Lukas ist Student – und wirkt jetzt ganz oben mit. Seit ein paar Wochen ist er studentischer Prorektor an der Universität Greifswald und kann diese nun strategisch mitgestalten.
20 Uhr: Chipstüten rascheln, Weingummi-Tüten werden aufgerissen. “Wer möchte noch eine Spezi?” Die rund fünfzig Studierenden sind vorbereitet – auf eine sehr lange Sitzung des Studierendenparlaments (StuPa). Bereits vor Sitzungsbeginn wird diskutiert: “Das würde ich nachher anders angehen.” Jemand anderes ruft rein: “Braucht noch jemand einen Stimmzettel?” Auf der Sitzung sollen verschiedene Veranstaltungen und Aktionen besprochen werden, wie der Nachhaltigkeitstag. Auch die studentische Wohnungsnot steht auf der Tagesordnung.
Ein Glöckchen läutet. Ruhe. Die Sitzung fängt an. Mittendrin ist Lukas Voigt, studentischer Prorektor an der Uni Greifswald. Gerade stand er noch im Pullover vor dem Gebäude, jetzt sitzt er im Hemd in der StuPa-Sitzung. Während seine Kommiliton*innen angeregt die einzelnen Tagesordnungspunkte besprechen, hört er genau zu, notiert sich die Punkte entweder in seinem rotbraunen Notizbuch oder tippt sie in seinen Laptop.
Einer von sechs studentischen Prorektor*innen in Deutschland
Lukas ist 24 Jahre alt. Er studiert Politikwissenschaft im Master. Für das Sommersemester 2024 hat er sich ein Urlaubsemester genommen: “Ich möchte mich erstmal in Ruhe in alle Rektoratsstrukturen und -prozesse einfinden.” Im Januar wurde er vom Senat der Uni zum Prorektor für studentische Angelegenheiten und Nachhaltigkeit gewählt.
Als studentischer Prorektor ist er Teil des Rektorats. An der Uni Greifswald besteht das neben Lukas aus einer Rektorin, einer Kanzlerin und drei weiteren Prorektor*innen. Wie die anderen kann er bei allen Rektoratsentscheidungen mitabstimmen, beispielweise für was welche Gelder eingesetzt werden.
Neben Lukas gibt es nur fünf weitere Studierende in Deutschland, die in einer ähnlichen Funktion tätig sind. Sein Büro teilt er sich mit Annelie. Annelie, die die anderen Studis eher unter Prof. Dr. Ramsbrock kennen, ist Prorektorin für Personalentwicklung, Organisation und Diversität. “Sie ist seit meinem Amtsbeginn im April eine gute Kollegin”, erzählt Lukas.
Während die anderen Prorektor*innen für zwei Jahre ernannt wurden, ist Lukas für ein Jahr gewählt. Das hat den Grund, dass sich so auch Studierende auf das Amt bewerben können, die nur noch zwei Semester vor sich haben. Darüber hinaus hat er keinen festen Arbeitsvertrag mit der Uni geschlossen und erhält somit auch kein klassisches Gehalt, sondern eine monatliche Ehrenamtspauschale von 1.100 Euro. Obwohl das für einen Arbeitsaufwand von 20 bis 30 Stunden die Woche kein guter Stundenlohn ist, ist er trotzdem zufrieden: “Am Ende ist es ein Ehrenamt und ich mache es nicht fürs Geld, sondern ich mache es für die Ziele, die ich umsetzen will. Für die Interessen, die die Studierenden haben. Vielleicht kann ich doch etwas bewegen und nach sechs Jahren steht ein neues Studiwohnheim.”
Viele Termine, dafür weniger Schlaf
Mittlerweile sind sämtliche Snack-Tüten leer. Die Studis besprechen den letzten Tagesordnungspunkt. Um 0.30 Uhr ist die Sitzung zu Ende. “Ich war danach noch mit Freunden ein, zwei Bier trinken”, erzählt Lukas am nächsten Morgen. Und trotzdem: Das Hemd sitzt, sein rotbraunes Notizbuch hält Lukas schon bereit. Auf dem Weg zum nächsten Termin, der zweiwöchigen Rektoratsrunde, schnappt er sich einen Kaffee: “Das ist der Zweite. Die Grenze liegt bei drei.”
Nachdem die letzten Leute eingetroffen sind, startet die Rektorin, Frau Prof. Dr. Riedel oder auch Kathrin genannt. Die Runde bespricht unter anderem das Universitätsfest, was vorige Woche stattgefunden hat, die Studienplatzvergabe für das nächste Semester und anstehende Termine. Auch Lukas gibt seinen Bericht ab, der sich hauptsächlich um den Nachhaltigkeitstag und einen Termin im Innenministerium dreht. Die Sitzungen ist er mittlerweile gewohnt, sagt er. “Zu Beginn war ich schon ab und zu unsicher. Manche Fachbegriffe konnte ich auch einfach noch nicht richtig einordnen. Da galt dann: Fake it till you make it.”
“Das Routineprogramm ist jetzt abgehakt”, sagt Lukas nach der Besprechung. Auf dem Weg in sein Büro schaut er aufs Handy: Drei verpasste Anrufe. Er ruft später zurück und schließt sein Büro auf. Der Raum ist groß. Neben zwei Schreibtischen steht im lichtdurchfluteten Raum ein großer Tisch für Besprechungen. “Mein Schreibtisch ist der ordentliche”, sagt Lukas und grinst. Von dort aus schaut er auf zwei Gemälde. Die durfte er sich zu Beginn seiner Amtszeit aus der Kunstsammlung der Uni aussuchen.
Dann klingelt das Handy. Lukas muss morgen spontan einen Termin übernehmen. Heute wartet noch eine Fachschaft auf ihn. Sie bittet ihn um Hilfe. Er setzt sich mit den Studierenden an einen Tisch, wortwörtlich. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde erzählen die Studierenden ihre Sorgen. Lukas nickt, notiert sich einige Fragen in sein rotbraunes Notizbuch, die er hinterher mit den Studierenden nach und nach abarbeitet. Vor größeren Redebeiträgen oder bei komplexen Themen macht er das immer so, erzählt er. Nach einer Stunde begleitet er die Studierenden wieder nach draußen und schließt die Tür: “Das war anstrengend. Aber wenn vor mir drei Leute sitzen, die in Not sind, mache ich das trotzdem gerne.” In seinem Arbeitsalltag moderiert er häufig Konflikte. “Jetzt ist aber erst einmal Freizeit.” Gleich trifft er sich mit seinen Freund*innen zum Pizzaessen. Danach haben sie Karten für eine Lesung.
Auf der heutigen Tagesordnung: Viel Reden
Neben organisatorischen und inhaltlichen Aufgaben stehen auch viele repräsentative Termine in Lukas’ Kalender. Als Prorektor hat er den ersten Nachhaltigkeitstag mit dem Uniklinikum und dem Studierendenwerk angestoßen. Die Universität und das Klinikum teilen sich größtenteils einen Campus. Vor der Mensa werden am Nachhaltigkeitstag einige Stände aufgebaut. Dort können sich die Studierenden und Mitarbeitenden über die bereits durchgeführten und noch geplanten Maßnahmen informieren, etwa über nachhaltiges Mensaessen.
Nach einem Eröffnungstalk geht Lukas mit der Rektorin von Stand zu Stand. Er informiert sich über das Umtopfen von Pflanzen, probiert Lupinenkaffee und kommt mit den Mitarbeitenden und Studierenden über die Klimaziele der Uni ins Gespräch. Viele Personen kennt er schon länger: “Ich war vorher AStA-Vorsitzender. Das hat mir ein paar Dinge einfacher gemacht”, sagt Lukas. “Nachdem die Amtszeit vom vorherigen studentischen Prorektor, meinem Freund Hennis rum war, dachte ich mir: Warum nicht?”
Ein Blick in die Zukunft
Während er als AStA-Vorsitzender auf der Seite der Studierenden stand, argumentiert er nun aus der Perspektive der Uni. “Ich habe jetzt auch andere Sachen im Kopf: Gesetze, Gelder. Manchmal gehen dann Sachen nicht. Meine Aufgaben haben sich dementsprechend auch verändert.” Für das Amt vorgeschlagen wurde er von seiner Rektorin, nachdem sich AStA und StuPa beraten hatten. Im Januar wurde Lukas dann zum zweiten studentischen Prorektor der Universität Greifswald gewählt. Da er ein Jahr zuvor an der Einrichtung des studentischen Prorektorats beteiligt war, kannte er die Prozesse genau.
“Ich merke jetzt schon, ich bräuchte eigentlich noch ein zweite Legislatur, damit ich ansatzweise mitbekomme, was ich gerade anstoße”, erzählt Lukas in einem ruhigen Moment.
Lukas kennt die Uni mittlerweile aus verschiedenen Perspektiven. “Eine Karriere in der Wissenschaft kommt für mich nicht in Frage. Dafür sind mir die Arbeitsbedingungen zu schlecht. In ein paar Jahren wieder in der Universitätsverwaltung anzufangen, kann ich mir dagegen schon vorstellen. Zu Beginn meines Berufslebens möchte ich aber nochmal woanders Erfahrungen sammeln, außerhalb der Universität. Ich weiß aber noch nicht, wo es mich da genau hintreibt.” Vielleicht gehe er in die Politik, engagiert ist er schon länger bei der Linken.
Fotos: Alina Bähr