Morgen läuft das Finale der 14. Staffel von “Germany’s Next Topmodel”. KURT-Reporterin Inga ist eine große Trash-TV-Gegnerin – und schaut sich die Formate trotzdem mit ihren Freunden an. Ein Brief an die Trash-TV-Inga.
Hey Inga,
es gibt da etwas, was ich Dir schon immer mal sagen wollte: Du nervst mich und machst mich manchmal sogar richtig wütend. Eigentlich kommen wir sehr gut miteinander klar, aber es gibt Momente, in denen ich dich einfach nicht verstehen kann und sehr abstoßend finde: Du tust etwas, von dem Du behauptest, dass Du es total bescheuert findest und was komplett gegen deine Werte verstößt. Vorzugsweise passiert das von Januar bis Juni einmal pro Woche um 20.15 Uhr in halbliegender Position: Du guckst dir Trash-TV an. Und nicht nur das; Du verabredest dich sogar mit Freunden dafür zum sogenannten Bachelor-Abend oder zum Topmodel-Meeting.
“Trash-TV-Public-Viewing” im WG-Zimmer
Daraus macht ihr regelmäßige Events, um wie beim Public Viewing Trash-TV zu schauen und gestaltet daraus ein richtiges Happening mit Vollverpflegung und genügend Platz zur körperlichen und verbalen Entfaltung: Alle trudeln gegen 20 Uhr ein, der Fernseher wird angeschaltet, eure Köpfe aus, das Lästern an.
Und als wäre diese bildungsferne, menschenverachtende und körperbildzerstörende Freizeitbeschäftigung nicht schon schlimm genug, regst du dich erst selbst über diese Serien auf und bist im Endeffekt aber die Erste, wenn du dich mit deinen Freunden verabredest, um „Deutschlands dürrstes Mädchen“ aka „GNTM“ oder „Reicher Fitnessboy sucht Frau für PR-Beziehung“ alias „Der Bachelor“ zu sehen.
Gemeinsam ergötzt ihr euch über die Dummheit der TeilnehmerInnen, lästert über Outfits, Dialoge und komplette Existenzen und lasst die Stimmung fast eskalieren bei der Diskussion, wer gewinnen soll. Habt ihr euch dabei mal selbst beobachtet? Ihr habt euch zu fünft in ein WG-Zimmer gequetscht und liegt kreuz und quer auf Bett, Boden und Sofa. Auf einem kleinen Tisch stapeln sich Chipstüten, Schokolade und ein paar Anstandstomaten. Ihr trefft euch, um zusammen fern zu sehen und euch dabei die Mäuler über Personen zu zerreißen, die ihr überhaupt nicht kennt. Das ist abartig!
Geskriptet, oberflächlich, mit Werbung – und trotzdem gut
Das alles passiert hinter einem Schutzschild von „Eigentlich finde ich die Sendung total doof. Reine Zeitverschwendung – lasst uns nächste Woche etwas anderes machen!“ Und dann sitzt Du doch wieder jede Woche dort und deine öffentlich propagierte Abneigung weicht spätestens der Anfangsmusik, in der sich wahlweise ein austauschbarer Typ eine Rose vor den durchtrainierten und natürlich nackten Oberkörper hält oder Deutschlands größter Modelstolz ein bisschen vor dem Greenscreen post, bevor das Spektakel des Trash-TV-Zirkus beginnt.
“Ist ja auch alles geskriptet und gestellt”, lästerst Du in der Öffentlichkeit über die Serienkonzepte und freust dich aber umso mehr über den massiven Unterhaltungswert der Dialoge und Sendungsgestaltung. Die ganzen Werbepausen nerven dich ja auch so unendlich, doch in der Realität nutzt Du die von dir verhassten Unterbrechungen äußerst effektiv, indem du die KandidatInnen auf Instagram stalkst. Mit Hintergrundwissen schaut es sich ja gleich noch besser und mit öffentlichem Insiderwissen hat man auch mehr Inhalte zum Lästern.
Kollektives Gruppenlästern
Vor allem dieses kollektive Gruppenlästern findest Du ja fast noch am schlimmsten bei den ganzen TV-Formaten. Über Jeden wird hergezogen. Das ist ja total oberflächlich und passt so gar nicht in deine Vorstellung von Unvoreingenommenheit und Toleranz, behauptest Du. Um 20:30 Uhr hört man dich dann aber spätestens das erste Mal sagen: „Das Kleid sieht an ihr total beschissen aus“ oder „Boah ist der dumm!“ – in Erwartungen eines zustimmenden „Ja und die Nase ist ultrahässlich“. Hört ihr euch eigentlich manchmal selbst zu? Während eurer restlichen Freizeit seid ihr auf Anti-Rassismus-Demos, diskutiert über Gleichberechtigung, Body Positivity und regt euch über die aufgepumpten Machos in der Bahn vorhin auf. Und dann setzt ihr euch hin und schaut Sendungen, in der die „Quotendicke“ alias das „Curvymodel“ einen BMI im unteren Normalbereich hat und ein Mann 20 langbeinige, weiblich geformte, „total individuelle“ Frauen ausprobiert, bevor er sich eine aussuchen darf und eine kurzweilige Medienbeziehung mit ihr eingeht – ernsthaft?! Wie passt das zusammen?
Guilty Pleasure als Entschuldigung
Du sitzt da auf dem Sofa, hast ein Weinglas mit billigem Inhalt in der Hand und diskutierst mit „deinen Mädels“ über die Performance von 17-Jährigen, die in Los Angeles mit zehn Ratten, nur im Bikini und an einem Seil in 10 Meter Höhe ein Fotoshooting bestreiten müssen. Mal ganz objektiv gefragt: Wen interessiert das? “So ein kleines Guilty Pleasure hat doch jeder”, würdest Du beschämt antworten, wenn ich dich nach der Sendung mit den letzten drei Stunden deines Handelns konfrontieren würde.
Und in genau diesen Momenten finde ich dich zum Kotzen!
Morgen kommt das Finale der 14. Staffel von GNTM und ich hoffe sehr, dass du dich dieses Mal anders entscheidest und Donnerstag um 20:15 Uhr einfach mit deinen Freunden aus dem Haus gehst oder ein Buch liest. Und wenn Du zufällig doch wieder vor dem Fernseher landest, weil irgendjemand dich eingeladen hat, dann gib es doch wenigstens einfach mal zu: Du liebst “Public-Viewing-Trash-TV” mit allem, was dazu gehört!
Liebe Grüße
Dein beschämtes zweites Ich
Titelbild: Pixaby/ Pexels
Beitragsbild: Inga Kausch