Das Duell: Schlagermusik – aufdrehen oder abschalten?

Es gibt eine Diskussion, die die Deutschen in zwei Lager spaltet. Und ebenso den Freundeskreis von Sophie und Pia. Die Rede ist von Musik auf einer Party: Schlager oder kein Schlager? Während Sophie Schlager liebt, kann Pia sich nichts Schlimmeres vorstellen.

Schlager ist eine schlechte Kombination aus sinnlosem Text und nervigen Melodien, findet Pia Stenner.

Bei der Musikauswahl bin ich wirklich nicht wählerisch. Auf Partys bin ich selten diejenige, die bestimmen will, was läuft. Aber es gibt eine Ausnahme: Wenn Sophie die Entscheidungshoheit über die Playlist übernimmt, muss ich ihr entweder schnell das Handy entreißen oder gleich die Flucht ergreifen. Denn dann dauert es nicht lange, bis aus den Lautsprechern ein „Prost ihr Säcke!“ schallt und die Schlagerparty beginnt. Und während in DJ Düses Kopf der Kater Miau schreit, schreit in meinem Kopf der Schmerz.

Triviale Texte in Dauerschleife

Wikipedias Definition zufolge sind „einfachste musikalische Strukturen und triviale Texte“ kennzeichnend für deutsche Schlager. Das trifft es schon ganz gut. Mein Definitions-Vorschlag wäre: Einfallslose, sich immer wiederholende Melodien, die sich als Dauerschleife in das Gehirn bohren und dazu noch mit absolut sinnlosen Inhalten zusammengeklatscht werden. So sinnlos und einfach, dass sie sich jeder merken und mitsingen kann.

Wer genau hinhört, findet sinnlose Inhalte natürlich in fast jedem Musikgenre. Aber bei deutschen Schlagern gibt man sich nicht mal mehr die Mühe, über die Sinnlosigkeiten in doppelter Geschwindigkeit hinwegzunuscheln. Damit jeder mitgrölen kann, egal mit welchem Alkoholpegel.

Sowieso ist Alkohol für viele der einzige Grund, wenn nicht die Ausrede, Schlager zu hören – „Ich kann das ja auch nur betrunken hören“, heißt es dann. Wenn Alkohol schlechte Musik besser macht, müsste es der Logik nach doch viel besser sein, betrunken die Musik zu hören, die man auch nüchtern mag?

Alkohol als immer wiederkehrendes Thema

Aber, während alle Organe kurz vorm Versagen stehen, ist es ja lustig, den Alkohol zum einzigen, immer wiederkehrenden Thema zu machen. Das ist ein bisschen provokant, aber irgendwie doch gesellschaftlich akzeptiert: Massenhaft Bier gehört zum Schützenfestschlager genauso wie der Tannenbaum zu Weihnachten.

Richtig lustig wird es natürlich nur, wenn die Provokation noch ein bisschen weiter geht. Und dafür wird in den meisten Liedern dann besungen, wie mit steigenden Alkoholkonsum das Frauenbild immer weiter abrutscht: Entweder, Frauen werden auf subtile Art dazu aufgefordert, mal Bier hol’n zu gehen oder es heißt direkt „je mehr ich trinke, umso geiler siehst du aus, umso mehr hätte ich Lust mit dir zu schlafen.“

Das Gemeinschaftsgefühl der biertrichternden Malle-Urlauber lässt sich aber natürlich noch weiter in die Höhe treiben – durch Abgrenzung oder eher Ausgrenzung. „Andere Farbe […] Senegal-gal-gal illegal“, heißt es in „Hallo Helmut“ von Honk. Die Erklärung, warum dieses Lied eindeutig rassistisch ist, spare ich mir an dieser Stelle. Das ist dann selbst in Schützenfestzelten, Skihütten oder Oktoberfestwiesn nicht mehr mit dem guten, alten Argument der Tradition zu rechtfertigen.

Rassistische und sexistische Inhalte

Auch ohne rassistische oder sexistische Inhalte erinnern Schlager mich einfach zu sehr an dunkle Zeiten, in denen mein 16-jähriges Ich sich heimlich aufs Dorfschützenfest schlich – um da ertragen zu müssen, wie sämtliche Verwandte auf den Musikboxen tanzend zu Schlagern schunkelten. Oder an die Sonntagmorgen in der Regionalbahn neben Prosecco trinkenden Frauengruppen in pinken Einheits-T-Shirts.

Allein der Gedanke daran löst bei mir Kopfschmerzen aus. Und Freude darüber, dass ich das Thema Schlager jetzt fürs Erste aus meinem Kopf verbannen kann. Bis zum nächsten Wochenende, wenn Sophie wieder in den Bierkönig will.

Schlager ist witziger Text mit einprägsamen Melodien, die jeden mitreißen, findet Sophie Maaßen.

Schlager war 2018 einer Befragung zufolge die drittbeliebteste Musikrichtung in Deutschland: 21,3% der deutschen Bevölkerung über 14 Jahren gaben an, dass sie sehr gerne deutschen Schlager hören. Und trotzdem verurteilen so viele Schlager. Das ist doch unfair. Ich liebe Schlager – „Mein Herz schlägt (quasi) Schlager“, wie Vanessa Mai so schön singt. Deswegen trifft es mich umso mehr, dass manche Menschen voreingenommen dem gegenüber sind. Ich kann nicht mal behaupten, ich wüsste, warum viele Menschen Schlager nicht mögen. Man kann vom Schlager ja meinetwegen halten, was man will, aber man darf nicht leugnen, dass Schlager die Musik ist, die einen so schnell in seinen Bann reißt: witzige Texte, Melodien mit Ohrwurm-Potenzial und dazu noch originelle Sänger und Sängerinnen.

Schlager hat zu unrecht einen schlechten Ruf

Ein klassischer Vorwurf gegenüber Schlager: Er sei primitiv und geschmacklos und nur unter Alkoholeinfluss zu ertragen. Der Meinung ist auch Pia. Jedes Mal kommt die Ausrede: „Ich bin zu nüchtern für Schlager“. Als ob das etwas miteinander zu tun hat. Aber genau da liegt das Grundproblem: Schlager hat einen schlechten Ruf.

Deswegen sind manche Menschen auch so voreingenommen. Aber Schlager hat nicht zwangsläufig etwas mit Alkoholexzessen und asozialen Feiernden zu tun. Klar, Schlager animiert in gewisser Weise zum Trinken, aber ist das ein Problem?

Ich bin davon überzeugt, dass sich viele für Schlager schämen, weil es einen asozialen Touch hat. Aber das ist nur ein Klischee, das sich über die Jahre hinweg verdichtet hat und jetzt ein schlechtes Licht auf die Musik wirft. Für Schlager muss man sich nicht schämen. Sondern stolz drauf sein – man folgt nicht dem Klassischen, dem Mainstream, sondern geht musikalisch individuelle Wege.

Dann heißt die Playlist, eben „Malle-Mucke“. Die höre ich auch jeden Morgen – um halb zehn – bevor ich zur Uni fahre. Offensichtlich ohne Alkoholeinfluss. Danach habe ich direkt gute Laune. Die Musik erinnert einen doch zwangsläufig an schöne Momente: ans Schützenfest, an den Ballermann, ans Oktoberfest, an den Strand, an Sommerpartys, Karneval… Da wird man allein vom Musikhören besoffen – „Besoffe vör Glück“, wie Brings so schön singen. Und der (deutsche) Schlager gehört eben zur deutschen Kultur, wie Pünktlichkeit, Kartoffeln und Socken in Sandalen. Ein Kulturträger.

Es ist Musik für jeden

Und mal im Ernst: Schlager ist ja auch nicht gleich Schlager. Wir sprechen hier nicht von Sängern wie Roland Kaiser, Howard Carpendale und Co. – das ist wirklich nicht cool. Die klassische deutsche Volksmusik ist eher die Vorstufe dessen, was wir heute Schlager nennen. Und da haben wir doch schon das Argument schlechthin für den Schlager: Es ist VOLKSmusik! Musik für jeden. Musik, die keinen ausschließen, sondern ganz im Gegenteil jeden mitreißen möchte.

Die Texte sind extra nicht so tiefgründig und kompliziert, damit man sich den Text und die Melodie schnell merken kann und alle gemeinsam singen können – wippend auf der Bierzeltgarnitur, Arm in Arm mit seinen Liebsten. Schlager verbreitet Liebe und gibt ein Gemeinschaftsgefühl. Oder wie viele Schlager kennt ihr, die von Wut und Trauer handeln? Davon gibt´s genug in den Charts. „How to save a life?“ oder „Wie soll ein Mensch das ertragen“ – davon wird man definitiv nicht glücklich.

Da ist der Schlager wie ein Trostpflaster. Er überrascht immer wieder aufs Neue, weil er einfach alles kann: Freude bereiten, ein Gefühl von Betrunkenheit hervorrufen (deutlich leberschonender als Alkohol), Gemeinschaft entstehen lassen.

 

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