Esther Brandani schnippelt noch kurz ein paar Gewürzgurken, dann setzt sie sich mit mir an den Tisch ihrer Bonner WG. „Wir müssen uns hier erst noch richtig einrichten“, sagt sie und lächelt entschuldigend. Dann beginnt sie zu erzählen. Die 20-Jährige studiert Agrarwissenschaft in Bonn. Sie will keine Bäuerin werden, sondern hat große Pläne in der Pflanzenforschung. „Ich will die Landwirtschaft verändern, das ist das Ziel der ganzen Sache“, sagt sie. Ihre Augen strahlen, wenn sie vom ökologischen Gleichgewicht spricht. Denn darum geht es ihr. Um eine natürliche Landwirtschaft, ohne Pestizide und Massentierhaltung: „Die kann man einfach nicht rechtfertigen.“
Aufgewachsen auf dem Land, in Leichlingen bei Leverkusen, fühlt sie sich schon immer der Natur verbunden. In der Schule hat sie sich vor allem für Naturwissenschaften interessiert. „Ich war nicht so scharf auf Sprachen wie viele anderen Mädchen“, meint sie und grinst. In Biologie und Erdkunde hatte sie die besten Noten, weshalb sie das nach dem Abitur zunächst studieren wollte. Bis sie, wie sie sagt, „die perfekte Mischung aus den Fächern“, fand und sich für Agrarwissenschaft einschrieb. Nicht, weil sie mit der Landwirtschaft aufgewachsen wäre – nein, ihre Eltern haben keinen Hof, sie hat keinen klassischen Bezug zu der Branche wie viele ihrer Kommilitonen. Als sie sagt, sie studiere gleichzeitig mit ihren Feinden, bin ich kurz überrascht. Eine harte Wortwahl. Sie meint damit die Vertreter von Massentierhaltung und Pestiziden. Sie selbst hat einen idealistischen Blick auf die Landwirtschaft – weniger den oft praktischen, realen ihrer Mitstudenten und ist sich dessen auch bewusst. Aber Esther will es eben anders machen. Sie will keine Bäuerin werden. Ihr geht es um die Forschung – und die Zukunft. Für die sie sich eine ökologische Landwirtschaft wünscht.
„Wär‘ schon cool, wenn ich was Krasses entdecken könnte, wie man den Ertrag im ökologischen Sinne steigern kann“, sagt sie lachend. Abgesehen davon hat sie bescheidene Zukunftspläne: Ein eigener Garten, in dem sie Obst und Gemüse anbauen und sich selbst versorgen kann. Schnell merke ich, wie gut sie informiert ist. Und bedacht. Wenn sie erzählt, dass sie zum Beispiel herausfinden möchte, wie man Pflanzen zieht, ohne sie zu überdüngen, kann ich mir das genau vorstellen.
Zwischendurch leuchtet Esthers Handy auf – sie zeigt mir grinsend die Nachrichten, die ihre Oma ihr jedes Mal schickt, wenn sie im Fernsehen etwas über Landwirtschaft sieht. Ihre Großmutter ist ein großer Fan von Esthers Zukunftsplänen.
An ihrem Abiball im letzten Jahr trug sie ein selbst geschriebenes Gedicht mit dem Titel „Veränderungen“ vor – und überraschte alle. Als ich nachfrage, zögert sie kurz. Dann fasst sie sich ein Herz und rezitiert alle zwölf Strophen, mit glühenden Wangen. In ihrer Stimme liegt so viel Überzeugung, dass man nicht anders kann, als daran zu glauben, dass sie tatsächlich ein Weltveränderer ist. In den ersten Strophen heißt es:
Sie nimmt einen Schluck Wasser und dann erzählt sie mir, was ihrer Meinung nach das größte Problem im Moment ist: „Es geht nur ums Geld. Der Fokus ist völlig falsch.“ Bei vielen (Groß-)betrieben und in der Politik liege der Fokus nur auf dem Ertrag, nicht aber auf den Auswirkungen auf die Umwelt. Sie beschreibt den Zielkonflikt in der Landwirtschaft so: ökologisch gegen ertragsreich. „Deshalb gehen die kleinen Höfe pleite. Und deshalb gibt es immer weniger Landwirte. Uns wird im Studium schon bewusst gemacht, dass wir die Zukunft sind.“
Was sich laut Esther ändern muss, ist das Verantwortungsbewusstsein in der Gesellschaft. In ihrer WG in einem schönen Bonner Altbau sind alle Mitbewohner vegan. Und bereit, auch mehr für ihre Lebensmittel zu bezahlen. „Im Moment ist das tote Tier, das als Fleischwurst verkauft wird, nichts mehr wert.“ Nur wenn sich beide Seiten entgegenkommen –nachhaltigere Landwirtschaft und steigendes Verantwortungsbewusstsein der Verbraucher – könne sich tatsächlich etwas ändern. Auch wenn sie selbst davon überzeugt ist, dass man ohne tierische Produkte gut leben kann, sagt sie: „Ich glaube, dass es immer Fleischproduktion geben wird, alles andere ist doch utopisch. Aber man muss den Konsum reduzieren.“
Dafür brauche man auch strengere Richtlinien. Ein kleiner Seitenhieb in Richtung Politik: Esther kann nicht verstehen, warum es immer noch erlaubt ist, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren. „Ich habe das Gefühl, da sitzen einfach viele Leute, die nicht wirklich Ahnung davon haben.“ Sie selbst ist in keiner Partei: „Ich bin nicht radikal oder so. Aber das ist eben meine Meinung.“
Was sie zum Thema Genmanipulation sagt, überrascht sie mich zunächst: „Das muss erstmal nichts Schlechtes sein. Aber es wird eingesetzt, obwohl die Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem und den Menschen noch gar nicht erforscht sind. Das ist nicht zu Ende gedacht.“ Ich frage sie, ob sie sich vorstellen könnte, später für einen Konzern wie Bayer zu forschen. Sie überlegt erst – und sagt dann: „Nein, moralisch eher nicht. Obwohl mir schon klar ist, dass man die Finanzierung für Forschung eben braucht.“
Wie sie sich die Landwirtschaft in 50 Jahren wünscht? „Verbundener mit der Natur. Weniger Chemie, mehr Rücksicht auf das gesamte System.“ Und mehr Blumenwiesen, sagt sie und lächelt verlegen, bevor sie zurück in die Küche und die restlichen Gewürzgurken für ihren Salat schneidet.