Farben statt Frust

Bei einem Tankstellenüberfall vor 17 Jahren wurde der Aachener Künstler Akmal Sekandary angeschossen und ist seitdem querschnittsgelähmt. Statt zu verzweifeln, entdeckte Akmal seine Liebe zur Kunst.

Samstagmittag, in Aachens größtem Einkaufzentrum. Die Gänge sind überlaufen von Menschen, die mit vollen Einkaufstaschen von Geschäft zu Geschäft hetzen. Mitten im Trubel hängen am schönsten Ort im Einkaufszentrum Bilder: Schwebend unter der großen Glaskuppel bringen die Kunstwerke die Menschen zum Innehalten. Es sind die Bilder des Aachener Künstlers Akmal Sekandary. Rund 40 seiner Werke hat er für zwei Monate dort ausgestellt.

Die Ausstellung lädt nicht nur zum Schauen ein, sie ermöglicht den Besucher*innen auch, ihre künstlerischen Fähigkeiten zu nutzen. Dafür steht zwischen den Geschäften ein großer Tisch mit Stühlen. Auf diesen sitzen bereits vereinzelnd Besucher*innen und schauen erwartungsvoll zu, wie zwei Mitarbeitende Leinwände, Pinsel und Farben auf dem Tisch verteilen. Gleich geht es los. Die Farbdosen werden geöffnet, Lautsprecher, aus denen stimmungsvolle Popmusik dringt, werden eingeschaltet und die ersten Besucher*innen tupfen ihre Pinsel ins Wasser und fangen an zu malen.

Ein besonderes Ausstellungsende

Über den malenden Besucher*innen, mitten im Gang des Einkaufszentrum hängen die Bilder von Akmal. 

Akmal selbst kommt genau in diesem Moment auf seiner Ausstellung an. Sportlich, schick gekleidet sitzt er in seinem Rollstuhl. An diesem ist ein Tisch befestigt. Es ist sein Zeichentisch, zur Seite geklappt und voller Farbflecken. Seine langen schwarze Haare sind durch eine blaue Kappe bedeckt. Er schaut sehr glücklich, ist gelassen und unterhält sich. Der heutige Tag ist der finale Tag seiner Ausstellung. Mit einem Lächeln sagt Akmal: „Die letzte Gelegenheit noch einmal die Ausstellung zu genießen.“

Es ist nicht seine erste Ausstellung, die sich dem Ende neigt. Akmal hatte bereits Ausstellungen in Aachen und Köln. Allerdings endet diese Ausstellung an einem besonderen Datum. Mit dem Blick entlang seiner Bilder, durch die Glaskuppel in Richtung strahlend blauer Himmel sagt Akmal: „Jede Ausstellung ist immer etwas Neues und ich bin immer aufgeregt, so ein Herzflattern ist immer dabei. Es fühlt sich immer gut an, diese Art Aufregung. Heute genau vor 17 Jahren wurde ich angeschossen. In der Nacht vom 6. auf den 7. Juni ist es passiert. Das Schicksal fügt sich, so schließt sich der Kreis und es sollte so sein, dass ich Kunst mache, dass ich diesen Weg gehe. Das ist einfach so geschrieben.“

Ein Arbeitstag, der für immer in Erinnerung bleiben wird

In der besagten Nacht wird ein Tankstellenüberfall zum Wendepunkt für Akmals Leben. Dort arbeitet er, während er auf einem Abendgymnasium sein Abitur nachholt. Es ist kurz nach ein Uhr, als ein Mann in den Tankstellenshop kommt und Akmals Leben in 45 Sekunden durch einen Schuss in seine Halsschlagader verändert. Seit dieser Nacht ist Akmal querschnittsgelähmt. Überlebt hat er den Überfall nur durch viel Glück, weil zum gleichen Zeitpunkt ein Arzt an der Tankstelle ist und erste Hilfe leistet.

Seit einem Tankstellenüberfall sitzt Akmal in einem Rollstuhl.

Währens seiner Genesung findet Akmal den Weg zur Kunst. Start ist die Motivation, seinen Namen wieder schreiben zu können. Das endet in ein paar Strichen. Da er ab dem Hals abwärts gelähmt ist, kann er seine Arme nicht bewegen. Doch Akmal denkt sich: „Ey du kannst nicht einmal deinen Namen schreiben, also bleib dran. Übe das.“

Zuhause, so beschreibt Akmal die Situation, übt er über Jahre schreiben und malen und trainiert eine außergewöhnliche Technik. Er schreibt und zeichnet aus der Schulter. Wer es ausprobiert und die Schulter nur kreisen lässt, merkt schnell, wie anstrengend das ist. Zweimal die Woche geht Akmal daher zur Ergo- und Physiotherapie, um seine Schulter zu entlasten.

Mit Kunst Gefühle ausdrücken

Den Pinsel hält er heute mit selbst entwickelten Handorthesen, die ein Freund für ihn mit einem 3D-Drucker gedruckt hat. Akmal sagt: „Ich bin stolz. Das Malen ist ins Blut übergegangen. Dass diese Tätigkeit jetzt Früchte trägt, dass ich mir durch Konstanz und Disziplin neue Wege eröffnen kann. Das ist toll.“ Für Akmal ist Kunst etwas, was Menschen zusammenbringt und die fest in unserer Gesellschaft verankert ist.

„Meine Kunst hat auch mit Geschenken zu tun. Ich wollte damals im Krankenhaus etwas zurückgeben, meiner Familie zum Beispiel. Die waren in meiner schwierigsten Zeit immer da und dann habe ich angefangen ein Bild zu malen, für meinen Bruder, der Geburtstag hatte. Ich wollte ihm etwas Persönliches geben.“ Auch für seinen Zimmernachbarn im Krankenhaus malt Akmal als Geburtstagsgeschenk ein Bild. „Das war so mein Ding, das ich für Geburtstage jemandem etwas gemalt habe.“

Mit seinen Bildern kann Akmal die Geschehnisse und die Folgen der Tatnacht für sich verarbeiten. In der ersten Zeit malt Akmal mit viel Trauer und Wut. Seine Bilder sind häufig in Rot, als Symbol für Blut. Mit der Zeit wandeln sich seine Emotionen und mittlerweile malt er von schönen Erlebnissen: „In Südfrankreich ist das Meer, die Luft, das Wetter, die ganze Atmosphäre, das ist einfach so schön, dass ich auf einmal eine andere Lebensqualität hatte. Ich habe mich so am Leben erfreut. Das habe ich in die Bilder und in meine Kunst integriert.“

Die Geschichten hinter seinen Bildern

In einem farbenfrohen Raum hängen noch mehr Bilder von Akmal.

Auf einem Rundgang zeigt Akmal mit funkelnden Augen seine Bilder und erklärt die einzelnen Geschichten dazu. Ein Bild heißt „Valentins Present“ und soll an den Valentinstag erinnern und an die Liebe. Es zeigt einen abstrakten Menschen, der mit dem Rücken zum Publikum aufrecht steht und einen bunten fröhlichen Blumenstrauß in der Hand hält. Ein weiteres Bild zeigt Karl den Großen, auch Kaiser Karl genannt, in Gold. Auch in anderen Farben wird das Bild ausgestellt. Akmal ist Aachener und unter anderem aufgrund der geschichtlichen Prägung Aachens hat er sich entschieden, ihn zu malen. Die Porträts sind Akmals Lieblingsbilder: „Ich spiele auch gerne Schach und der König ist die wichtigste Spielfigur. Im Leben versuche ich königlich zu denken, also mich selbst wie ein eigener König zu behandeln. Man braucht ja auch irgendetwas, woran man sich selbst aufbaut und ich fantasiere dann, ich würde mir mein eigenes Königreich aufbauen.“

In einem bunten Raum neben dem Gang im Einkaufszentrum läuft auf einer Leinwand ein Kurzfilm über Akmals Leben. Ein weiteres Bild zeigt auf einem hellblauen Hintergrund einen riesigen Blumenstrauß in einem dunkelgrünen Übertopf. Der Strauß ist voller Blumen in weiß, gelb, rot, grün, orange und dunkelblau. So viele Blumen, als würde man von oben auf das Publikum eines Konzerts schauen und eine Vielzahl von Köpfen sehen. Akmal zeichnet gerne Blumen. Er schaut öfters seinem Vater im Garten zu: „Das ist die Natur und ich versuche immer im Einklang mit der Natur zu sein, mich von ihr inspirieren zu lassen, Frieden zu finden und glücklich zu sein.“

Eine weitere Inspirationsquelle für Akmal sind Frauen. In der Ausstellung hängen viele Bilder, die meist eine einzelne Frau und gleichzeitig oft mit einem Blumenstrauß in der Hand abbilden. „Hier ist ein Bild von einer Frau mit Rosen in der Hand. Ich habe sie Joana genannt. Ja, natürlich geben auch Frauen mir Kraft. Ich habe in der schwierigen Zeit meine Freundin verloren. Bei diesem Thema versuche ich, beim Zeichnen die Liebe zu spüren.“ Seine Bilder sind für ihn sein Leben.

Eine besondere Beziehung

Dass so viele persönliche Eindrücke und Emotionen in seine Bilder einfließen, führt auch dazu, dass Akmal zu seinen Bildern eine ganz besondere Beziehung hat. „Ich würde sie gerne umarmen, oder ich möchte an dem Ort sein, den sie zeigen.“ So stellt er auf der Ausstellung auch das Bild namens „Black Pearl“ aus. Es zeigt ein großes altes, schwarzes Segelschiff aus Holz. Um das Segelschifft herum fliegen fünf Vögel. Im Hintergrund scheint eine große dunkelorange Sonne: „Dort würde ich gern drauf sitzen, als Passagier über den Ozean fahren und den Sonnenuntergang beobachten.“

Viele Ausstellungsbesucher*innen nutzen die Möglichkeit, ein eigenes Bild zu malen.

Im Einkaufszentrum sind mittlerweile alle Plätze am Tisch belegt und die ersten Gemälde werden fertig. Einige malen für sich, andere malen zusammen, Mütter und Väter malen mit ihren Kindern auf dem Schoss und Akmal schaut sich begeistert die Bilder an. „Mit den Menschen zu sprechen, neue Menschen kennenzulernen, es inspiriert mich auch.“ Besucherin Claudia Schiffers ist extra für die Ausstellung ins Einkaufszentrum gekommen. „Ich liebe das Zeichnen und bewundere, wie Akmal es schafft, solche schönen Bilder aus der Schulter zu zeichnen. Selbst habe ich gerade ein Bild gezeichnet und wenn man dann so am Tisch sitzt, ist die Atmosphäre richtig nett, weil man mit den anderen ins Gespräch kommt und über uns hängen links und rechts die Bilder von Akmal, was mich total inspiriert. Es ist einfach toll.“ Das Feedback der Besucher*innen bedeutet Akmal viel. „Das gibt mir Kraft, weiterzumachen und einfach dranzubleiben.“

Zeichnen, Drucken, Hauptsache kreativ

In Zukunft möchte Akmal Museen besuchen, weitere Ausstellungen planen und noch viele Bilder zeichnen. Dies macht er zuhause in seinem Atelier, oder er geht bei gutem Wetter in den Park oder Wald und fertigt dort Skizzen an. Seine Lieblingsbilder von Karl dem Großen druckt er als Siebdruck in verschiedenen Farben auf Tragetaschen und T-Shirts. Ein kleiner Verkaufsstand auf der Ausstellung stellt die unterschiedlichen Farben aus und die Nachfrage bei den Besucher*innen ist groß.

Während der Ausstellung schaut Akmal sich die gemalten Bilder an und unterhält sich mit den Besucher*innen.

Von allem, was Akmal während seiner Ausstellung verkauft, spendet er zehn Prozent des Erlös an ein Jugendzentrum in Aachen. „Ich finde das Leben besteht aus Geben und Nehmen. Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen, in der wir alle durch dick und dünn gegangen sind. Gerade in schwierigen Zeiten habe ich gelernt, dass wir durch Teilen und Zusammenhalt, auch die schwierigen Zeiten überstehen. Ja, durch das Teilen sind wir erfolgreich.“

Wie sehr die Kunst Akmal Halt gibt, fällt ihm schwer in Worte zu fassen. „Das ist so komplex. Durch die Kunst und das Malen werde ich glücklicher und finde im Alltag besser die Balance.“ Akmal genießt die Gespräche mit den Besucher*innen, die noch immer am Tisch sitzen und zeichnen. „Das ist ein Austausch, Liebe geben und Liebe empfangen.“ Akmal ist glücklich: „Ja mega, es ist die Wiedergeburt. Ich freue mich sehr, hier und am Leben zu sein. Ich bin dankbar für jeden Tag und dankbar für diese Möglichkeit, die ich habe. Jeder Tag ist ein neuer Tag.“

 

Fotos: Thomas Bürgerhausen

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