NS-Raubkunst: Die Spurenleserin

Ein Thema, das viele lieber verschweigen, spielt in ihrem Leben eine große Rolle: Die deutsche Vergangenheit. Eline van Dijk spürt die Herkunft von Kunstwerken auf, die während der Nazi-Zeit verschwunden sind. Ein Portrait über eine unermüdlich Suchende.

Zwei Frauen- und zwei Männerköpfe ragen zwischen Schnörkeln, Blättern und anderen Gesichtern aus dem Holz hervor. Sie sind aufwendig in das Material eingearbeitet und sehen aus, als würden sie einander anschauen.  Auf ihnen lastet ein schwerer Deckel aus Eichenholz, der zu einer alten Truhe aus dem 16. Jahrhundert gehört. Die dunklen Geheimnisse, die in ihr stecken, kommen erst 2015 ans Tageslicht. Die Truhe befindet sich zu dieser Zeit in Münster im LWL Museum für Kunst und Kultur. Eline van Dijk ist dort Praktikantin, als die Erben der Truhe das Museum damals kontaktieren. Sie können mithilfe von alten Auktionskatalogen eine Zwangsversteigerung nachweisen. Bevor die Truhe nach Münster kam, befand sie sich im Besitz des Auktionators Adolf Weinmüller. Einem Mann, der seine gesamte Karriere auf der systematischen Vernichtung der jüdischen Sammlerszene durch die Nazis aufbaute. „Das hat mich wachgerüttelt. Da wusste ich: Ich will schlafende Hunde wecken“, sagt Eline heute.

„Es geht nicht um Wiedergutmachung, aber darum Verantwortung für unsere Geschichte zu tragen.”

Die Truhe steht noch in Münster. Eline ist dort mittlerweile Provenienzforscherin, nachdem sie Kunstgeschichte in Düsseldorf studiert und den Master „Arts and Heritage: Policy, Management and Education“ in den Niederlanden gemacht hat. Ihre Forschung widmet sich hauptsächlich den Jahren 1933 bis 1945. „Menschen vergessen die schrecklichen Geschichten gerne.“ Früher haben Museen – wenn überhaupt – auf Nachfrage recherchiert. Heute ist das zwar anders, aber es ist nicht selbstverständlich, dass Museen Provenienzforscher*innen anstellen. Über ihrem Schreibtisch hängt ein „Bullshit-Bingo“ mit den Sprüchen, die Provenienzforscher*innen zu hören bekommen. Darauf steht unter anderem: „Das interessiert doch keinen!“ Diese Sätze prallen mittlerweile von ihr ab. Was sie antreibt, ist die Leidenschaft für ihren Beruf, die sie aus dem Wissen um die Kunstwerke zieht. „Meine Beziehung zu den Bildern verändert sich, sobald ich ihre Geschichte kenne.“ Eline schaut aus dem Fenster, hält einen Moment inne und streicht sich eine rotblonde Strähne aus dem Gesicht. Es sind oft „Horrorgeschichten“, die sich hinter den kunstvollen Werken verstecken. Gleichzeitig geben sie ihr das Gefühl, dass die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät: „Es geht nicht um Wiedergutmachung, aber darum Verantwortung für unsere Geschichte zu tragen.“

Hinter Eline steht die Truhe, mit der alles anfing: Ihre dunklen Geheimnisse weckten in Eline den Wunsch, die Herkunft der Kunst zu hinterfragen.

In besonderer Erinnerung ist ihr die Geschichte des Bilds Die Getreideernte von Max Liebermann. Das Gemälde hat 1998 durch einen Nachlass seinen Weg in das Museum gefunden. Wo und wann der Sammler das Werk erworben hatte, konnte Eline nicht herausfinden, erzählt sie und zieht dabei ihre Augenbrauen zusammen. Die weißen Flecken frustrieren sie. Im Werkverzeichnis der Gemälde des Künstlers fand sie erste Ansatzpunkte. In den 1920er Jahren verkaufte ein Kunsthändler das Gemälde an Paul Stern in Berlin. „Da gingen bei mir alle Alarmglocken an“, erinnert sich Eline. Dann klafft eine Lücke von rund 60 Jahren auf. Wo das Gemälde in dieser Zeit war, konnte sie bis heute nicht rekonstruieren. In ihrer Nachforschung taucht das Gemälde erst 1979 bei einer Auktion in London wieder auf. Was dazwischen war, versteckt sich womöglich in Akten, zu denen Eline noch keinen Zugriff hat. Stern könnte es 1930 wieder verkauft haben. Dann würde sich ihr Verdacht auf NS-Raubkunst nicht bestätigen.

Eline holt Luft. Es gibt ein weiteres Problem: „Ich weiß nicht ganz genau, welcher Paul Stern das Gemälde besessen hat.“ Der mutmaßliche Paul Stern lebte in München, davor in Berlin. Er starb 1942 in einem Barackenlager in München. Er wurde als Jude von den Nazis inhaftiert. „Ob er das Gemälde überhaupt während des NS-Regimes besessen hat, kann ich ohne die Londoner Akten nicht sagen. Ich gehe zwar davon aus, aber kann es nicht beweisen. Ohne die Akten steht die Arbeit still.“ In den Fällen, in denen Provenienzforscher*innen die Herkunft ausfindig machen können, bleiben die Werke häufig in den Museen. Sie kaufen sie zurück. Bei den Provenienzen, die Eline bis jetzt klären konnte, bestätigte sich der Verdacht auf Raubkunst nicht. Die Geschichten, die Eline hinter der Kunst zum Vorschein bringt, liefern dennoch den Erzählstoff ihre Museumsführungen. „Das schönste Kompliment, das ich mal bekommen habe, war von einer Besucherin. Während einer Führung hat sie gesagt, dass ich sie für richtig für das Thema begeistern würde “, sagt Eline mit einem Grinsen auf ihrem Gesicht.

„Ein sicherer Job ist das nicht.”

„Leider kann ich bestimmt in 60 Prozent der Fälle nicht sagen, wo das Werk zwischen 33 und 45 war. Es ist deprimierend“, seufzt sie und verschränkt die Arme: „Aber ich mache weiter!“ Obwohl sie keine Daueranstellung hat. „Das ist ein großes Problem als junge Wissenschaftlerin. Ein sicherer Job ist das nicht. Bei mir greift zwar nicht das Wissenschaftsvertragszeitgesetz, aber die meisten Verträge in meinem Beruf sind trotzdem befristet. Aber ich habe so viel Spaß an meiner Arbeit und halte sie für wichtig. Also nehme ich das in Kauf.“ Sie hofft, dass ihre bisherige Spurensuche nicht ins Leere läuft und jemand ihre Stelle einnimmt, denn sie ist die einzige Provenienzforscherin des Hauses: „Wenn ich nicht alles sauber dokumentiere, geht das Wissen verloren.“ Dann wäre ihre Arbeit umsonst gewesen. Das will sie nicht. Sie will nicht, dass die Menschen, die sie mit den Geschichten hinter der Kunst aufgerüttelt hat, wieder einschlafen.

Wissenschaftszeitvertragsgesetz
Seit 2007 bietet das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) die Grundlage für befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft. Nachwuchswissenschaftler*innen wechseln von einem Projekt in das nächste, da ihre Verträge und Fördergelder regelmäßig auslaufen. Diese Rotation soll dafür sorgen, dass nachrückende Forschende die Chance auf eine wissenschaftliche Qualifikation haben. Die Fluktuation soll laut Bundesministerium Innovation fördern. Unter dem Hashtag #IchbinHanna wehren sich junge Forschende allerdings seit 2021 gegen die mangelnden Perspektiven auf Dauerverträge, weil sie für viele Existenzangst und Forschungsdruck bedeuteten.

 

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