Entlang der Ziegelsteinwände pfeift ein kühler Wind. Die Sonne scheint. Rostig-braune Stahlträger werfen lange Schatten auf den Boden aus Schotter. Es ist ein kühler Januar-Tag auf dem Gelände des Zeche-Zollvereins. Die Essener Zeche, mittlerweile als Unesco-Weltkulturerbe ausgezeichnet, ragt vor dem Eingang empor. Der Riese aus Stahl steht stellvertretend für eine vergangene Ära. Heute sind Bergwerke als Museen begehbar. Lange Zeit waren sie der Motor der deutschen Wirtschaft, beheimatet im Ruhrgebiet.
Am 11. Januar 1923 nehmen französische und belgische Truppen genau diese Zechen ein. Der Grund für die Besetzung: Deutschland kommt seinen Reparationszahlungen nicht nach. Zahlungen also, zu denen das Land nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg verpflichtet wurde, als Entschädigung für die Siegermächte. Die Zeit, bekannt als Ruhrbesetzung, markiert damals einen tiefen Einschnitt bei Bevölkerung vor Ort.
In zahlreichen Werken wie dem Buch „Die Ruhrkrise 1923. Wendepunkt der internationalen Beziehungen nach dem ersten Weltkrieg“ von Klaus Schwabe, wird die Zeit aufgearbeitet: Innerhalb weniger Tage marschieren 60.000 Soldaten aus Frankreich und Belgien ins Ruhrgebiet ein. Reichskanzler Wilhelm Cuno ruft den passiven Widerstand aus. Arbeiter sollen zuhause bleiben. Die Bevölkerung, patriotisch gestimmt und bereit zum Widerstand, kommt dem Aufruf nach. Die Industrie wird lahmgelegt. Um die Streikenden zu bezahlen, druckt die Weimarer Republik neues Geld. Die bevorstehende Inflation ist vorprogrammiert und tritt schnell ein. Innerhalb kürzester Zeit steigen die Preise ins Unermessliche. Es entsteht viel Armut.
“Die Ruhrbesetzung war ein dramatischer Einschnitt”
Im Ruhrmuseum, angesiedelt auf dem Gelände der Essener Zeche Zollverein, widmet man der Ruhrbesetzung, anlässlich des hundertjährigen Jubiläums, eine Ausstellung. „Die Ruhrbesetzung war ein dramatischer Einschnitt“, erklärt Ingo Wuttke, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ruhrmuseum. „Der Verfall der Währung war sicherlich das Schwierigste“, erzählt er.
Aufgrund der Hyperinflation schlagen die Preise 1923 schnell in die Höhe, sodass die damalige Währung ihre Funktion verliert, Gegenständen einen Wert zuzumessen. Auf den Straßen wird mit Brot, Kohle und anderen Gebrauchsgegenständen gehandelt. „Wenn Geld seine Wertmessfunktion verliert, dann gerät so eine Gesellschaft aus den Fugen“, erklärt Kurator Wuttke. Bis in den tiefen Mittelstand reicht die Armut, die sich durch die Inflation schnell ausbreitet. Viele Eltern entscheiden sich dazu, ihre Kinder aus dem Ruhrgebiet zu schicken.
Die Stimmung kippte
Die patriotische Stimmung, mit der die Bevölkerung in den passiven Widerstand gestartet ist, kippt im Verlauf der Besetzung. Teile der Bevölkerung radikalisieren sich. „In den Monaten März und April schlug der passive in einen aktiven Widerstand um“, so Wuttke. Den tragischen Höhepunkt der Sabotage- und Gewaltakte markiert ein Attentat Ende Juni in Duisburg-Hochfeld, bei dem neun belgische Soldaten ums Leben kommen. In der breiten Bevölkerung wird währenddessen der Ruf nach einer Beendigung des passiven Widerstands lauter. „Die Leute hatten die hohe Inflation einfach satt“, so Wuttke.
Am 26. September 1923 wird der passive Widerstand für beendet erklärt. Wenige Wochen später führt der neue Reichskanzler Gustav Stresemann eine Währungsreform durch: Aus „Mark“ wird „Rentenmark“, die wirtschaftliche Lage stabilisiert sich. Nachdem die USA und Großbritannien Druck ausüben, unterschreiben Frankreich und Belgien im August 1924 das sogenannte „MICUM“-Abkommen. In diesem verpflichten sie sich, ein Jahr später, im August 1925, die Besetzung zu beenden. Am 25. August 1925 endet die Ruhrbesetzung schließlich.
Beitragsbild: Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv