Freund*innen sind für uns da, wenn wir sie brauchen. Finden können wir sie inzwischen nicht nur in der Uni oder bei der Arbeit, sondern auch ganz gezielt mit Apps. Unsere Autorin erzählt von ihren Erfahrungen.
Ich erkenne meine Verabredung schon von weitem. Ihre pinken Haare sind wie ein Leuchtfeuer vor dem gemütlichen Café, in dem wir uns treffen. Als ich auf sie zugehe, spüre ich Nervosität, Aufregung und Neugier. Es ist unser erstes Treffen. Die Begrüßung ist ein wenig künstlich. Wie begrüßt man eine Person, mit der man potenziell befreundet sein möchte, es aber noch nicht ist? Wir gehen rein und suchen uns einen freien Platz am Fenster. Kathi und ich haben uns bei Bumble BFF kennengelernt. Als Dating-Plattform gestartet, hat die App inzwischen einen Bereich, in dem es darum geht, neue Freund*innen zu finden.
Solche Apps gibt es inzwischen immer mehr. Und das hat einen guten Grund: Freundschaften sind wichtig für uns. Der Mensch ist ein ultrasoziales Wesen, soziale Beziehungen kommen relativ schnell nach wirklichen Grundbedürfnissen wie die Bedürfnisse nach Nahrung und Sicherheit “, sagt Anna Schneider. Sie ist Psychologieprofessorin an der Hochschule Trier und beschäftigt sich unter anderem mit Freundschaft, besonders im digitalen Zeitalter.
Freund*innen im digitalen Zeitalter
Welche Einflüsse soziale Medien und Co. auf unsere sozialen Beziehungen haben, ist zwar noch lange nicht vollständig erforscht, Anna Schneider sagt aber: „Das Wesen der Freundschaft und wie wir sie definieren, hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht verändert, aber die Art, wie wir kommunizieren.“ Soziale Medien spielen eine viel größere Rolle in unserer täglichen Kommunikation als noch vor einigen Jahren. „Wenn man es mal ganz rabiat ausdrückt: Wenn alle in der Bahn sitzen und mit gesenktem Kopf nach unten gucken auf ihre Handys, dann sind natürlich spontane Interaktionen schwieriger und finden seltener auch mal ungezwungen statt“, sagt Anna Schneider. Ob und welchen Einfluss die Nutzung sozialer Medien auf die Anzahl und das Wesen von Freundschaft hat, müsse aber noch weiter erforscht werden. Auch mögliche Zusammenhänge mit der zunehmenden Einsamkeit seien noch nicht endgültig geklärt, sagt Anna Schneider.
Fest steht aber: Freund*innen sind wichtig für uns. In Stresssituationen reagieren wir entspannter, wenn wir einen Freund oder eine Freundin bei uns haben. Haben wir zu wenige soziale Beziehungen, fühlen uns vielleicht sogar einsam, kann das sogar ein Risiko für die Gesundheit sein. So fand etwa eine amerikanische Studie 2016 heraus, dass zu wenige soziale Beziehungen das Risiko für bestimmte Herzkrankheiten und Schlaganfälle um etwa 30 Prozent erhöhen.
Swipen für die Freundschaft
Für mich ein Grund mehr, neue Möglichkeiten auszuprobieren, Freundschaften zu schließen. An einem grauen Winternachmittag fange ich an, mir verschiedene Apps herunterzuladen. Die bunten Icons zieren jetzt meinen Handybildschirm. Bei Bumble BFF muss ich zuerst ein Profil einrichten, bevor ich nach potenziellen Freund*innen suchen kann. „Wähle Fotos aus, die zeigen, wie du bist“, fordert Bumble mich auf. Dann kann ich aus vielen verschiedenen Interessen auswählen und Angaben zu meinem Leben machen. Ich würde gerne bei Gilmore Girls mitspielen und kann mich nicht zwischen Strand und Bergen entscheiden. Nachdem ich mein Profil eingerichtet habe, kann es losgehen.
Schon werden mir meine ersten potenziellen Freund*innen angezeigt. Viele Selfies, Urlaubsbilder, Bilder von Partys und sportlichen Aktivitäten. Viele Menschen studieren. Ich schaue besonders nach den Interessen der Leute. Gibt es Gemeinsamkeiten? Bei einer Vegetarierin, die sich fürs Schreiben interessiert, swipe ich nach rechts. Es dauert nicht lange bis zum ersten Match.
Wonach wir bei Freund*innen suchen
Gemeinsamkeiten sind uns bei Freundschaften besonders wichtig. „Wir suchen die Nähe von Menschen, bei denen wir eine gewisse Ähnlichkeit wahrnehmen, was Werte, Vorstellungen und Interessen angeht“, sagt Anna Schneider. Dabei gehe es nicht immer um die tatsächliche Ähnlichkeit von zwei Menschen. Viel wichtiger sei, wie wir selbst diese Ähnlichkeit wahrnehmen. Empfinden wir unser Gegenüber als ähnlich, fühlen wir uns auch emotional näher.
Die emotionale Nähe ist nicht die einzige Art von Nähe, die für Freundschaften wichtig ist. Auch die räumliche Nähe spielt eine große Rolle, das hat eine amerikanische Studie schon in den 60ern untersucht. Studenten in einem Wohnheim wurden dafür jedes Semester gefragt, mit welchen Mitbewohnern sie befreundet sind. Obwohl die Studenten sich vorher alle nicht kannten und sich in den Gemeinschaftsräumen häufig begegneten, zeigte sich ein eindeutiges Ergebnis: Zu den Zimmernachbarn entstanden über die Jahre die meisten Freundschaften. Je weiter entfernt zwei Personen voneinander wohnten, desto unwahrscheinlicher war auch eine Freundschaft. Und das, obwohl die anderen nur ein paar Türen weiter weg, oder eine Treppe weiter unten wohnten. In dem Wohnheim lebten zur Zeit der Studie nur Männer. Die Forschung geht aber heute davon aus, dass räumliche Nähe für Freundschaften bei allen Geschlechtern eine wichtige Rolle spielt.
Gerade für Menschen, die mit sozialen Ängsten und Unsicherheiten zu kämpfen haben, kann es einfacher sein, neue Freund*innen online kennen zu lernen. Das fand ein Team aus amerikanischen und iranischen Forschenden 2021 heraus. Expertin Anna Schneider meint, dass es gerade für Teenager manchmal einfacher sein könnte, erste soziale Kontakte im Internet zu knüpfen, da soziale Ängste dort vermutlich eine geringere Rolle spielen würden.
Zeit ist Freundschaft
Eine Umfrage zweier Meinungsforschungsinstitute zeigt jedoch: Die meisten Freundschaften entstehen auch bei jungen Menschen immer noch im echten Leben. Die Deutschen knüpfen demnach Freundschaften auf der Arbeit, in der Schule und bei der Ausbildung. Also dort, wo wir viel Zeit verbringen. Denn Zeit ist mit der wichtigste Faktor für die Entstehung von Freundschaften. Etwa 140 Stunden dauert es, bis aus Bekannten wirklich Freund*innen werden. Bis zur neuen besten Freundschaft, dauert es sogar 260 bis 300 Stunden.
Mein erstes Treffen mit Kathi dauert nicht ganz so lange. Als die Café-Bedienung aber ankündigt, dass sie gleich schließen, bin ich doch ein bisschen überrascht, wie schnell die Zeit vergangen ist. Zu Beginn finde ich die Situation schon merkwürdig. Wir beide wissen kaum etwas über die Person vor uns, nur ein paar Infos aus dem Profil und ein bisschen Smalltalk aus dem Chat. Es entstehen kleine Gesprächspausen. Das leckere Kuchenangebot in der Vitrine lenkt uns schnell ab und schon sind wir in ein Gespräch verwickelt. Wir reden über die Uni, was uns an Dortmund gefällt und was nicht – Small-Talk-Themen, aber auf einer angenehmen freundschaftlichen Ebene.
Kathi erzählt mir auch von ihren bisherigen Erfahrungen mit dem Freundschafts-Dating. Sie ist erst vor kurzem mit ihrem Freund nach Dortmund gezogen und kennt hier kaum jemanden. Gerade schreibt sie ihre Masterarbeit, dann möchte sie hier einen Job anfangen. Ein paar Mal hat sie sich schon mit Leuten von Bumble BFF getroffen, es war auch immer nett. Aber danach haben sich die Menschen nicht mehr bei ihr gemeldet.
Die unterschätze Macht der Kontaktaufnahme
Alte Freund*innen und Bekannte zu kontaktieren, kann einen größeren Wert haben, als uns selbst bewusst ist. Amerikanische Forscher*innen fanden 2023 heraus, dass wir häufig unterschätzen, wie sehr sich Menschen darüber freuen, wenn wir nach längerer Zeit wieder Kontakt mit ihnen aufnehmen. Dafür reicht oft schon ein Einfaches: „Wie geht es dir?“, um der Person zu zeigen, dass wir an sie denken. Menschen, mit denen uns eine weniger enge Beziehung verbindet, sind sogar noch überraschter, wenn wir wieder Kontakt zu ihnen aufnehmen, als engere Freund*innen. Und mehr Überraschung heißt in den meisten Fällen auch, dass sich die Menschen noch mehr über die kleine Geste freuen.
Als Kathi und ich das Café verlassen, stellen wir fest, dass wir in die gleiche Richtung müssen. Sogar zur gleichen Straße. Kathi wohnt im gleichen Häuserblock wie ich, über den Hinterhof kann ich ihr Haus sehen. Nach dem Treffen fühle ich mich gut, fast schon euphorisch. Ich bin überrascht, wie einfach es war, eine freundschaftliche Basis aufzubauen. Ich bin zwar nicht mehr ganz neu in Dortmund, außer den Freund*innen aus meinem Studiengang, kenne ich hier aber immer noch kaum jemanden. So offen, unvoreingenommen und optimistisch wie bei diesem Freundschafts-Date, gehe ich im Alltag selten auf Leute zu. Die Gewissheit, dass das Gegenüber gerade auch auf der Suche ist, gibt Sicherheit. Beim Abschied tauschen Kathi und ich Nummern aus. Wir wollen uns noch einmal treffen. Vielleicht auf einen Spaziergang. Ich habe mir fest vorgenommen ihr zu schreiben. Schließlich sind es in einer Freundschaft auch die kleinen Gesten, die zählen.
Beitragsbild: Anna Becker (Symbolfoto)