Von Superreichen und Steuerschlupflöchern

Die Zahlen sprechen Bände: 2019 hatten die reichsten 10 Prozent aller Haushalte in Deutschland einen Anteil von rund 67 Prozent am Nettogesamtvermögen. Um gegen diese Ungerechtigkeit vorzugehen, will SPD-Politiker Yannick Haan Hochvermögende stärker besteuern. Wirtschaftswissenschaftler Markus Grabka hat eine andere Lösung.

Yannick Haan, Erbe zweier Immobilien und Vorsitzender der SPD Berlin-Mitte, findet: Vor allem große Betriebe sollten mehr Steuern zahlen. Aus den Abgaben Hochvermögender will er ein bedingungsloses Grunderbe für junge Menschen finanzieren, denn Haan setzt sich auch für Generationengerechtigkeit ein.

Markus Grabka, Wirtschaftswissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), möchte alle Erben gleich besteuern. Ein bedingungsloses Grunderbe hält er für schwierig umsetzbar.

 

Herr Grabka, während einige wenige Personen in Deutschland sehr hohe Vermögen besitzen, schaut insbesondere die junge Generation gerade mit Sorge in die Zukunft. Laut einer Umfrage im Auftrag des BR glauben 75 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 34 Jahren, den Wohlstand ihrer Elterngeneration nicht zu erreichen. Ist diese Angst berechtigt?

Wirtschaftswissenschaftler Markus Grabka. Foto: DIW

Grabka: Empirisch betrachtet ist da nur eine halbe Wahrheit dabei. Heutzutage verfügen jüngere Erwachsene über höhere Einkommen als ihre Vorgängergenerationen vor 20 oder 40 Jahren, weil wir insgesamt ein steigendes Wohlfahrtsniveau haben und sich das in den höheren Löhnen und Haushalts-Nettoeinkommen widerspiegelt. Allerdings sind die Immobilienpreise in städtischen Regionen sehr stark angestiegen. Ohne Erbschaft oder Schenkung kann man sich heute in den Städten faktisch keine Immobilie mehr leisten.

Herr Haan, Sie sind 37 Jahre alt und haben bereits zwei Wohnungen geerbt. Gleichzeitig finden viele junge Menschen, dass sich harte Arbeit nicht mehr lohnt, weil die eigene Wohnung zum Beispiel trotzdem unbezahlbar bleibt. Spaltet das Erben also vor allem Ihre Generation?

Haan: Ich sehe eine junge Generation, die sich sehr abmüht und trotzdem wenig Vermögen aufbauen kann ohne eine Erbschaft. Ich bin aber kein Freund davon, Jung gegen Alt auszuspielen. Trotzdem erlebe ich einen Unterschied zwischen jüngeren und älteren Erben, und zwar in der Einstellung zum Thema. Ich kann das nicht empirisch nachweisen, aber meiner Erfahrung nach haben ältere Menschen weniger Probleme damit, ihr Geld weiterzugeben. Sie sagen “Ich habe mir das verdient und der Staat soll sich nicht einmischen“ – was ja auch ein natürlicher Reflex ist. Die Jüngeren hingegen hinterfragen die Vermögensungleichheit und das Erbschaftssystem eher.

Erbe und SPD-Mitglied Yannick Haan. Copyright: Marcel Maffei

So wie Sie. Wo liegt in Ihren Augen das Problem an unserem Erbschaftssystem?

Haan: Das große Problem ist das Thema Superreichtum. Unser Steuersystem lässt unzählige Ausnahmen zu, die Hochvermögende von der Steuer befreien. Damit gehen eine riesengroße Macht und Privilegien einher. Dieses System ist nicht progressiv, so wie ursprünglich mal angedacht. (Anm. der Redaktion: In einem progressiven Steuersystem sind Steuersätze abhängig von Einkommen oder Vermögen.) Es macht auch aus Gerechtigkeitsgründen keinen Sinn. Denn auch die sehr Vermögenden haben ja ein Interesse an einem funktionierenden Staat, einer funktionierenden Infrastruktur und einem guten Bildungssystem. Sie profitieren stark davon.

Grabka: Aber ist es nicht völlig naheliegend, dass die Politik nichts an diesem System verändert? Die Vermögensungleichheit in Deutschland ist auch deshalb so groß, weil wir so viele familiengeführte Unternehmen haben. In Großbritannien gibt es unter den ersten 500 Unternehmen nur ein familiengeführtes, in Deutschland sind es schon unter den ersten 20 sehr viele. Wenn diese Familienunternehmen vererbt werden, stehen Arbeitsplätze dahinter. Dass die Politik da eine gewisse Vorsicht an den Tag legt, kann ich nachvollziehen. Ich würde eher nach Vermögensart differenzieren, also ob man etwa Aktien geerbt hat, die für die Gesellschaft meist wenig Mehrwert haben, oder einen Betrieb, der Arbeitsplätze schafft. Trotzdem ist es natürlich auch in meinen Augen völlig fragwürdig, dass man dank der Ausnahmeregelungen für Betriebsvermögen sogar Milliarden komplett steuerfrei übertragen kann.

Haan: Es will ja niemand, dass Unternehmen sofort pleite gehen und die Bäckerei oder der Landwirtschaftsbetrieb Probleme bekommen. Aber BMW zum Beispiel würde es glaube ich nicht kümmern, wenn Erbin Frau Klatten ein paar Aktien verkaufen und mehr Steuern zahlen müsste. Ich sehe das Hauptproblem bei den hohen Erbschaften und Vermögen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Erbschaftssteuer mittlerweile schon mehrfach als verfassungswidrig erklärt, aber es wurde nie politisch gehandelt. Das Urteil von 2014 ist eigentlich ganz klug: Da steht drin, dass man zum Beispiel Unternehmen mit bis zu 20 Personen schonen sollte, aber dass man nicht alle Betriebsvermögen pauschal schonen kann. Genau das passiert allerdings.

Grabka: Man kann aber nach den geltenden Regelungen auch Immobilien, die Millionen wert sind, komplett steuerfrei auf die nächste Generation übertragen. Und daher sollten wir uns nicht nur die „bösen“ Hochvermögenden vornehmen. Die Immobilienpreise steigen immer weiter. Doch auch eine Immobilie, die Millionen wert ist, hat nur einen begrenzten gesellschaftlichen Nutzen. Es wird eine einzelne Person beglückt, während an den Betriebsvermögen hunderttausende von Arbeitsplätzen hängen. Eine zu hohe Steuer würde Arbeitsplätze gefährden, weil manche Unternehmen dann gezwungen sein könnten, Teile ihrer Firma zu verkaufen. Unsere Wirtschaftsstruktur würde sich verändern.

Haan: Mein Gefühl ist, dass man bei einer stärkeren Besteuerung von Immobilien Probleme bekäme mit der Mehrheit der Gesellschaft, weil es für die Menschen auch ein Sicherheitsgefühl bedeutet, ihre eigene Immobilie weiterzugeben …

Grabka: … Aber die Mehrheit der Gesellschaft sind ja Mieter! Sie müssten als SPD-Vertreter doch argumentieren, dass man an die denken muss. Die Immobilien sind ein Ansatzpunkt, wo wir unbedingt ranmüssen – nicht nur die Betriebe.

Haan: Mir wird immer genau dieses Argument entgegengehalten, dass ich die Betriebe nicht zu sehr belasten soll. Dabei gibt es für Betriebe ja die Möglichkeit der Stundung, man kann Ausnahmen definieren, wenn Arbeitsplätze gefährdet sind, und die Erbschaftssteuer wird einmal beim Generationenwechsel eingefordert. Das ist keine Vermögenssteuer, die man jährlich zahlen muss. Aktuell liegt die Erbschaftssteuer bei etwas über 2 Prozent. Ich würde gerne die Unternehmen sehen, die da in die Knie gehen. Unsere Wirtschaft ist alt strukturiert, mit familiengeführten Unternehmen, die es schon sehr lange gibt. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die oft nicht mal das Gefühl haben, etwas gründen zu können. Wenn wir an dieser Struktur nichts ändern, bekommen wir keine innovative Wirtschaft hin, die neue Ideen entwickelt. So etwas erreichen wir nur, wenn wir denen, die heutzutage sehr stark profitieren, sagen: „Ihr müsst was abgeben an die, die auch Chancen verdient haben.“

Herr Haan, Sie haben selbst zwei Wohnungen geerbt – und keine Steuern darauf gezahlt, weil Ihr Erbe im Rahmen der Freibeträge lag. Sollten Menschen wie Sie nicht auch etwas abgeben müssen?

Haan: Doch, ich hätte gerne besteuert werden können, weil ich mir durch das Erbe ein Vermögen aufgebaut habe, das ich mir nie hätte erarbeiten können. Das macht einen großen Unterschied im Leben. Ich habe mir damals angeschaut, wie viel Vermögen ich bekommen habe, und hatte dann lustigerweise meinen Einkommenssteuerbescheid daneben liegen. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie krass dieser Unterschied ist: Auf der einen Seite bekomme ich leistungslos ein Vermögen übertragen und zahle darauf gar keine Steuern. Und auf der anderen Seite arbeite ich einen Monat und davon gehen 30 bis 40 Prozent Steuern weg. Dieses komplette Ungleichgewicht muss man unbedingt wieder ins Lot bekommen.

Grabka: Und deshalb sollten wir uns alle Freibeträge vornehmen, nicht nur die der Hochvermögenden. Pro Kind kann jedes Elternteil 400.000 Euro steuerfrei übertragen. Und das können die Eltern nach 10 Jahren wiederholen. Macht also 2,4 Millionen Euro, die bis zum 21. Geburtstag steuerfrei vererbt werden können. Ein durchschnittlicher vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer mit einer hierzulande typischen Sparquote von 10 Prozent müsste 670 Jahre sparen, um auf so eine Summe Geld zu kommen.

Wie würden Sie diese Vermögensungleichheit reduzieren?

Grabka: Ich würde die Freibeträge absenken und die angesprochene 10-Jahres-Regel abschaffen. Gleichzeitig sollte es einen pauschalen Steuersatz von beispielsweise 15 Prozent auf alle Arten von Vermögen geben. Das würde sowohl die ärmere Hälfte der Bevölkerung als auch die Reicheren nicht zu stark belasten und könnte unterschiedliche Parteien an einen Tisch bringen.

Haan: Ich verstehe das Argument der Einfachheit und Durchsetzbarkeit wegen, halte aber an einem progressiven Steuersystem fest. Ich kann aus Gerechtigkeitsempfinden nicht nachvollziehen, warum jemand mit einem Vermögen von über 30 Milliarden Euro einen ähnlichen Steuersatz zahlen sollte wie jemand, der oder die ein Haus erbt. Mit einem pauschalen Steuersatz zahlen diejenigen, die wenig erben, proportional mehr als die Hochvermögenden. Ich glaube, es ist ein Problem für die Demokratie, wenn einige Leute vermögenstechnisch so weit weg sind. Das kriegt man mit einer pauschalen Besteuerung meiner Meinung nach nicht genug in den Griff.

Herr Haan, Sie wollen mit einer stärkeren Besteuerung der Hochvermögenden ein bedingungsloses Grunderbe von 20.000 Euro für Volljährige in Deutschland finanzieren. Was könnte sich dadurch verändern?

Haan: Erstens würde das Grunderbe in einer superwichtigen Lebensphase vergeben: in einer Phase, in der junge Menschen entscheiden, ob sie eine Ausbildung machen, studieren, ein Praktikum machen. Zu diesem Zeitpunkt ist der finanzielle Hintergrund der Eltern ausschlaggebend für die Möglichkeiten, die man hat. Ich finde ich es richtig, gezielt in diese Lebensphase zu investieren – gerade im Hinblick auf die heutige junge Generation, die von Corona und den steigenden Preisen sehr stark getroffen wurde. Das Grunderbe schafft das Erben nicht ab, im Gegenteil: Alle sollen ein Erbe bekommen. Man bestärkt also eigentlich den Gedanken, der nächsten Generation etwas weitergeben zu wollen – einen Gedanken, den ich sehr positiv finde. Außerdem könnte man zeigen: Wenn wir ein paar Leute, die es gar nicht richtig merken, mehr besteuern, könnten wir so viele andere Menschen unterstützen. Damit hoffe ich auch diejenigen überzeugen zu können, die beim Thema Steuererhöhungen direkt abschalten.

Klingt ein bisschen nach Robin Hood – aber ist es auch realistisch?

Haan: In Deutschland werden jährlich 300 bis 400 Milliarden Euro vererbt. Da sollte man die 15 Milliarden, die der Staat pro Jahr zur Finanzierung des Grunderbes bräuchte, aus dem Steuertopf zusammenkriegen. Heruntergerechnet käme dabei nämlich eine sehr moderate Erbschaftssteuer raus. Ein durchschnittlicher Steuersatz von 5 Prozent könnte schon reichen. Das ist nicht viel, wenn man sich anschaut, wie wir Arbeit besteuern.

Grabka: Um ein Grunderbe so finanzieren zu können, müssten aber alle Erbschaften mit 5 Prozent besteuert werden  – was keiner progressiven Besteuerung entspräche, obwohl Sie sich gerade die doch wünschen – und es dürfte keine Freibeträge geben. Unser Institut hat einmal durchgerechnet, wie viel zusätzliche Steuereinnahmen zusammenkämen, wenn wenigstens hohe Unternehmensübertragungen mit einem Steuersatz von 15 Prozent mindestbesteuert würden und weitere Steuervergünstigungen im Erbschafts- und Schenkungsrecht wegfielen. Das Ergebnis wären immerhin 7 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen pro Jahr. Die Differenz zu den nötigen 15 Milliarden, die der Staat für ein Grunderbe bräuchte, müsste aber durch andere Steuereinnahmen geschlossen werden. Selbst eine Mindestbesteuerung von hohen Betriebsvermögen würde also nicht reichen für ein Grunderbe.

Haan: Ich bin ja auch nicht für  niedrige Steuersätze. Ich will nur zeigen, dass die Idee, ein Grunderbe zu finanzieren, nicht utopisch ist. Und ich bin natürlich offen für andere Finanzierungsvorschläge. Ich denke aber nach wie vor, dass man durch eine Erhöhung der Erbschaftssteuer und den Wegfall von Ausnahmen gerade für die Hochvermögenden einen Umverteilungseffekt erreichen könnte.

Herr Grabka, auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat ein Grunderbe als wirksame Maßnahme gegen Vermögensungleichheit vorgeschlagen. Persönlich kritisieren Sie die Umsetzung. Warum?

Grabka: Das Grunderbe hat durchaus Charme, weil es ein alternativer Ansatz im Kampf gegen Vermögensungleichheit ist. Aber abgesehen von den angesprochenen Finanzierungsproblemen würde ich insbesondere von einem Grunderbe ohne Bedingungen abraten. In den Augen des DIW sollte das Grunderbe zweckgebunden sein, weil wir junge Menschen nicht dazu animieren wollen, das Geld in privaten Konsum zu investieren. Außerdem würden auch Kinder aus einer Millionärs- oder sogar Milliardärsfamilie davon profitieren.

Haan: Wenn ein Grunderbe an Bedingungen geknüpft wäre, hätte ich Angst, dass gerade die Bedürftigsten keine finanzielle Hilfe beantragen – zum Beispiel wegen bürokratischer Hürden. Und ja, das Grunderbe bekämen alle, aber es hätte trotzdem einen Umverteilungseffekt, eben weil es vor allem durch eine stärkere Besteuerung der Hochvermögenden finanziert würde.

Grabka: Um Steuersätze festzulegen, müssten wir aber erst wissen, wie viel tatsächlich pro Jahr vererbt wird. Die Berechnung, dass wir jährlich etwa 400 Milliarden Euro weitergeben, kommt aus unserem Hause. Aber es ist nur eine Schätzung. Denn über alle Erbschaften und Schenkungen wissen wir in Deutschland faktisch nichts. Von den Amtsgerichten werden nur die Erbschaften erfasst, die über den Freibeträgen liegen, und Schenkungen laufen teilweise sogar jenseits der Amtsgerichte ab. Wir haben eine große Dunkelziffer. Wir wissen also nicht, ob vielleicht doch nur 200 Milliarden Euro vererbt werden pro Jahr, oder sogar 500 Milliarden Euro.

Könnten Sie als Politiker nicht für mehr Transparenz sorgen, Herr Haan?

Haan: Ich werde mich innerhalb der SPD definitiv für mehr Transparenz hinsichtlich Erbschaften einsetzen. Es ist ja nicht so, dass die Datenbasis fehlt oder man sie nicht generieren könnte. Meine Macht, schnell etwas durchzusetzen, ist leider begrenzt, aber beim Bundesparteitag im Dezember wird dieses Thema hoffentlich auch besprochen.

Und das Grunderbe? Wie wollen Sie das auf den Weg bringen?

Haan: Ich trage die Diskussion über eine Reform des Erbschaftssystems mehr in öffentliche und parteiinterne Debatten. Ich glaube nicht, dass ein Grunderbe innerhalb der nächsten zwei Jahre umsetzbar wäre. Ich habe aber das Gefühl, dass die Idee positiv aufgenommen wird. Bisher sind die Berliner SPD, die Thüringer SPD und die SPD Mecklenburg-Vorpommern dafür. Und ich merke, dass sich an der Debatte etwas verändert, weil diejenigen, die den Status quo behalten wollen, sich jetzt eher rechtfertigen müssen als die, die etwas am Erbschaftssystem verändern wollen. Das war vor 5 Jahren noch anders.

Herr Haan, Herr Grabka, vielen Dank für das Gespräch.

 

Beitragsbild: Unsplash.com

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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