sehen Sie ein Problem darin, dass nur noch 10 Prozent der Jugendlichen Tageszeitung lesen?

Das kann ein Problem sein, wenn wir es normativ angehen und sagen: Es sollte eigentlich möglich sein, dass alle Leute, die Zeit für solche langen Stücke haben, sie auch lesen können. Wir leben aber in einer sehr dynamischen Welt. Diesen Luxus, sich Zeit zu nehmen, auch mal einen längeren Artikel zu lesen – den haben nicht mehr so viele Leute.

Ja, die Printzeitung kaufen mittlerweile nur noch Zeitungs-Liebhaber*innen. Zumal die Zeitung auch nicht sonderlich peppig ist.

Das ist vermutlich so, aber das ist auch nicht der Anspruch. Es geht um ein Informieren der Leser*innen und darum, einen Überblick zu geben. Das bekommen die Redaktionen nicht peppiger hin. Es gibt im Magazinbereich immer wieder Versuche, den klassischen Qualitätsjournalismus mit ein bisschen mehr Pepp zu paaren. Das sehe ich aber nicht als etwas an, was die breite Masse erreicht. Zumal diese Magazine – FAZ Quarterly zum Beispiel – mit interessanten Storys in einem ansprechenden Format, auch dementsprechend viel Geld kosten.

Was bedeutet das für die Verlage?

Für den Printjournalismus ist der Zug abgefahren. Die Vorteile im digitalen Raum sowohl für Leser*innen als auch für die Medienhäuser können nicht mehr eingeholt werden. Verständlicherweise bietet diese Ergänzungsmöglichkeit durch Analyse- und Erstellungsmöglichkeiten via Künstlicher Intelligenz immense Vorteile, sodass kein Rückwärtstrend entstehen dürfte.

Trotzdem wird es stets einen Markt für gedruckte Zeitungen geben – davon gehe ich aus. Wenn wir über die Reichweite gerade von Printausgaben sprechen, zeigen aktuelle Zahlen des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger: Knapp über 50 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren werden von Printausgaben immer noch erreicht. Die gedruckte Zeitung wird definitiv nicht verschwinden.

Warum glauben Sie, dass Zeitungen nicht verschwinden werden?

Diese Annahme basiert auf dem Riepl’schen Gesetz. Es besagt, dass nach einmaliger Einführung ein Medium niemals verschwindet, sondern lediglich verdrängt beziehungsweise marginalisiert wird. Das haben wir gesehen mit Schallplatten, das haben wir gesehen mit Kassetten, das haben wir sogar mit CDs gesehen. Es gibt immer gewisse Liebhaber*innen – und bei Zeitungen trifft das umso mehr zu. Man hat hier zum Beispiel diese Haptik, dieses Knistern einer Zeitung, das können digitale Angebote nicht ersetzen. Sie können vielleicht einen Sound einspielen, wenn sie bei einem ePaper die Seite umblättern. Das ist aber nicht dasselbe, wie Papier in den Händen zu halten. Insofern bleibt da ein Markt bestehen. Für eine möglicherweise sehr kleine, vielleicht auch zahlungskräftige Käufergruppe, aber es wird diesen Markt immer geben.

50 Prozent der Menschen werden nach wie vor von den Printausgaben erreicht. Einige Expert*innen prophezeien aber seit Jahrzehnten, dass die Zeitung stirbt – warum tut sie es denn nicht?

Der Grund, warum die Zeitung nicht ausstirbt, liegt in ihrer Wandlungsfähigkeit. Auch wenn man dem Journalismus nachsagt, er sei nicht sonderlich innovativ, ist er es doch bis zu einem gewissen Grad und passt sich an. Als das Internet Mitte der 90er Jahre aufkam, war der Spiegel 1994 eines der ersten Medienhäuser, das gesagt hat: Wir gehen online. Dass die restlichen Zeitungsverlage digitale Spätzünder waren und es zudem lange gedauert hat – das ist eine andere Geschichte. Aber grundsätzlich hat es der Journalismus immer wieder geschafft, sich mit Innovationen und neuen technischen Errungenschaften anzupassen. Wir haben diese Gefahr der Nachrichtenwüsten, sie ist real! Auch in Deutschland gibt es Gegenden, die journalistisch unterversorgt sind. Wir können hier noch von keiner Wüste sprechen, aber es ist knapp davor und das ist eine Gefahr, der wir uns gegenübersehen. Wenn die Leser- und Leserinnenzahlen zurückgehen, müssen Medienhäuser innovativ sein.

Was sind Nachrichtenwüsten?
Nachrichtenwüsten sind Regionen, in denen die Bevölkerung nicht mehr von mehreren Tages- oder Wochenzeitungen erreicht wird. Der Begriff etablierte sich in den 2000er-Jahren in den USA. Dort kam das Problem der „news desert“ in vielen Gemeinden vermehrt auf. Das Medienmagazin digital publishing report, schrieb 2022 über die Problematik einer Nachrichtenwüste: „Wo es keine Vielzahl an ReporterInnen vor Ort gibt, die recherchieren, hinterfragen und aufdecken, kann leichter bestochen, gemauschelt und betrogen werden.“

Was können Medienhäuser aktiv dagegen machen, dass die Zahlen zurückgehen?

Das geht vor allen Dingen über eine Verlagerung ins Digitale. Ich glaube, dass sich viele Medienhäuser – ohne das empirisch belegen zu können – von der Printausgabe mehr oder weniger verabschiedet haben, weil die Erlöse zurückgehen, weil der Vertrieb immer teurer wird und weil die Materialkosten von Papier immer höher werden. Das können Verlage im digitalen Bereich zumindest bis zu einem gewissen Grad auffangen. Zum Beispiel mit der Idee der Paywall, mit der Medienhäuser schon seit vielen Jahren experimentieren – aber es gibt noch kein Patentrezept. Dynamische Paywalls werden zudem immer beliebter. Das könnte die Rettung sein, um die Zahlungsbereitschaft der Leute wieder zu erhöhen.

Inwiefern ‚dynamische‘ Paywalls?

Mit der klassischen Paywall haben Redaktionen einfach alle Artikel hinter eine Paywall gepackt. Mittlerweile gibt es die technischen Möglichkeiten, zu sagen: Nicht für jeden ist der Artikel hinter einer Paywall, sondern nur, wenn wir uns vorstellen können, dass dieser User möglicherweise am ehesten bereit wäre, dafür zu bezahlen. Das heißt, die Zielgruppen werden eingehend analysiert.

Wonach richtet sich, wer eine Paywall bekommt?

Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Sie sind in Dortmund, Sie sind BVB-Fan. Ich bin in München, ich bin Bayern München-Fan. Das bedeutet, wenn wir beispielsweise bei der Süddeutschen Zeitung einen Artikel im Sportteil haben, der sich um den BVB dreht, dann würde ich keine Paywall sehen. Sie aber schon. Wenn es ein Beitrag über den FC Bayern wäre – dann würde ich eine Paywall sehen und Sie nicht.

Gibt es noch irgendwas, was Ihnen zu dem Thema wichtig ist?

Ich glaube, mittlerweile ist es im Bereich der Forschung so – ich spreche hier für die Journalistik – dass sie sich viel zu wenig mit Printzeitungen beschäftigt. Es geht vor allem um den digitalen Journalismus. Auch ich beschäftige mich in meiner Forschung nur noch sekundär mit Printausgaben. Es geht jetzt um KI und KI kann beispielsweise bei der Erstellung von Texten helfen. Das trifft auch auf den Printbereich zu. Es wird sich einfach nicht mehr viel mit Printausgaben beschäftigt: mit Absatzahlen oder Erlösen, also insgesamt mit der wirtschaftlichen Lage.

Warum sollte die Forschung das mehr aufarbeiten?

Es gibt Länder, in denen die Printzeitung nach wie vor das Mittel der Wahl ist. Es gibt Studien im Bereich der Medienforschung gerade für Regionen, in denen die Digitalisierung noch nicht so weit fortgeschritten ist. Dort haben Sie häufiger klassische Printausgaben, weil sie damit die meisten Leute erreichen. Solche Forschung ist auch insofern relevant, als dass wir uns vergegenwärtigen müssen, wie stark der deutsche Zeitungsmarkt ist. Wir sind als Land im Medienbereich auch prägend für kleinere Staaten wie Österreich und die Schweiz, mit einer sehr starken Koorientierung. Da setzt Deutschland schon Maßstäbe. Das heißt: Wir müssten uns eigentlich damit auseinandersetzen, was die Printlandschaft macht.

 

Beitragsbild: Amy Exner

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