Interview: Frauen in Führungspositionen – Gegen Vorurteile und für mehr Vielfalt

Dass Frauen eine Führungsposition haben, ist in Deutschland die Ausnahme – trotz politischer Bemühungen. Nur knapp 25 Prozent der deutschen Führungskräfte sind laut Dienstleister Crifbürgel weiblich. Ute Wolf ist eine dieser Führungskräfte. Sie ist Finanzvorständin von Evonik – ein börsennotierter Konzern für Spezialchemie mit Sitz in Essen. Die 53-Jährige sieht es als ihre moralische Verpflichtung, anderen Frauen den Weg zu ebnen.

Sie haben Mathematik studiert und sind seitdem im Finanzwesen von Unternehmen tätig. Haben Sie in Ihrer Branche nur mit Männern zu tun?

Die Branche ist gar nicht so männerdominiert, wie es vielleicht von außen wirkt. Es gibt viele Frauen, die BWL studieren. Im Marketing und in Steuerabteilungen arbeiten auch viele Frauen, zum Teil sehr junge. Auch im Accounting ist das so. Dort werden alle Zahlungsströme in Unternehmen erfasst und überwacht.

Erst im November hat die Bundesregierung sich darauf geeinigt, dass es künftig eine verbindliche Frauenquote in Vorständen börsennotierter Unternehmen geben soll. Wie stehen Sie zu dem Begriff der Quotenfrau?

Das ist ein Begriff, der mich überhaupt nicht interessiert. Da will ich mich auch gar nicht mit beschäftigen. Es erreicht mich deshalb auch überhaupt nicht, wenn jemand zu mir Quotenfrau sagt. Stattdessen frage ich mich immer: Traue ich mir den Job zu? Kann ich den gut machen? Und dann mach ich ihn.

Sicher wurden Sie in Ihrer Laufbahn aber schon einmal mit Stereotypen konfrontiert.

Klar, ich war immer in der Minderheit. Und das Maß ist immer die Mehrheit. Da ist es auch völlig egal, ob man eine Frau ist oder eine andere Nationalität hat oder dergleichen.

Es gab mal eine Situation, da habe ich mit sehr vielen Männern zusammengearbeitet. Die waren ein wenig konservativer. Einer sagte mir, ich wäre eine männliche Frau. Aus seiner Sicht war es wohl das größte Kompliment, das er mir machen konnte. Aber es zeigt, wo die Messlatte liegt: Ich war in Ordnung, weil ich diesem speziellen Wahrnehmungsschema entsprochen habe. Damals habe ich mich erstmal tierisch über diese Bemerkung geärgert, war total sauer. Aber hinterher habe ich gedacht: „Na gut, aus seiner Sicht war es nett gemeint, war es eigentlich anerkennend.“

Was ist Ihr Tipp, wie Betroffene am besten mit solchen Vorurteilen umgehen sollten?

Humor hilft immer. Man ist zwar nicht unbedingt humorvoll drauf, wenn einem so etwas gesagt wird. Aber Humor macht vieles einfacher: Er nimmt einer Erwiderung die Schärfe und man strahlt eine gewisse Souveränität aus. Gleichzeitig ist es ganz wichtig, diese Bemerkungen auf keinen Fall persönlich zu nehmen. Also nicht denken: „Vielleicht haben die Recht.“ Außerdem sollte man gegen solche Äußerungen angehen, wenn möglich. Vor allem, wenn das jemand anderem passiert.

Haben Sie ein Beispiel für so einen Fall?

Da könnte man sagen: „Hey, wieso? Sag doch mal genau, was du meinst.“ Denn ein Vorurteil ist ja eigentlich nur ein Einwurf. Wenn dieser begründet werden muss, wird es schon mal dünn. Einzugreifen ist sehr wichtig, denn ein Vorurteil sagt sich schnell. Es schleicht sich ein. Die anderen finden es irgendwie lustig – und das Problem hat der andere. Wenn dann aber die Gruppe sagt „Du, das war jetzt irgendwie gar nicht lustig“, dann denkt derjenige vielleicht mehr drüber nach und sagt sich „Ja, eigentlich hast du recht, das war total bescheuert“ oder zumindest „Hm, okay, ich fand das zwar eine coole Bemerkung, aber die anderen nicht. Vielleicht mach ich‘s nächstes Mal nicht“.

Wie schwer haben Frauen es, in Führungspositionen zu kommen?

Da sprechen die Zahlen für sich: Wir haben schon seit vielen Jahren in vielen Studienabgängen sehr hohe Anteile von Frauen. In vielen Bereichen ist das mindestens Fünfzig-Fünfzig. In der Regel haben die Frauen auch sehr gute Noten und sehr gute Studienabschlüsse. Auf dem normalen Karriereweg müssten also mehr Frauen in führenden Positionen sein. Fakt ist aber: Wir haben gut ausgebildete Frauen und die sind einfach nicht da, wo die gut ausgebildeten Männer sind.

Woran liegt das?

Es gibt drei Einflussfaktoren. Zum einen fehlen immer noch Rolemodels, an denen sich junge Mädchen orientieren können. Zusätzlich gibt es in allen Organisationen unbewusste Vorurteile, die dazu führen, dass männliche Mitarbeiter eher gefördert werden. Außerdem sind junge Männer ihren männlichen Vorgesetzen ähnlich und vertraut. Ein weiterer wichtiger Faktor ist das private Umfeld. Wird ein Mädchen ermutigt, Erfolge anzustreben, sich durchzusetzen? Lernt es, an eigenen Zielen auch bei Konflikten festzuhalten? Wählt sie Freunde und auch den Lebenspartner so aus, dass sie in ihrer Entwicklung unterstützt wird?

Die Unterstützung durch den*die Partner*in ist sicher wichtig. Wie vereinbaren Sie Ihre Arbeit als Finanzvorständin mit Familie und Freizeit?

Es ist wichtig, dass man seine eigenen Energielevels gut kennt. Dass man erkennt, wann es keinen Sinn mehr hat, weiterzuarbeiten. Und dann lieber Schluss macht und am nächsten Morgen neu durchstartet. Aber es ist auch eine Frage der Organisation: Was kann ich tun, damit mein Job effizienter wird, statt immer heiß zu laufen wie in einem Hamsterrad?

Frauen sollen dieselben Chancen bekommen wie Männer. Das will seit einiger Zeit auch die Politik. Sehen Sie schon Ergebnisse?

Es hat sich sicherlich schon eine Menge verbessert. Wir hatten vor fünf Jahren das Gesetz für die Quote in Aufsichtsräten. Diese schreibt vor, dass es in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen einen Frauenanteil von 30 Prozent geben soll. Das war ja sehr umstritten. Das Gesetz hat sicherlich auch die Einstellung mancher verändert. Denn die Politik hat gesagt: „Leute, es ist nicht okay, wenn da gar keine Frauen sind.“ Dadurch entsteht eine andere Diskussion und auch ein anderes Verhalten.

Heute ist die Quote in Aufsichtsräten etabliert. Da spricht keiner mehr drüber. Die Frauen in den Aufsichtsräten sind außerdem sehr qualifiziert, keine davon müsste man mit dem Schimpfwort Quotenfrau belegen. Das hat also super funktioniert.

Aber ohne Verpflichtungen hätte das nicht geklappt.

Natürlich ist es immer schöner, wenn es kein Gesetz braucht. Alles, was gesetzlich geregelt wird, kreiert individuell vielleicht komische Situationen. Und Bürokratie. Aber gerade bei Frauenanteilen gibt es seit mehr als zwanzig Jahren die Bemühungen und die Appelle, dort mehr zu tun. Und es tut sich relativ wenig.

Sehen Sie es auch als Ihre Aufgabe an, mehr für die Gleichstellung der Frau zu tun?

Absolut. Ich bin hier vor sieben Jahren als CFO angetreten, also als Finanzvorständin. Damals sind einige aus meinem Team in den Ruhestand gegangen. Ich hatte sechs Stellen zu vergeben und habe drei Frauen und drei Männer eingestellt. So sieht auch die Organisation, dass das geht. Klar, man wird das nicht immer und bei jeder Position machen können, aber wenn man ein ausgewogenes Verhältnis möchte, kriegt man es meistens hin.

Das Geschlecht ist im Übrigen nur eine Dimension. Als internationaler Konzern könnte man auch ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen schaffen. Das gilt auch für bestimmte Berufsbilder und Ausbildungen. Ich möchte beispielsweise nicht nur BWLer aus Köln oder Münster im Unternehmen haben.

Welche Vorteile hat diese Vielfalt für ein Team?

Gerade ein Männer-Frauen-Mix kreiert eine deutlich bessere Diskussionskultur. Und die Arbeit ist natürlich weniger vorurteilsbehaftet. Je mehr verschiedene Leute beteiligt sind, desto weniger können Vorurteile greifen. Mit diesen verschiedenen Sichtweisen lassen sich Probleme besser lösen. Das bezieht sich aber nicht nur auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Das gilt beispielsweise für den Background, die Berufserfahrung, das Alter … Es gibt viele Kriterien, die unter dem Diversity-Aspekt wichtig sind, damit ein Team seine Wirkkraft entfalten kann.

Frauen sind dem Stereotyp zufolge einfühlsamer, Männer durchsetzungsfähiger. Ergänzen sich diese Eigenschaften in einem gemischten Team?

Ich sehe diese Stereotypen nicht. Innerhalb der Frauen und Männer gibt es genauso viele Unterschiede wie zwischen Männern und Frauen. Natürlich spielt die Sozialisierung eine Rolle. Wie ist das Umfeld? Was wird erwartet? Frauen sind zum Beispiel einer anderen Erwartungshaltung ausgesetzt als Männer, wenn es um das Thema Familie und Kinder geht. Wenn eine Frau mit Kindern arbeitet und dann von allen angefeindet wird, hat sie andere Schwierigkeiten als ein Mann.

Ihre Karriere kann ein Vorbild für junge Frauen sein. Sind Sie gern in dieser Rolle?

Menschen in dieser Position sind natürlich sehr sichtbar. Wie viele andere haben sie aber auch Fehler und machen nicht immer alles perfekt. Daher ist es wichtig, keine überhöhten Erwartungen an jemanden zu haben, der so eine Position innehat. Meine Erfahrungen gebe ich aber gerne weiter. Ich habe ja selbst gesagt: Einsteiger brauchen Unterstützer! Und die Frauen, die es geschafft haben, haben eine moralische Verpflichtung, anderen Frauen den Weg zu ebnen.

Was raten Sie Studentinnen, die in eine Führungsposition gelangen möchten?

Karrieren sind anstrengend. Gegenwind gibt’s immer. Deshalb ist es wichtig, etwas zu tun, das einen innerlich ausfüllt. Sonst besteht immer die Gefahr, krank zu werden.

Ganz wichtig ist, sich klar zu machen: „Wie wichtig ist es für mich, eine gewisse Karriere zu machen?“ Da hängt viel dran. Und sich auch immer wieder zu prüfen: „Will ich jetzt nur meinem Bruder etwas beweisen oder meiner Tante oder wem auch immer oder ist es für mich auch wichtig?“

Welche Botschaft haben Sie also für unsere Leserinnen?

Holt euch euer Stück vom Kuchen!

 

Bilder: Evonik Industries AG

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