Aufhören, wenn es am schönsten ist? Wie Erfolg das Karriereende beeinflusst

Tennisspielerin Ashleigh Barty, die mit ihrer Trophäe feiert, nachdem sie das Endspiel im Dameneinzel gegen Karolina Pliskova im All England Lawn Tennis and Croquet Club, Wimbledon, gewonnen hat.
Ashleigh Barty nach ihrem Wimbledon-Sieg im Juli 2021 (Beitragsbild: picture alliance / empics / PA Wire / Adam Davy)

Der Weg nach oben ist für Sportler*innen hart – aber manchmal ist das Aufhören noch schwieriger. Aussteiger wie Sebastian Vettel und Ashleigh Barty könnten dabei unterschiedlicher nicht sein. Daten zeigen, wann Profis erfolgreich sind und wie Karrieren enden.

Drei Tage noch bis zum Großen Preis von Ungarn. Die Formel-1-Teams sind bereits an der Strecke, als auf einem neuen Instagram-Kanal zwei Videos auftauchen. Sebastian Vettel, der zuvor nicht in den Sozialen Medien vertreten war, verkündet in einem Video seinen Rücktritt aus der Formel 1.

 

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Seine ersten Worte: „Ich werde meine Zeit in der Formel 1 am Ende des Jahres beenden“. Mit 23 Jahren wurde Vettel jüngster Formel-1- Weltmeister der Geschichte. Zwölf Jahre später setzt er unter diese Zeit einen Schlussstrich. „Ich liebe diesen Sport. Er war im Zentrum meines Lebens“, erklärt der Rennfahrer. Heute sei es ihm wichtig, Zeit für die Familie zu haben und ein guter Vater zu sein. Vettel engagierte sich während seiner Karriere immer wieder für Projekte zum Klimaschutz. Auch dahingehend hat er seine Karriere hinterfragt.

Vettels Abschied ist nicht der einzige, der überraschend kam. Auch der Rücktritt von Profi-Tennisspielerin Ashleigh Barty hat die Welt ins Wirbeln gebracht. Wenige Monate vor Vettel, im März 2022, verkündete sie ihr Karriereende im Tennis in einem Instagram-Video. Sie erklärt: „Es ist jetzt wichtig, dass ich diese nächste Phase meines Lebens genießen kann als Ash Barty, der Mensch. Nicht als Ash Barty, die Athletin.“

 

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Auf der Suche nach dem „typischen“ Profisportler

Die beiden Karrieren zeigen Gemeinsamkeiten. Zwei Profi-Sportler*innen, die es an die Weltspitze in ihrem Metier geschafft haben. Der größte Erfolg in einem Zeitfenster von etwa vier Jahren. Was aber auffällt ist, dass Barty ziemlich kurz nach ihren größten Erfolgen ihren Rücktritt erklärt.

Vettel hingegen fuhr nach seinem vierten Weltmeisterschaftstitel noch neun Saisons, ohne einen Titel zu gewinnen. Wie hängt also der Zeitpunkt des Erfolgs mit dem Ende der Karriere zusammen? Welche Unterschiede gibt es zwischen den Sportarten? Und was bringt das Ende einer Profisport-Karriere alles mit sich?

Antworten finden sich beim Blick auf vier Sportarten – Eiskunstlauf, Handball, Motorsport und Tennis – die sich in ihren körperlichen Anforderungen an die Sportler*innen stark unterscheiden.

Vom Hinterhof an die Weltspitze

Wie die meisten erfolgreichen Profisportler*innen starteten Barty und Vettel sehr früh in den Sport, in dem sie später einmal zu den Besten der Welt gehören würden. Sebastian Vettel drehte schon mit drei Jahren im Hinterhof seines Elternhauses die ersten Runden mit dem Go-Kart. Ashleigh Barty war vier Jahre alt, als sie in einem Verein in Brisbane mit dem Tennis begann.

Während Vettel mit 18 Jahren noch auf die Formel 1 hinarbeitete, hatte Barty die Weltspitze schon erreicht. Nach mehreren Misserfolgen und Rückschlägen startete die Australierin Ende 2012 im Doppel mit ihrer Partnerin Casey Dellacqua durch: zweiter Platz beim WTA-Turnier in Brisbane, zweiter Platz bei den Australien Open, der erste WTA-Gewinn beim Rasenturnier in Birmingham und ein weiterer zweiter Platz in Wimbledon.

Nicht immer gelingt der Einstieg in den Profibereich so nahtlos. „Von den Junioren in die offene Klasse ist einer der kritischsten Punkte der Karriere. Viele schaffen es nicht in die Perspektivkader“,
erklärt Sportpsychologe Oliver Stoll von der Uni Halle.

Einstiegsalter: Wann werden sie zu Profis?

Der Schritt auf die Profiebene ist in den Sportarten sehr unterschiedlich. Weibliche Athletinnen treten früher in den Leistungssport ein als ihre männlichen Kollegen. Anmerkung: Für Handball und Motorsport waren nur Datensätze der Männer verfügbar. Grafik: Anna Herdick und Ezgi Osmanoglu

 

In einer Datenanalyse wurden die Erfolge von Athlet*innen in den höchsten Ligen
ausgewertet. Beim Tennis beginnt die Karriere auf höchstem Profi-Niveau im Vergleich am
frühesten. Bei Frauen im Durchschnitt mit 17 und bei Männern mit 18 Jahren. Das ist früher
als bei den Eiskunstläufer*innen mit 21 und 24 Jahren. Dabei stand der Eiskunstlauf in den
letzten Jahren wegen des Drucks auf junge Athlet*innen im Zentrum der öffentlichen Kritik. Der schnelle Karriereeinstieg ist also besonders typisch für den Tennissport. Doch Barty
wurde der Wettkampf- und Erfolgsdruck zu viel. Deshalb nahm sie mit 18 Jahren auf
unbestimmte Zeit Abschied vom Tennis, um sich um ihre mentale Gesundheit zu kümmern.
Ein “Protected Ranking” (das künstlichen Einfrieren ihrer Position in der
Weltrangliste) wollte sie nicht.

Fast in demselben Alter, mit 19, stand Vetter vor dem großen Sprung in die höchste Liga des Rennsports. Nachdem er anfangs nur als Test- und Ersatzfahrer für den Rennstall BMW Sauber dabei war, gab er nach einem Unfall des Stammpiloten Robert Kubica überraschend sein Formel-1-Debüt. Kurz vor seinem 20. Geburtstag war er damit ein echter Jungspund im Profi-Rennsport. Im Durchschnitt beginnt die Profi-Karriere in der Formel 1 nämlich erst nach dem 30. Lebensjahr, um genau zu sein mit 32. In anderen Sportarten ein gefürchtetes Alter. Im Profifußball tritt in diesem Alter der Karriereherbst ein. Im Rennsport – metaphorisch gesprochen – dagegen erst der Karrierefrühling.

Erfolgsalter: Physiologische Leistungsfähigkeit und psychische Stärke

Sebastian Vettel fährt als Erster ins Ziel. Als Fernsehzuschauer sieht man ihn in seinem Rennauto klatschen, aber der Moderator warnt: „Noch heißt es warten. Der Weltmeistertitel ist noch nicht sicher“. Nachdem auch die Konkurrenz die Ziellinie überquert hat, dann die Erlösung: Es hat gereicht. Das Team fällt sich in die Arme, packt sich an den Schultern und kommt in einem Pulk aus Umarmungen zusammen. Es ist die Weltmeisterschaft 2010 und Sebastian Vettel gewinnt, nachdem er zuvor bei mehreren Rennen knapp am Titel vorbeigefahren ist. Ein Knoten ist geplatzt: Die nächsten drei Jahre wird er den Weltmeister-Titel halten können.

Im Motorsport und Eiskunstlauf lassen die Erfolge nach dem Karrierestart nicht lange auf sich warten. Handballer*innen und Tennisstars müssen geduldig sein. Grafik: Anna Herdick und Ezgi Osmanoglu

Die meisten Podiumsplätze gewinnen Rennfahrer zwei Jahre nach ihrem Einstieg in die Weltklasse, mit 34 Jahren. Auch in diesem Bereich war Vettel mit seinen Weltmeisterschaftsiegen zwischen 19 und 23 Jahren früh dran.

Frühe und junge Erfolge gibt es besonders im Eiskunstlauf. Hier gibt es direkt in den ersten Jahren die meisten erfolgreichen Wettkampfteilnahmen. Das erklärt auch, wieso in diesem Sport junge Athlet*innen besonders die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu spüren bekommen.

Es lässt sich festhalten: Es gibt je nach Sportart ein bestimmtes Erfolgsalter, das von körperlichen und psychischen Herausforderungen des Sports abhängt. Das bestätigt Sportmediziner Philipp Zimmer von der TU Dortmund und verweist zugleich auf die individuelle “physiologische Leistungsfähigkeit” von Athlet*innen. Doch nicht allein dieser Aspekt ist ausschlaggebend dafür, ob Sportler*innen erfolgreich sind oder nicht. Da Leistungssport in nahezu jedem Fall einem enormen öffentlichen Interesse unterliegt, sind Athlet*innen hohem Druck ausgesetzt. Daher entscheiden auch Faktoren wie die “Anfälligkeit und Psyche” in den verschiedensten Sportarten darüber, wie erfolgreich eine Karriere verlaufen kann.

Anfang 2016 ist Barty zurück im Tennis. Als wäre nichts gewesen kann sie auf dem Platz sofort an ihre zurückliegenden Erfolge anknüpfen. Sie schafft es unter die Top-20-Spielerinnen der Welt. Sie gewinnt die French Open 2019, 2021 ihren „größten Traum“, Wimbledon und 2022 die Australian Open ohne einen Satz abzugeben. Und dann: Ende. Aus. Vorbei.

Der richtige Zeitpunkt, um aufzuhören

Im Eiskunstlauf variiert das Erfolgsalter am stärksten. Hier erreichen Frauen den sportlichen Höhepunkt nachweislich drei Jahre früher als ihre männlichen Vertreter. Auffällig: Motorsportler sind besonders geduldig. Das zeigt sich beim Erfolgshöhepunkt und der Karrieredauer. Grafik: Anna Herdick und Ezgi Osmanoglu

Nur 53 Tage nach ihrem historischen Sieg im eigenen Land gibt Barty das Ende ihrer
Karriere bekannt. Nach 114 Wochen an der Spitze der Weltrangliste. Mit 25 Jahren. Auch
sie war wie Vettel eine echtes Jungtalent in ihrer Sportart.

Laut Statistik würden noch viele der erfolgreichsten Tennisjahre vor ihr liegen. Im Durchschnitt werden die meisten Medaillen mit 26 Jahren gewonnen – bei Männern und Frauen. Das sind neun bzw. acht Jahre nach dem ersten Wettkampf auf Weltklasse-Niveau.

Auf Instagram erklärt Barty zu ihrer Entscheidung: „Ich bin verbraucht. […] Ich bin sehr glücklich damit. Ich weiß, dass Leute das womöglich nicht verstehen. Das ist okay.“ Von den Medien wird sie als „selbstbestimmt“ gefeiert. Als Sporttalent, das es geschafft hat auszusteigen, bevor die Karriereerfolge ausbleiben. Und ja: Viele schaffen das nicht. Sebastian Vettel ist das beste Beispiel.

Tennisspieler*innen haben die längsten Karrieren – und Rennfahrer?

Mit 23 Jahren wurde der Rennfahrer der bisher jüngste Weltmeister. Die nächsten drei Jahre in Folge hat er seinen Titel verteidigt. 2014 dann die Wende: Seitdem konnte er keins der „großen“ Rennen mehr für sich entscheiden. Trotzdem fuhr er noch weitere 8 Jahre für verschiedene Teams. Ein typisches Phänomen im Rennsport.

Handball ist ein Ausdauersport – das wird auch hinsichtlich der Erfolge deutlich. Handballer warten statistisch betrachtet mehr als 10 Jahre nach dem Karrierestart auf einen Titel. Doch auch im Tennis ist Geduld geboten. Grafik: Anna Herdick und Ezgi Osmaloglu

Ist der Leistungspeak erreicht, steigen Athletinnen und Athleten in Sportarten wie Eiskunstlauf und Handball relativ zeitnah aus dem Profisport aus. Beim Handball warten die Athleten am längsten auf Erfolge. Im Durchschnitt zehn Jahre bis in ihre 30er und bleiben dann nur noch vier Jahre aktiv.

Für Handball-Damen liegen aufgrund fehlender Datenbanken keine Statistiken vor. Im Eiskunstlauf geht die Durchschnittskarriere nur zwei Jahre und die ist bei Frauen im Alter von 23 und bei Männern mit 26 Jahren vorbei. Die Zeit in diesem Sport Erfolge zu sammeln, ist also sehr beschränkt. Im Motorsport geht nach den größten Erfolgen noch fünf Jahre weiter und das bei einer Karrierelänge von nur sieben Jahren.

Im Tennis ist die Karrierezeit vor und nach dem Erfolgshöhepunkt sehr gleichmäßig verteilt. Dafür sind die Athlet*innen mit 14 bzw. 15 Jahren am längsten auf Weltklasseniveau aktiv. Philipp Zimmer, Sportmediziner an der TU Dortmund, warnt allerdings davor, voreilige Schlüsse daraus zu ziehen. „Man muss zwischen einer körperlichen Leistungsfähigkeit oder einem Gesamterfolg unterscheiden“, erklärt er.

An den Tennis-Altstars Roger Federer und Rafael Nadal lässt sich deshalb erkennen, dass sie trotz diverser Erfolge im hohen Tennisalter „mit Sicherheit nicht mehr auf ihrem körperlichen Zenit sind“, so Zimmer. „Aber diese Kombination aus der immer noch relativ hohen körperlichen Leistungsfähigkeit und der hohen Erfahrung macht dann eben so einen erfolgreichen Spieler daraus.“

Affektive Störungen und depressive Episoden?

Zum Ende der Saison 2022 macht Vettel Schluss mit dem Sport. Was das Leben nach dem Sport für Vettel bringen wird, ist noch unklar. Barty hat den Tennis- gegen einen Golfschläger getauscht und sammelt jetzt auf dem Golfplatz weitere Erfolge. Was ihre Geschichten verbindet: Sie haben sich aus freien Stücken für das Ende ihrer Karriere entschieden.

Ein wichtiger Faktor, wie Sportpsychologe Stoll aus seiner Arbeit mit Athlet*innen weiß: „Ein
selbstgewähltes Karriereende kann man vorbereiten. Man kann sich Gedanken machen: ‚Was mache ich danach?‘“ Durch die Vorbereitung könne der Übergang in die Nachkarriere
gut gelingen. Wenn das Karriereende dagegen abrupt und unerwartet käme, dann könnten
Sportler*innen auch schnell in affektive Störungen oder depressive Episoden rutschen.

Grafik: Anna Herdick und Ezgi Osmanoglu
Mehr zum Geschlechterunterschied

Anhand der obigen Grafiken lassen sich verschiedene Trends zwischen den Geschlechtern der jeweiligen Sportarten hinsichtlich der Länge einer Profikarriere und dem Erfolgsalter erkennen. Männliche Eiskunstläufer beenden ihre Karriere in der Regel später als Frauen. Allerdings nehmen Eiskunstläuferinnen ihre professionelle Karriere deutlich früher auf. Die Erfolgsbilanz nimmt mit steigendem Alter geschlechtsunabhängig ab. Ein ähnliches Bild zeichnet sich im Tennis ab. Hier starten Frauen auch deutlich früher ihre sportliche Laufbahn, allerdings hält die Erfolgsbilanz länger an als bei männlichen Tennisspielern. Da für Handball und Motorsport keine Daten weiblicher Athletinnen vorliegen, ist keine Vergleichbarkeit gewährleistet. Nichtsdestotrotz verbergen sich hinter diesen beiden Sportdisziplinen interessante Tendenzen, wie die Grafiken zeigen. Während Handballer zumeist im routinierten Alter zwischen 28 und 36 Jahren ihre größten Erfolge feiern, ist die Altersspanne im Motorsport deutlich breiter angelegt. Ausnahmen gibt es dennoch, wie Louis Chiron zeigt, der im Alter von 55 Jahren, 9 Monaten und 10 Tage sein letztes Rennen in einem Formel-1-Cockpit bestritt. Allerdings zeigt sich auch hier der Trend, dass mit steigendem Alter die Aussicht auf große Titel zunehmend schrumpft.

Der Einfluss von Erfolg auf die Karrierelänge

Belastbare Studien zum Zusammenhang zwischen Erfolg und Karriereende gibt es bisher keine. Sportpsychologe Stoll ordnet das so ein: „Wir kennen Sportler, die einmal einen Olympiasieg geholt haben und danach nie wieder aufgetaucht sind.

Genauso kennen wir aber auch welche, die jahrelang gearbeitet haben und immer mal wieder in Schlagweite eines olympischen Finals kommen, aber niemals eine Medaille holen.“ Die emotionale Verarbeitung von Erfolg und Misserfolg sei sehr individuell. In der statistischen Auswertung gibt es zumindest deutliche Unterschiede zwischen den Sportarten.

Was aber grundsätzlich gilt: Je später Athlet*innen Erfolg haben, desto später beenden sie ihre Karriere. Sie scheinen also gezielt auf ihren Erfolg hinzuarbeiten und wer schon früh Erfolg hat, verschwindet schnell wieder von der internationalen Bühne. Die einzige Ausnahme dieser Regel ist der Motorsport. Hier ist die Karriere, wie schon erwähnt, nach den größten Erfolgen noch sehr lang.

Zur Datenerhebung:

Die erhobenen Daten der verschiedenen Sportdisziplinen konzentrieren sich lediglich auf Athlet*innen, die zwischen 1980 und 2019 aktiv waren.

Als Erfolg wurden erste, zweite und dritte Ränge in Wettkämpfen der höchsten Liga der jeweiligen Sportart gewertet. Für den Rennsport also die Formel 1, für Handball die 1. Bundesliga, Olympia und Weltmeisterschaften, für Tennis WTA-Turniere und für Eiskunstlauf Olympische Spiele. Erfolge im Jugendbereich wurden nicht mitgezählt.

Beitragsbild: picture alliance / empics / PA Wire / Adam Davy

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