Sexarbeit – Wenn dein Nebenjob nicht akzeptiert wird

Neben Koch- und Yoga-Videos ist die Plattform OnlyFans vor allem für Content bekannt, der auf Instagram sofort gesperrt wird: Nacktbilder und Pornos. Weltweit zählt der kostenpflichtige Online-Dienst mehr als 500.000 Content Creator. Der 18-jährige Juan aus Essen ist einer von ihnen. Im Interview spricht er über Sexarbeit und die Vorurteile, die mit seinem Nebenjob verbunden sind.

Juan, wie offen sprichst du über deinen Nebenjob?

Da die Menschen nicht gerne über Sexarbeit sprechen, hat das natürlich Auswirkungen darauf, wie ich als Creator über meinen Job spreche. Eher ekeln sich alle vor Sexarbeit – obwohl sie insgeheim davon profitieren. Ich finde das erschreckend falsch an unserer Gesellschaft. Andere Jobs, die nichts mit Sex zu tun haben, werden mehr anerkannt.
Wenn ich zum Beispiel in der Bahn bin, rede ich nicht so laut darüber, was eigentlich total lächerlich ist. Wenn mich aber jemand direkt fragt, rede ich meistens offen über meinen Nebenjob. Einfach auch, um interessierte Menschen aufzuklären. Mir ist es aber wichtig, wie die Fragen gestellt werden. Wenn mich jemand dumm anmacht, bekommt die Person entsprechende Antworten.

Da die Menschen in meinem Umfeld von meinem Nebenjob wissen und manche sogar selbst Creator sind, erlebe ich hier selten Stigmatisierung. Wir tauschen uns aus und supporten uns. Ich rede mit meinen Freunden über den Job so wie übers Wetter.

Hauptberuflich arbeitest du als Bankkaufmann. Wie vereinst du das mit deinem Nebenjob?

Ich habe zu Beginn gefragt, welche Auswirkungen mein Social-Media-Auftritt haben könnte. Solange ich keinen Content über die Bank oder die Konkurrenz mache, sei das dem Unternehmen vollkommen egal. Ich wurde aber schon gewarnt, dass ich damit rechnen müsse, dass beispielsweise Menschen in meinem Arbeitsumfeld mich auf OnlyFans erkennen und ansprechen könnten. Falls das so kommt, sage ich halt, das auf OnlyFans wäre mein Zwillingsbruder. Hab` ich halt auf einmal einen Zwilling – mein Gott! Dann ist die Sache gegessen. Als Kunde wäre mir das sowieso viel zu peinlich einen Bankmitarbeiter darauf anzusprechen. Zudem steht auf meinem Namensschild ja auch nicht mein Creator-Name sondern mein echter Name. Da habe ich, glaube ich, eine ganz gute Lösung gefunden.

Welche Vorurteile und daraus resultierende Konsequenzen erlebst du in der Rolle als Sexarbeiter in einer von Stigmatisierung geprägten Gesellschaft?

Am stärksten ist das Vorurteil, Creator hätten irgendwelche Krankheiten. Doch gerade unter den Creatorn werden Themen wie Geschlechtskrankheiten nicht so tabuisiert wie vom Rest der Gesellschaft. Als mein bester Freund was hatte, kam er direkt auf mich zu und war so „Hey wie geht’s? Ich war grade beim Arzt und hab` da was“. Er hat das in demselben Ton erzählt, als würde er mir mitteilen, er habe eben ein Mettbrötchen gegessen. Unter uns Creatorn wird offen kommuniziert und stark informiert.

Außerdem denken viele, dass Sexarbeiter auf OnlyFans leicht zu haben wären. Es gibt wirklich Follower, die denken, ich bumse mit jedem rum. Die Folge: Eklige und nervige Nachrichten und vor allem viele ungefragte Nudes.

Am meisten regt mich aber auf, dass die Menschen denken, mein Job wäre einfach: Man bumst ‘ne halbe Stunde vor der Kamera und dann hat sich die Sache. Aber so ist das absolut nicht. Ich muss mich um einiges kümmern. Zum Beispiel um die rechtlichen Vereinbarungen mit anderen Creatorn als auch um Schnitt und um die Promo. Außerdem ist der Job körperlich anstrengend und verlangt viel Kopfarbeit ab. Allein, dass du dir mindestens fünf Mal deinen eigenen Porno anschauen musst, bis der Schnitt gelungen ist. Du kannst dir nicht vorstellen was ich gedacht habe, als ich mich das erste Mal in meinem eigenen Porno gesehen habe. Das war total komisch – ist es aber mittlerweile nicht mehr, weil ich mir denke „fuck it“.

Was wünschst du dir von der Gesellschaft im Umgang mit Sexarbeit?

Ich wünsche mir, dass endlich mal die Personen hinter dem großen Titel „Sexarbeiter“ gesehen und erkannt werden. Wir sind normale Menschen! Es ist wichtig, die eigene Meinung und die Vorurteile kurz auszublenden und sich wirklich mit dem Job und den Menschen auseinanderzusetzen.

Denn abends heimlich Pornos zu gucken und tagsüber Sexarbeiter wie Scheiße zu behandeln geht gar nicht. Das zeigt auch die Doppelmoral in unserer Gesellschaft. Ich wünsche mir ja nicht, dass alle sagen: „Oh warte mal, OnlyFans, ist der tollste Job“. Ich wünsche mir einfach mehr Akzeptanz und Toleranz. Einfach mal fragen: Wie läuft das bei euch? Was macht ihr in eurer Freizeit? Kennt ihr euch als Creator?

Da sehe ich aber auch die Verantwortung bei den Creatorn, Aufklärungsarbeit zu leisten. In den sozialen Medien versuche ich zum Beispiel als Gegensatz auch immer wieder mein normales Leben zu zeigen. Ich mache manchmal Posts, die gar nichts mit OnlyFans oder meiner Arbeit dort zu tun haben. Ich möchte einen Safe Space schaffen, indem nicht alles voll mit Sex ist, sondern man erkennt, dass hinter meinem Content ein Mensch steht, der eigentlich ein ganz normales Leben hat und dessen Leidenschaft Onlyfans ist.

 

Illustration: Leon Hüttel

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