„Kommt ein Pferd in eine Bar…“ – So oder ähnlich fangen viele Witze an. Humor kann stumpf sein, Kritik üben oder andere auf den Arm nehmen. Ein Lachforscher erklärt, was guter Humor ist und warum er uns an unseren empfindlichen Stellen kitzeln muss.
Herr Prof. Dr. Stollmann, viele Emotionen wie beispielsweise die Angst hatten für unsere Vorfahren eine wichtige Überlebensfunktion. Welche Funktion haben Humor und Lachen?
Das Lachen kommt nach der Angst. Ich erzähle Ihnen eine kleine Geschichte, die ich selbst beobachtet habe: Im Garten hat eine Katze ein Amselnest mit Jungen hoch im Baum entdeckt. Eine der Amseleltern tut so, als ob sie verletzt sei und setzt sich einen Meter vor die Katze. Die Katze muss sich jetzt überlegen: Versucht sie, die Amsel auf dem Boden zu fangen oder geht sie zu den jungen Amseln in den Baum? Währenddessen fliegt die zweite Amsel in mehreren Sturzangriffen mit einem unheimlichen Geschrei auf die Katze zu und dreht, kurz bevor sie den Kopf der Katze erreicht, immer wieder um. Die Katze wehrt die Angriffe mit ihren Pfoten ab. So schaffen es die beiden Amseln, die Katze vom Baum wegzulocken und die Jungen vor dem Tod zu retten. Die Amseln fliegen zurück zu ihrem Nest. Als die Katze völlig verwirrt weggeht, erhebt sich ein lautes Geschnatter – und ich als Lachforscher stehe da und frage mich: Darf ich das Lachen nennen?
Und, dürfen Sie?
Bis vor 20 Jahren gingen wir in der Lachforschung davon aus, dass nur Menschen lachen können. Vor 10 bis 15 Jahren hat sich das geändert. Die Amseln haben zwar kein Zwerchfell und keine Mimik, aber für mich ist der Satz des Philosophen und Soziologen Theodor Adorno der wichtigste Satz in der Lachforschung: Lachen ertönt dann, wenn die Angst vergeht. Dieser Satz trifft auf die Amsel-Geschichte ebenso zu, wie auf den Roman des „Braven Soldaten Schwejk“, der die Schrecken des Ersten Weltkriegs in Lachen aufzulösen versucht.
Also hat das Lachen keine Funktion, sondern ist eher eine Reaktion der Erleichterung?
Ja, das kann man so sagen.
In Ihrem Studium der Germanistik und Geschichte haben Sie mit einer Arbeit über Literatur und Faschismus promoviert und mit einer Arbeit über die Kultur und die Natur des Lachens habilitiert. Wie sind Sie von einem so ernsten zu einem so fröhlichen Thema gekommen?
Meine Promotionsarbeit ist von 1977. Damals war die 68er-Bewegung mit dem politischen Credo „Unter den Talaren, der Muff von Tausend Jahren“ ein sehr großes Thema. Das heißt, Studierende beschäftigten sich mit dem Thema Faschismus. Mich interessierten die Vokabeln „Arbeiter“ und „Sozialismus“ im Dritten Reich. Wieso fielen so viele Menschen auf diese Fälschung herein?
Der Auslöser für das Thema meiner Habilitation war dagegen eine Protesthaltung gegenüber dem, was ich an der Universität als junger Mitarbeiter erlebte. Ich arbeitete damals in einem Forschungsschwerpunkt Spätaufklärung. Neben guten Projekten gab es einiges, was ich für Quatsch hielt. Aus dieser Haltung heraus habe ich ein Seminar zum Thema Unsinn angeboten, weil ich das um mich herum sah. Und ein guter Wissenschaftler beschäftigt sich mit dem Unsinn eben wissenschaftlich. (lacht)
Und jetzt sind Sie Humorforscher?
Ich würde mich Lachforscher nennen. Mich interessiert alles, was mit dem Lachen zu tun hat, weil es mich schon immer geärgert hat, dass Lachen und die geistigen Anlässe des Lachens – Humor, Komik, Witz – so oft getrennt betrachtet werden.
Was ist der Unterschied zwischen Humor, Komik und Witz?
Die Begriffe sind nicht greifbar definiert. Man könnte sagen, den Humor haben die Engländer erfunden, den Witz die Franzosen und die Deutschen sind komisch, weil sie wenig Humor haben. Sigmund Freud sagt: „Humor erspart Gefühle.“ Wenn ich Humor habe, bin ich nicht mitfühlend und halte den Schrecken von mir fern. Dabei spielt er auf den klassischen, englischen Galgenhumor an. Zum Beispiel bei dem Witz: „Ein zum Tode Verurteilter wird vom Priester zum Schafott begleitet. Es ist sehr schlechtes Wetter. Da sagt der Priester: Du hast es gut, du musst nicht mehr zurück.“ Der Galgenhumor erspart Mitleid gegenüber dem Verurteilten.
Der Witz spart die Vernunft. Witz kommt vom Wort Wissen und kitzelt die schwache Stelle der Vernunft, weil jeder Witz eine Pseudo-Logik hat. Wie zum Beispiel bei dem Sprachwitz: „Treffen sich zwei Jäger, beide tot.“
Die Komik basiert auf der Erfahrung im Alltag. Wir entdecken an uns und an anderen Eigenschaften, die komisch sind. Die Komik muss nicht sofort zum Lachen sein.
Warum gelten die Deutschen als humorlos und ernst?
Das geht weit in die Geschichte zurück. Die bäuerliche Kultur war bis zum 15. Jahrhundert in ganz Europa eine Lachkultur. Die Bauern konnten nicht lesen und schreiben, also haben sie sich Geschichten erzählt. Der Sympathischste war dabei immer der, der am besten Geschichten erzählt hat und seine Mitmenschen unterhielt. Nicht der, der die anderen belehrte. Denken Sie an die Märchen, die alle Lachgeschichten waren, oder an Till Eulenspiegel. Das Bürgertum wollte sich hingegen von den Bauern abgrenzen. Zum einen, weil die bäuerliche Kultur im großen Bauernkrieg untergegangen war und die Lachkultur der Bauern nun den Makel des Verlierers, des gescheiterten Rebellen, trug. Zum anderen, weil das Bürgertum die Aufklärung und eine Vernunftkultur entwickelte, die sich vom grotesken, bäuerlichen Lachen abgrenzte.
Das Bürgertum beschäftigte sich mit Philosophie, Schönheit und Ästhetik, was immer etwas Trauriges hat, wie zum Beispiel bei Opern. Die deutsche Hochkultur ist besonders ernst. Denken Sie an die Klassik mit Beethoven, Wagner, Brahms. Auch die Literatur und die Philosophie, für die die deutsche Kultur in der Welt geschätzt wird, sind ernst.
Das Ernste ist also tief in unserer Kultur verankert. Nun machen wir uns gerne über diese Ernsthaftigkeit und unsere Kleinkariertheit lustig. War Loriot der erste, der die deutsche Mentalität aufs Korn genommen hat?
Nicht unbedingt der erste, es gab zum Beispiel Wilhelm Busch im 19. Jahrhundert, aber nach 1945 war es Loriot, der den deutschen Spießer, der keiner mehr sein wollte, aufs Korn nimmt. Alle Figuren, die er spielt, sind Spießer. Das Interessante an Loriot ist, dass er sich selbst nicht ganz von diesem Spießer distanziert. Er weiß: Das bin ich zum Teil selbst und schaut auf diesen Spießer nicht herab. Nach dem Motto: Ich habe erkannt, was ich eigentlich bin und lache über mich selbst und alle anderen, die so ähnlich sind wie ich. Ein Komiker muss Mut haben, so etwas zu machen, weil er vorher nicht weiß, ob es funktioniert.
Was macht einen guten Komiker noch aus?
Da muss ich Ihnen meine Theorie des Kitzelns erzählen. Ich bin der Meinung, dass es kein Lachen ohne Kitzeln gibt. Die Qualität der Komiker richtet sich danach, wo sie kitzeln. Also ob und wie sie die empfindlichen, prekären und schwachen Stellen unserer Häute treffen, wo etwas Ängstliches oder Ärgerliches im Spiel ist. Mit Häuten ist zum einen unsere Körperhaut gemeint. Die ist kitzlig. Wir wohnen aber auch in sozialen, politischen, religiösen und familiären Häuten. Überall gibt es schwache Stellen. Loriot hat die schwache Stelle des modernen Spießbürgers entdeckt, Heinz Erhardt die schwachen Stellen unserer Sprachhaut, und die Satiriker immer wieder die unserer politischen Häute. Gute Komiker kitzeln die Menschen an Stellen, an die sie vorher gar nicht gedacht haben, sie entdecken kitzlige Stellen, die vorher keinem aufgefallen sind.
Wenn unsere empfindlichen Stellen heute Gendergerechtigkeit, Klimakrise und Rechtsextremismus sind, dann müsste das Kitzeln doch sehr gut funktionieren, oder?
Schon, allerdings ist die Gesellschaft gespalten. Wer über Dieter Nuhr lacht, lacht nicht unbedingt über Jan Böhmermann. Nuhr macht es sich zu einfach, wenn er eine Schlagzeile der FAZ nimmt: „Die Meere trocknen aus“, und dann sagt: „Ich dachte immer, die Meere steigen.“ Tausend Leute im Saal klatschen Beifall. Das ist aber dumm, denn jeder kann doch inzwischen wissen, dass manche Meere austrocknen und trotzdem die Ozeane steigen. Aber Böhmermann macht es sich auch zu einfach, wenn er Nuhr in die rechte Ecke schiebt. Die komische Öffentlichkeit ist zerbrochen. Eigentlich müssten sie versuchen, das wieder hinzukriegen.
Und wie?
Beide müssten selbstkritischer und toleranter werden. Ich würde mir wünschen, dass Nuhr und Böhmermann eine Sendung zusammen machen. Das wäre unerwartet und sie müssten versuchen, zu kooperieren. Jeder darf sagen, was er will, aber sie treten zusammen auf. Das wäre doch ein sehenswerter Wettstreit. Dann würden sie vielleicht zwei bisher getrennten Publika vereinen können und gemeinsam zum Lachen bringen.
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