Viel Fleiß ohne Preis – Volunteers bei der EM

Zwei Volunteers in grünen Anzügen erklären Fans den Weg zum Stadion.

Bei der Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland sorgen 16.000 Volunteers für einen reibungslosen Ablauf und gute Stimmung. Dafür werden sie von der UEFA nicht bezahlt, während diese einen Milliardengewinn erzielt. Kann das fair sein?

An einem warmen Junitag schlendert Christian Petzold mit Sonnenbrille und Kaffee in der Hand durch die Dortmunder Innenstadt. Normalerweise dominiert hier entweder Grau oder Schwarz-Gelb, doch heute ist es beeindruckend rot. Der Grund dafür ist das zweite EM-Gruppenspiel der Türkei gegen Portugal, das später am Tag stattfinden wird. Zwischen die Fans in roten Trikots mischen sich Menschen in grünen Adidas-Anzügen. Sie sind meistens in kleinen Gruppen von zwei bis fünf Personen unterwegs, zeigen und erklären. Sobald Christian Petzold sie in der Menge entdeckt, steuert er zielsicher auf sie zu und bleibt stehen. “Wie läuft es heute? Alles klar? Braucht ihr irgendwas?”, fragt er.

Christian Petzold ist Leiter der Arbeitsgruppe Volunteering der Stadt Dortmund. Die Menschen in Grün sind seine Volunteers. An den zehn Spielorten in ganz Deutschland waren bei der EM insgesamt 16.000 Volunteers im Einsatz. Etwa ein Jahr vor dem Start der Europameisterschaft konnten sich Interessierte bei der UEFA bewerben. Die Auswahl der Freiwilligen wurde anschließend in Abstimmung mit den jeweiligen Städten getroffen. Volunteers gibt es bei nahezu allen Sportgroßveranstaltungen. Sie sorgen dafür, dass sich Athlet*innen wohlfühlen, helfen beim Einlass oder stellen Akkreditierungen aus. Häufig begrüßen sie auch Fans und Zuschauer*innen in der Stadt und an den Veranstaltungsorten. So werden sie zu den inoffiziellen Gesichtern des Gastgeberlandes. Geld bekommen die Volunteers dafür nicht.

“Das Volunteerteam in Dortmund ist divers besetzt”

Bei der EM in Deutschland wartet auf die an den Bahnhöfen eingesetzten Volunteers eine besonders große Herausforderung. Grund dafür sind die häufigen Verspätungen und Ausfälle der Deutschen Bahn. “Es gibt eigentlich immer was zu tun oder zu erklären, weil sich die Abfahrten der Züge ständig ändern”, erklärt Volunteer Stephi. In den Gesprächen gehe es meist darum, den Neuankömmlingen den Weg zum Stadion zu zeigen oder zu erklären, wo sie ihr Gepäck lagern können. Stephi trägt dabei ein dickes Grinsen auf dem Gesicht. Sie betont: “Ich finde das einfach toll, Menschen aus aller Welt in meiner Heimatstadt begrüßen zu können. Ich möchte, dass alle eine möglichst gute Zeit haben.”

Die Freiwilligen werden bei der EM in über 20 verschiedenen Bereichen eingesetzt, dazu gehören zum Beispiel das Lösen von Problemen mit Tickets, Ausstellen von Akkreditierungen oder die Unterstützung bei den Dopingkontrollen. “Dabei kann nochmals grob unterteilt werden, in Volunteers, die in und um das Stadion eingesetzt werden und Volunteers, die in der Stadt verteilt sind”, erklärt Christian Petzold von der Stadt Dortmund.

Die häufigste Frage: “Wo geht es zum Stadion?”

Eine Volunteer erklärt den Weg zum Stadion
Volunteer Agnese erklärt Fans den Weg zum Stadion.

Der Beamte ist mit seinem Team zuständig für die etwa 270 Volunteers, die unter anderem in der Dortmunder Innenstadt und in den Fanzones am Friedensplatz und Westfalenpark eingesetzt werden. Das Freiwilligenteam der Stadt Dortmund ist nicht nur über alle Altersklassen hinweg gut besetzt, die Volunteers kommen auch aus vielen unterschiedlichen Ländern, sagt Petzold.

Wie zum Beispiel Agnese, die unweit vom Hauptbahnhof gegenüber einer Buchhandlung an einem viel frequentierten Infostand steht. Die junge Italienerin studiert und lebt aktuell in Münster. Sie erzählt, dass sie Fußball liebe und deswegen höchst motiviert sei, ihren Teil zur Europameisterschaft in Deutschland beizutragen. Besonders sei für sie natürlich das Spiel der Italiener gegen Albanien gewesen. “It was very special for me, with all the Italians flooding the city”, erklärt sie und grinst dabei. Generell verlieren die Volunteers selten ihr Lächeln, wenn sie über ihre Arbeit sprechen. Selbst als Agnese zugeben muss, dass das Dortmunder Straßenbild doch deutlich von den albanischen Fans dominiert wurde.

“Wir wollen wirklich die, die von selbst hochmotiviert sind”

Genau diese hohe Eigenmotivation und Freude an der Arbeit ist sehr wichtig für Volunteers bei der Europameisterschaft, schreibt die UEFA auf ihrer Bewerbungswebseite für die Freiwilligen. In den Auswahlgesprächen sei daher die Frage nach der Motivation der Bewerber*innen zentral gewesen, erläutert Christian Petzold. Das ist für ihn auch ein Grund, warum die Arbeit der Volunteers nicht finanziell entlohnt wird. “Wir wollen einfach wirklich die Leute rausfiltern, die eine große Eigenmotivation mitbringen.”

Die UEFA wirbt für das Programm mit dem Versprechen, die Volunteers würden eine unvergessliche Erfahrung machen. Außerdem werden immer wieder die Vorteile angepriesen, die die Freiwilligen bei ihren Einsätzen erhalten. Auf Anfrage rechtfertigt der Verband auch so die ausbleibende Entlohnung. Die Volunteers dürfen nach der Europameisterschaft ihre grüne Uniform mitsamt Schuhen und Bauchtasche behalten, bekommen eine Mahlzeit pro Arbeitsschicht und weitere Verpflegung oder Vergünstigungen. Zur Verfügung steht den Freiwilligen außerdem ein kostenloses Nahverkehrsticket für die Zeit der Europameisterschaft. Vorteile, die es aus der Sicht von Christian Petzold im “normalen Ehrenamt” so nicht gibt.

“Hier profitiert eben nicht der lokale Fußballverein”

Dr. Christian Neuhäuser, Professor für praktische Philosophie an der TU Dortmund, findet diesen Vergleich nicht angebracht. Er befasst sich in seiner Forschung unter anderem mit den moralischen Aspekten ökonomischer Ungleichheit und sagt: “Ja, in unserer Gesellschaft gibt es gerade im Sportbereich viel Ehrenamt und die Menschen machen das häufig gut und gerne.” Gleichzeitig gibt er aber zu bedenken, dass bei der EM nicht die Gemeinschaft, sondern ein Unternehmen profitiere. “Denn in diesem Fall ist es nicht der lokale Fußballverein, sondern die UEFA, die allen Vorhersagen nach wirklich sehr, sehr viel Geld damit verdient.” Sehr, sehr viel Geld sind im Fall der EM in Deutschland etwas über 1,7 Milliarden Euro, die der Sportverband als Gewinn prognostiziert. Geld, dass die UEFA natürlich nicht nur, aber auch mit der Arbeit der Freiwilligen verdient. Für Christian Neuhäuser mindestens diskussionswürdig. Er rechnet vor: “Würde die UEFA allen Volunteers 10.000 Euro bezahlen, wären wir bei Kosten von etwa 200 Millionen Euro und dementsprechend immer noch bei 1,5 Milliarden Euro Gewinn.”

Christian Petzold geht es darum, Menschen zu finden, die so intrinsisch motiviert sind, dass sie bereit sind, kostenlos unter teils schwierigen Bedingungen zu arbeiten. “Es ist einfach etwas Besonderes, weil wir in einem sehr, sehr kurzem Zeitraum sehr viel erwarten. Es sind einfach viele Einsätze. Wir hatten richtig schlechtes Wetter, wir hatten 30 Grad und daher ist das Thema Motivation die absolute Grundlage.”

“Es wäre auf jeden Fall fairer, die Volunteers zu bezahlen”

Dr. Christian Neuhäuser ist mit dieser Begründung sehr unglücklich. “Was ist dann mit den Spieler*innen, den Trainer*innen und all den anderen Leuten, die da aktiv sind?”, fragt der Philosoph. “Wäre es nicht besser, wenn die auch nicht bezahlt würden, damit dann die Motivation höher wäre? Das Argument ist ein bisschen schief.” Neuhäuser zieht außerdem den Vergleich zu anderen Bereichen, in denen die Gesellschaft auch annimmt, dass Menschen wertvolle Arbeit leisten und dennoch dafür bezahlt werden. “Denken wir an Erzieher und Erzieherinnen oder Pfleger und Pflegerinnen. Da wäre es schlimm zu sagen: Es wäre besser, wenn die Personen das ohne Geld machen, weil dann ihre Motivation höher ist.”

Der Dortmunder Philosoph wünscht sich deshalb, dass die UEFA sich besser dafür rechtfertigt, den Volunteers für ihre Arbeit kein Geld zu zahlen. “Bis hierhin wirkt dieses Vorgehen auf mich schlichtweg gierig. Es kommt hinzu, dass der Pool an potenziellen Volunteers weniger divers wird, wenn nur Menschen Volunteers werden können, die es sich leisten können ihre Erwerbsarbeit für die Dauer der Einsätze zu pausieren”, ergänzt er. “Es wäre auf jeden Fall fairer, die Volunteers für ihre Arbeit zu bezahlen. Ich glaube nicht, dass dadurch die Motivation der Leute sinkt.”

“Da mache ich lieber das, als vor der Playstation zu sitzen”

Drei Volunteers schauen aus dem Infostand in der Fanzone am Friedensplatz
Volunteer Dean (links) ist hochmotiviert.

Dean engagiert sich ehrenamtlich im Sportverband. Über diese Arbeit ist der junge Mann auf die Möglichkeit des Volunteerings bei der EM gestoßen. Er ist als Springer Teil des Teams von Christian Petzold. Das heißt, er wird dort stationiert, wo gerade jemand fehlt. “Das bringt immer wieder viele spannende und neue Situationen”, findet er. Heute wird Dean in der Fanzone am Friedensplatz am Infostand eingesetzt. Hier steht er Rede und Antwort für die vielen türkischen und portugiesischen Fans, die das Gelände schon Stunden vor Anpfiff in Scharen erobern.

Im roten Meer der Türkiye-Trikots, sind die Volunteers mit ihrer grünen Uniform dennoch gut zu erkennen. Dean erzählt, dass er heute morgen noch Frühschicht im Supermarkt hatte und anschließend direkt zum Volunteer Hub gefahren ist. Für ihn ist diese Art von Engagement selbstverständlich: “Ich mache das aus Spaß am Sport, dem Ehrenamt und einfach um Teil dieses geilen Events zu sein.” Er blickt aus dem Container auf die Fans: “Für solche Tage macht man das Ganze: strahlende Sonne, glückliche Fans, super Stimmung, ein großes Fußballfest mit ganz vielen verschiedenen Leuten. Da mache ich doch lieber so etwas, als zuhause vor der Playstation zu sitzen.”

“Gegen das Monopol der UEFA lässt sich nur schwer vorgehen”

Dass die UEFA mit der Europameisterschaft ein Produkt anbietet, mit dem sie die Menschen begeistert und sie dazu bringt, kostenlos zu arbeiten, das erkennt Christian Neuhäuser an. Dennoch stellen sich für den Philosophen einige gesellschaftliche Fragen, die mit dieser Praktik einhergehen. “Die Gewinne sind so hoch. Es gibt eigentlich keinen Grund, die Volunteers nicht für ihre Arbeit zu bezahlen. Und das sendet aus meiner Sicht ein schwieriges Signal. Die UEFA hat so eine Monopolstellung, dass sie das einfach machen kann.” Regulierende Kräfte, die in diesen Prozess eingreifen könnten, gibt es aus Sicht von Neuhäuser nur wenige. Lediglich die EU könnte versuchen rechtlich gegen die Monopolstellung der UEFA vorzugehen oder die Fans könnten Druck ausüben.

Die aber feiern erst einmal gut gelaunt. Vor und in den Stadien. Lediglich als die Fanzone am Friedensplatz schon zwei Stunden vor Anpfiff wegen Überfüllung schließen muss, droht die Stimmung etwas zu kippen. Christian Petzold informiert alle Freiwilligenteams, dass die Fans jetzt entlang des grünen Teppichs Richtung Westfalenpark geschickt werden sollen. Wird es brenzlig, sind seine Volunteers angehalten, sich den Situationen direkt zu entziehen, sagt er. “Das wurde von Anfang an klar gemacht in den Schulungen, dass wir informieren und unterstützen, aber nicht mehr. Wir sind keine Security, keine Polizei.” Die Volunteers halten sich also raus beim Streit um den Einlassstopp am Friedensplatz. Die Polizei fährt wenig später mit einem Wagen vor und weist per Lautsprecherdurchsage auf deutsch und türkisch den Weg zum Westfalenpark.

 

Fotos: Fabian Hruschka

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