„Wir haben Ballettstangen, die uns in Leistungsstufen einteilen“

Pia Wiemann

Pia Wiemann befindet sich kurz vor dem Abschluss ihres Ballettstudiums. Sie bewohnt ein Zimmer direkt über dem Ballettsaal. Bis nachts um zwei Uhr trainiert sie für ihren Traum als Profiballetttänzerin. Das sei nicht immer leicht.

Eine Ballettstange und mehrere Fotos in Pia Wiemanns Zimmer verraten sofort, wofür ihr Herz brennt. Nach dem Abi begann die 24-Jährige eine professionelle Ballettausbildung in Düsseldorf. Nun ist sie im letzten Jahr ihres Studiums und wohnt in einem Zimmer direkt über dem Ballettsaal. Nach dem Training ist für sie vor dem Training. An der Ballettstange in ihrem Zimmer übt sie ständig weiter, um ihrem großen Traum einer professionellen Ballettkarriere ein Stück näher zu kommen.

Wie sieht ein typischer Tag in deinem Ballett-Studium aus?

Pia Wiemann
In ihrem Zimmer hat Pia eine eigene Ballettstange. Foto: Pia Wiemann

Wenn es ein langer Tag ist, dann beginne ich zum Beispiel mit einer Stunde klassischem Ballett, einer Stunde Technik, 90 Minuten Modern Ballett, nochmal 90 Minuten klassischem Ballett und einer Stunde Folklore. Nach einer kurzen Pause habe ich zwei Stunden Musikunterricht und Wirtschaft.

Neben den praktischen Fächern gibt es Fächer wie Tanzmedizin, Anatomie, Tanzgeschichte, Tanz-Pädagogik, Sportpsychologie, Choreografie, Bewegungsanalyse und Bewegungsbiologie.

Meine letzte Routine am Abend ist das Ausdehnen. Da nehme ich mir gut zwei Stunden Zeit, um meinen Körper regenerieren zu lassen und mental runterzukommen.

Müsst ihr für euer Studium viel vor- und nachbereiten?

Wir schieben die praktischen Sachen eigentlich immer vor und arbeiten in unserer Freizeit eigenständig mit Physiotherapie, Pilates oder Krafttraining an unserem Körper. Erst danach machen wir uns an unsere Theoriekurse, in denen wir Online-Aufgaben bekommen.

Ich schreibe außerdem alle Schrittfolgen und Choreografien aus den Tanzstunden in ein kleines Notizbuch. Die Lehrer*innen erwarten von uns, dass wir jederzeit alle Plätze, Abfolgen und Choreografien aus den letzten Jahren kennen. Da kann es dann schon mal sein, dass ich nachts erst um zwei Uhr ins Bett gehe. In den kurzen Pausen zwischen unseren Kursen schläft oft jemand auf dem Boden auf einer Matte in der Umkleide. Unser Studium ist sowas wie ein Vollzeitworkout.

Wie empfindest du den Leistungsdruck im Studium?

Pia Wiemann
Pia Wiemanns Traum ist es, Profiballetttänzerin zu werden. Foto: Bernd Hentschel

Der Druck ist auf jeden Fall da, weil wir durch unser Können und unsere Leistung definiert werden. Wir haben in unserem Ballettsaal zum Beispiel zwei Ballettstangen – eine Stange an der Wand, an der ein Bild unserer Gründer hängt, und daneben eine Stange am Spiegel. Die Stangen sind nach Leistungsstufen sortiert und jeder hat seinen festen Platz.

Wenn du ganz vorne an der Stange unter dem Gründerbild stehst, dann bist du in den Augen der Lehrer*innen „the best of the best“. Direkt dahinter steht die Person, die sich die Reihenfolgen der Tanzschritte am besten merken kann. Und so wird nach hinten abgestuft. Dann gibt es noch eine bewegliche Stange auf Rollen und eine Krankenstange für Verletzte. Wenn du dahingestellt wirst, obwohl du nicht verletzt bist, kannst du eigentlich direkt gehen.

Das macht natürlich was mit der Dynamik im Unterricht, wenn im Unterricht Plätze an der Stange getauscht werden. Da kann es schon mal zu Tränen kommen. Diese Abstufung gibt es nicht nur innerhalb eines Jahrgangs, sondern auch im gesamten System an sich. Es gibt jedes Fach in verschiedenen Leistungsstufen. Auch wenn du in einem niedrigeren Jahrgang bist, kannst du je nach Leistungslevel schon mit den höheren Semestern in einen schwierigeren Kurs kommen.

Bekommt ihr Unterstützung für einen guten Umgang mit dem Leistungsdruck?

Nein, die müssen wir uns selbst außerhalb suchen. Das machen auch ein paar Mädchen von uns. Das ist mental eine große Belastung. Die Lehrer*innen haben ihre Favoriten und pushen oft den Konkurrenzkampf. Wir versuchen als Gruppe trotzdem, zusammenzuhalten und uns Ventile zu suchen, bei denen wir uns entspannen können. Ich habe zum Beispiel das nächtliche Dehnen und Meditieren für mich entdeckt, für andere ist es das Kochen oder Journalen. Wir haben uns untereinander einen guten Umgang damit angeeignet. Es wäre aber sicherlich hilfreich, wenn wir in der Ausbildung professionelle Tools an die Hand bekommen würden.

Gibt es viele Tänzer*innen, die die Ausbildung abbrechen?

Pia Wiemann
Pias Sammlung an Ballettschuhen: Spitzenschuhe und Schläppchen kauft sie permanent neu. Foto: Pia Wiemann

Das erste Semester ist bei uns immer das Probesemester. In meinem Jahrgang haben wir mit zehn Mädchen angefangen und nach den ersten drei Monaten waren wir nur noch fünf.

Es gibt die Tendenz, dass pro Jahrgang mindestens zwei bis drei Mädchen das Studium abbrechen. Manchen ist das zu hart und sie möchten sich nicht mit dem ganzen psychischen Druck und der hohen körperlichen Belastung auseinandersetzen. Andere haben wegen Depressionen, Essstörungen oder Verletzungen abgebrochen, das gibt es auch viel.

Hattest du schon mal Phasen, in denen du überlegt hast, alles hinzuschmeißen?

Ja klar, solche Phasen hat man im Sport immer. Es gab Zeiten, in denen ich die Motivation verloren habe und mir das Tanzen keinen Spaß mehr gemacht hat. Man wünscht sich ein Privatleben und Zeit für Freunde oder Familie, anstatt von morgens bis abends in der Schule zu hängen. Aber da muss man sich durchkämpfen. Dann kommt wieder eine Phase, in der ich merke, wie sehr ich das Ballett liebe und wie viel ich daraus für mich ziehen kann. Da hilft es vor allem, dass wir uns in der Ausbildung gegenseitig so unterstützen. Sonst würden wir das gar nicht schaffen.

 

 

Beitragsbild: Bernd Hentschel

Ein Beitrag von
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