Mit einem Sportstipendium ins US-College: Der Traum vieler deutscher Athlet*innen

Immer mehr Deutsche studieren mit einem Sportstipendium in den USA. Anders als an deutschen Universitäten werden ihnen dort Profi-Training und umfangreiche Betreuung geboten. Zwei Studierende berichten von ihren Erfahrungen und Perspektiven.

Gelb, Blau, Weiß, soweit das Auge reicht. „I wanna drive all night long“ schallt durch die Lautsprecher des großen Stadions der Northern Arizona University (NAU). In der Mitte des J. Lawrence Walkup Skydomes hängt eine USA-Flagge. Auf der rechten Seite des Feldes wartet Mattis Karrasch breitbeinig und sichtlich konzentriert auf seinen Einsatz. Ausgerüstet mit Helm, Handschuhen und Schulterpolstern steht er seinem Teamkollegen gegenüber. Beide beugen sich nach vorne, bis ihre Fingerspitzen den Rasen berühren. Auf das Kommando des Trainers stürmen sie aufeinander los und ringen miteinander. Ein Pfiff ertönt, die Footballer lassen voneinander ab und die gesamte Gruppe versammelt sich mit lautem Grölen auf der linken Seite des Feldes. In dem Gemenge aus etwa 100 Footballern ist es schwer, die Nr. 52 im blauen Trikot im Auge zu behalten.

Über 11.000 Zuschauer*innen finden im Stadion der NAU Platz. Foto: Dirk Karrasch

In seiner früheren Heimatstadt Hamburg hätte Mattis nie gedacht, dass er eines Tages in den USA Football spielen würde. Dank eines Sportstipendiums ist er jetzt hier – und er ist nicht der Einzige. Immer mehr deutsche Athlet*innen zieht es in die USA, auf der Suche nach sportlichen und akademischen Chancen. Das D1-Level ist die höchste Ebene des College-Sports in den USA. Dort spielt auch das Footballteam der NAU. Laut Immo Osterkamp befinden sich inzwischen 31 deutsche Athlet*innen auf diesem Level. Vor neun Jahren waren es nur zwei. Als Scouting Director bei Gridiron Imports unterstützt er Footballspieler bei der Aufnahme an US-Colleges und Universitäten.

Die Hürden für ein Vollstipendium an einer US-Uni sind hoch. Zum einen müssen die athletischen Voraussetzungen stimmen: Die „Liner“, also die Footballer, die an der Linie spielen, sollten groß und schwer sein – über 1,90 Meter und 120 Kilo sind optimal. Darüber hinaus sind laut Osterkamp Beweglichkeit, Spielverständnis, sportlicher Erfolg und eine starke Onlinepräsenz wichtig. In den USA sichten Scouts talentierte Spieler*innen. Da diese aber selten nach Deutschland reisen, erhalten Footballer im besten Fall Empfehlungen von Coaches bzw. Trainer*innen. Dabei handelt es sind entweder um Trainer*innen, die die Athlet*innen persönlich kennen oder um solche, die durch den Internetauftritt der Footballer von deren Talent überzeugt sind. „Ich habe bestimmt 200 bis 300 Coaches E-Mails geschrieben oder versucht, sie über Twitter zu kontaktieren“, erzählt Mattis. Zusätzlich reiste er zweimal in die USA, um sich bei Trainingscamps direkt bei den Coaches vorzustellen.

Kalorienzunahme und Teamgeist

„Ein Sportstipendium kann wirklich ein Türöffner sein“, meint Immo Osterkamp. Fünf Footballer, die er betreut, spielen derzeit am Dartmouth College, das sich viele deutsche Athlet*innen sonst nie hätten leisten können. Denn ein Studium in den USA ist besonders für internationale Studierende sehr teuer. Die Kosten variieren stark je nach Bundesstaat und Universität. An der NAU zahlen Studierende ohne Stipendium etwa 48.700 Dollar pro Jahr. Darin enthalten sind Unterkunft, Verpflegung und Materialkosten, etwa für Bücher. Dass das für viele zu teuer ist, zeigt sich auch in Mattis’ Footballmannschaft – er ist fast der einzige internationale Student in seinem Team.

Teamgeist beginnt in der Umkleidekabine. Foto: Mattis Karrasch

Seit Juli lebt Mattis nun in den USA und studiert Finance. Der 19-Jährige spielt erst seit fünf Jahren Football – als Kind sei er nicht besonders sportinteressiert gewesen, dafür aber groß und kräftig. „Wenn man an Football denkt, denkt man an große, dicke Jungs – genau die Position, die ich jetzt spiele.“ Das Gewicht sei aber auch eine Herausforderung: „Ich muss unglaublich viel essen, das ist hier meine schwierigste Aufgabe.“ Rund 6500 Kalorien muss Mattis täglich zu sich nehmen, um die nötige Masse für das Spiel zu halten, bei dem er die Angreifer aufhalten muss.

Trotz ihrer Masse bewegen sich die Footballer auf dem Platz erstaunlich grazil. Gerade versammeln sich alle wieder in ihren Kleingruppen. Mattis unterhält sich mit seinen Teamkollegen, von denen er die meisten überragt. Als er an der Reihe ist, bückt er sich, platziert die Hände auf den Knien und greift die Nummer Zwei an. Dann ein erneuter Pfiff. Der Ablauf wirkt chaotisch und zugleich koordiniert. Für Mattis steckt mehr dahinter: „Football sieht oft aus wie chaotisches Durcheinanderrennen, aber eigentlich ist alles ein großes Schachspiel der Coaches.“ Und: „Du kannst deinen Job nur richtig machen, wenn du darauf vertraust, dass alle Jungs um dich herum auch ihren Job richtig machen.“ Dieses Vertrauen funktioniere in seinem Team gut: „Am Ende sind wir eine verbundene Gruppe, und wir wollen alle dasselbe erreichen.“

Zwischen Footballfeld und Hörsaal

Besonders während des Trainings wird für Mattis der Unterschied zum Hochschulsport in Deutschland deutlich: Während die Förderung in den USA professionell organisiert ist, trainieren viele Athlet*innen in Deutschland in Vereinen – oft ohne universitäre Unterstützung und mit ehrenamtlichen Coaches. Für Mattis bedeutete das weite Wege: Zu Schulzeiten musste er zwei Stunden lang mit der Bahn durch Hamburg zum Vereinstraining fahren.

Die US-Unis stellen jedoch hohe Ansprüche an ihre Sportler*innen: Mattis trainiert täglich, außer montags. Zusätzlich muss er regelmäßig ins Fitnessstudio gehen und an vielen Team-Meetings teilnehmen. Samstags ist Spieltag. Viel Freizeit bleibt also nicht, zumal er das Lernen nicht vernachlässigen darf. Denn: Sind die Noten zu schlecht, dürfen die Footballer nicht spielen.

Hochschulsport als Werbeträger

Mattis und sein Team auf dem Weg zum Charterflug. Foto: Mattis Karrasch

An der NAU stehen den Footballspielern ein Teamarzt, eine Psychologin, ein Physiologe und ein Pastor zur Verfügung. Auch Berater*innen und Trainer*innen unterstützen das Team. Immo Osterkamp hebt die Vorzüge des amerikanischen Collegesports hervor und betont die Unterschiede zum Hochschulsport in Deutschland: bessere Anlagen, mehr Trainingstage und akademische Unterstützung, die sicherstellt, dass keine Kurse mit Trainingseinheiten kollidieren. Für Auswärtsspiele wird für Mattis‘ Mannschaft ein eigenes Flugzeug bereitgestellt und am Spieltag eskortiert die Polizei das Team ins Stadion. Das hat laut Mattis vor allem praktische Gründe: Ein Linienflug wäre zeitaufwändiger und müsste vollständig gebucht werden, um Team und Equipment unterzubringen. Diese Kosten und der Aufwand begründen sich laut Mattis darin, dass viele Universitäten durch ihren Football andere Sportarten finanzieren und deshalb die meisten Mittel in diesen Sport fließen.

„College Football ist wie Profisport – man ist da schon ein kleiner Star“, sagt Osterkamp. Universitätssport in den USA könne man als Außenwerbung und Aushängeschild für die Schule betrachten. Er erklärt die Unterschiede so: Sportlicher Erfolg steigert die Einnahmen der Universitäten und zieht mehr Studierende an. Der Fokus auf Sport resultiert auch aus den hohen Studiengebühren an US-Unis. Um sich von anderen Colleges abzuheben, setzen viele Universitäten auf ein starkes Sportprogramm. Im Gegensatz dazu konzentrieren sich deutsche Universitäten stärker auf akademische Leistungen. Staatliche Hochschulen hierzulande erheben im Vergleich zu den USA nahezu keine Studiengebühren. Der fehlende finanzielle Druck führt dazu, dass es an deutschen Universitäten keinen so ausgeprägten Konkurrenzkampf um neue Studierende gibt. Das sportliche Angebot ist entsprechend schwächer und spielt eine weniger zentrale Rolle im Hochschulmarketing.

Neben finanziellen Aspekten gibt es laut Immo Osterkamp auch historische und soziale Gründe, warum Hochschulsport in den USA eine weitaus größere Bedeutung hat. Während der Collegesport in den USA zu einem Volkssport geworden sei, habe sich dies in Deutschland nie etabliert. Viele US-Amerikaner*innen können sich die teuren Tickets für professionelle Ligen nicht leisten und schauten daher College-Spiele.

Besser als Bundesliga – Fußballstipendium in den USA

Charlotte wurde mit den Texas Longhorns 2022 und 2023 Champion des Big 12 Tournaments. Foto: Charlotte Blümel

Auch Charlotte Blümel hat den Schritt in die USA geschafft: Die deutsche Fußballspielerin studierte mit einem Vollstipendium International Business an der University of Texas at Austin. Schon vor ihrem Studium spielte die 22-Jährige auf hohem Niveau in der zweiten Bundesliga. „Der Frauenfußball in Amerika ist top, und ich wusste, dass ich mich dort als Spielerin und Mensch weiterentwickeln kann.“ Sie zeigt sich beeindruckt von der Ausstattung an US-Unis: „Die Facilities sind besser als bei jedem Bundesliga-Verein in Deutschland.“ Neben separatem Lernzentrum und Mensa für Athlet*innen hatte Charlotte sogar eine eigene akademische Betreuerin. „Durch die ganze Unterstützung kam es einem manchmal so vor, als wäre man schon ein Profi. Ich war zwar Studentin, aber die Priorität lag immer auf dem Sport.“

Charlottes Tagesablauf war dementsprechend: Um 7.30 Uhr aufstehen, von 8 bis 10.30 trainieren, teilweise direkt weiter zum Krafttraining – und dann begann der normale Studientag. Ein stressiger Lebensstil, auf den laut Charlotte viele Amerikanerinnen ehrgeizig hinarbeiten. Viele hätten persönliche Coaches, um ein Stipendium an einer renommierten Universität zu erhalten – ein hoher Druck, den sie in Deutschland so nicht kannte. Charlotte bemerkte auch sportliche Unterschiede: Während in den USA der Fokus stärker auf athletischer Schnelligkeit liegt, ist der deutsche Fußball eher technisch-taktisch orientiert. Beide Spielweisen kennenzulernen, habe sie für ihre Karriere sehr weitergebracht: „Ich habe das athletische, amerikanische Training in mein Spiel einbezogen und mich dadurch sportlich mega weiterentwickelt.“ Das Sportstipendium hat sich für Charlotte, die bereits vor ihrem Studium im Profisport aktiv war, ausgezahlt. Sie spielt aktuell in der ersten Frauenmannschaft des VfB Stuttgart, während sie an der Universität in Mannheim einen Master in International Business absolviert.

Das Heimweh bleibt nicht aus

Das Footballtraining an der NAU neigt sich dem Ende zu. Draußen ist es dunkel geworden, nun trainieren auch die Cheerleader auf dem Feld. Für die Footballer steht ein letztes Stretching an, bevor der Head Coach die letzten Ansagen macht. Er zeigt sich zufrieden, mahnt aber auch zur Fokussierung. Dann ist das Training vorbei, und Mattis verlässt das Feld leicht verschwitzt. Er steht am Anfang seiner Footballkarriere an der NAU und hat große Pläne: „Ich versuche, nach dem College weiter Football zu spielen. Mein größtes Ziel ist die NFL.“ Aber er bleibt offen für verschiedene Jobmöglichkeiten. Ob die ihn letztendlich in die Finanzwelt führen, ist für Mattis noch unklar: „Vielleicht wechsle ich meinen Studiengang noch.“

Obwohl ihm die USA aus sportlicher Sicht weitaus mehr Möglichkeiten bieten, fühlt er sich hier nicht zu Hause: „Mir fehlen das Essen, die öffentlichen Verkehrsmittel und das politische System.“ Langfristig möchte Mattis deshalb nicht in den USA wohnen: „Fürs College finde ich Amerika cool, aber nicht zum Leben.“

 

Beitragsbild: Petra Karrasch

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