Benötigen Menschen, die menstruieren, zusätzliche Krankheitstage? Sollte Deutschland das Modell aus anderen Ländern übernehmen? Drei Expertinnen erklären, wie die Lage hierzulande ist, was die Menschen entlasten kann und wie sie zu dem Begriff Menstruationsurlaub stehen.
Iris Woerner, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Dortmund
Wie kann ich mich während der Menstruation krankmelden? Geht das über die Arbeitsunfähigkeit, kurz AU?
Ja genau, Arbeitsunfähigkeit bedeutet, dass ich für meine Arbeit nicht einsatzfähig bin. Zuhause im Bett liegen und einen Schal anziehen, muss ich deswegen jedoch nicht. Vielmehr gilt es, für meinen konkreten Aufgabenbereich nicht einsatzfähig zu sein, für den ich angestellt bin. Mit den bisherigen Richtlinien müssen Arbeitnehmerinnen daher nicht während ihrer Menstruation arbeiten, wenn sie sich krankmelden.
Wäre ein anderes Modell als eine AU denkbar? Vielleicht in Form eines Spezialurlaubs?
Ich finde es schwierig, etwas anderes als die Krankmeldung zu nutzen, da das schnell diskriminierend gegenüber Männern werden könnte. Rechnet man zwei Tage Menstruation im Monat, bekämen Frauen 24 Urlaubstage im Jahr mehr als Männer. Wer sollte dieses Modell außerdem bezahlen?
Momentan ist die Bezahlung von Krankheitsfällen wie folgt geregelt: Wer krankgeschrieben wird, bekommt über einen bestimmten Zeitraum sein Gehalt vom Arbeitgeber weitergezahlt. Kleine Unternehmen bekommen dieses Geld anteilig sogar von der Krankenversicherung wieder. Deswegen sehe ich im Moment kein Stigma, sich wegen der Menstruationsbeschwerden krankzuschreiben. Natürlich kann es sein, dass der Arbeitgeber eins und eins zusammenzählt, wenn jeden Monat eine Krankschreibung eingeht. Begründen müssen Arbeitnehmerinnen ihren Ausfall bei einer AU jedoch nicht. Ich sehe aber ein zusätzliches Risiko in einem pauschalen Spezialurlaub: Müssten die Unternehmen den mitfinanzieren, könnte das die Einstellung von Frauen gefährden.
Gibt es eine Lösung für Frauen, die sich momentan nicht trauen, sich aufgrund ihrer Menstruation krank zu melden?
Da sehe ich schon die Problematik bei den Krankschreibungen. Arbeitnehmende sind vielleicht am Anfang eines neuen Jobs eher zurückhaltend damit, zum Arzt zu gehen. Ähnlich könnte das in Kleinbetrieben sein, wo kein Kündigungsschutz greift. Allein die Tatsache, dass ich ein bis zwei Tage fehle, führt aber nicht zu einer krankheitsbedingten Kündigung. Es ist also besser, sich auszukurieren, als sich mit Schmerzmitteln kaputt zu machen.
Kann überhaupt von einem Menstruationsurlaub die Rede sein?
Nein, dagegen spricht das Bundesurlaubsgesetz, welches festschreibt, dass ich Erholungsurlaub bekomme. Urlaub ist also ein Widerspruch zum Kranksein. Urlaub gilt ja sogar als nicht genommen, wenn ich im Urlaub krank werde.
Annette Rennert, Fachärztin für Allgemeinmedizin
Wie oft kommt es vor, dass Menschen aufgrund von Menstruationsbeschwerden zu Ihnen kommen?
Es kommt immer mal wieder vor. Wenn ich eine Prozentzahl angeben müsste, wäre die im niedrigen einstelligen Bereich. Es sind häufig die gleichen Patientinnen, eher die jüngeren Frauen, die in der Schule sind, weil sich der Körper anfangs noch an die Menstruation gewöhnen muss und alles umstellt oder sowieso im Wachstum ist.
Welche Konsequenzen hätten pauschale Krankheitstage während der Menstruation aus Ihrer Sicht?
Ich sehe da in der Tat nicht so viel Sinn drin, weil es wirklich viele Patientinnen gibt, die keine oder sehr wenig Beschwerden haben. Außerdem denke ich, dass die Personen, die Hilfe brauchen, diese bereits bekommen können. Die aktuellen Regelungen habe ich noch nie als ein Problem wahrgenommen. Außerdem finde ich das Wort Menstruationsurlaub irreführend: In einem Urlaub würde man sich entspannen. Mit Schmerzen kann man sich nicht entspannen.
Führt eine AU zu einer Stigmatisierung von menstruierenden Personen?
Wenn jemand mit Beschwerden zu mir kommt und eine AU haben möchte, erfrage ich zunächst den Grund. Aber dieser steht ja für den Arbeitgeber nicht auf der AU, kann also nicht zu einer Stigmatisierung führen. Außerdem muss ich die Schweigepflicht beachten. Wenn eine Patientin häufiger über Beschwerden klagt, sollte sie in eine gynäkologische Praxis gehen, um beispielsweise eine Endometriose abzuklären. Menstruationsbeschwerden werden von der WHO bereits offiziell als Krankheit aufgeführt. Daher gibt es mit einer Ausstellung einer Krankschreibung kein Problem. Wenn ein Menstruationsurlaub Gesetz werden würde, wäre es für mich die gleiche Situation wie vorher. Dabei frage ich mich, ob dieser wirklich niederschwelliger wäre, denn: Wie wäre dieser anzumelden?
Silke Raab, Referatsleiterin Gleichstellungsorientierte Familienpolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund
Wie könnte in Deutschland eine Art Spezialurlaub für menstruierende Personen eingeführt werden?
Die Frage setzt voraus, dass dieser sogenannte „Urlaub“ eine Verbesserung der Situation darstellen würde. Das ist aber nicht der Fall. Der DGB hält die Einführung eines „Menstruationsurlaubs“ für unnötig, sogar für gleichstellungspolitisch kontraproduktiv. Wir haben in Deutschland längst eine viel bessere gesetzliche Regelung. Nämlich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab dem ersten Tag. Daher können sich Frauen bei Menstruationsbeschwerden von ihrer Ärztin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen lassen, ohne dabei ihren Lohn einzubüßen. Das ist in Spanien anders: Im Falle einer Krankmeldung sind die ersten drei Tage unbezahlt. Das hat dazu geführt, das Thema zu diskutieren und eine entsprechende gesetzliche Regelung zu schaffen. Bei uns ist das gar nicht notwendig. In diesem Zusammenhang von einem „Urlaub“ zu sprechen, ist im Übrigen beschönigend: Bei Menstruationsbeschwerden geht es um Symptome, die selbstverständlich eine Krankschreibung rechtfertigen.
Sie halten die Einführung so eines Pauschalurlaubs hier in Deutschland also für unwahrscheinlich?
Ja. Mit der Diskussion über das Thema werden überkommene Narrative aufgegriffen und Klischees befeuert, was zu einer neuen Stigmatisierung führen kann. Etwa, dass Frauen nicht leistungsfähig seien. Medizinisch und therapeutisch bleibt es aber wichtig, die Menstruation und die verbundenen Symptome weiter zu erforschen.
Warum ist die Forschung hierbei so wichtig?
In der medizinischen Forschung wird die Geschlechterperspektive immer noch viel zu wenig berücksichtigt. Wir müssen viel mehr über geschlechtsspezifische Krankheitsbilder wissen und auch gesamtgesellschaftlich ein Bewusstsein dafür schaffen. Wir brauchen die Geschlechterperspektive in der Forschung ebenso wie in Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation. All das müsste geschlechterdifferenziert betrachtet werden, um Betroffenen gezielt helfen zu können.
Beitragsbild: Henri Schlund