Wenn die Match-Flamme erlischt – Dating-Burnout beim Online-Dating

reihe von Streichhölzern die verbrennen

Professor Wera Aretz ist Diplom-Psychologin aus Köln. Neben ihrer eigenen Praxis ist sie Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Fresenius in Köln und Expertin für Online-Dating. 2010 veröffentlichte sie ihre erste Studie in diesem Themenbereich. Anfang 2024 folgte die Studie „Hate to date? Die explorative Studie zum Burnout-Syndrom im Dating-Kontext“. Sie ist die erste veröffentlichte Studie zum Thema Dating-Burnout. Im Gespräch erzählt Aretz von ihren Erfahrungen aus psychologischer Sicht und ihren Forschungsergebnissen.

Haben Sie in Ihrer eigenen Praxis oft oder überhaupt mit Dating-Burnouts zu tun?

Vera Aretz strahlt im Porträt
Wera Aretz ist Expertin für Online-Dating und forscht unter anderem zu Dating-Burnouts. Foto: Wera Aretz

Viele Klient*innen kommen zu mir, weil ich zu dem Thema forsche und damit auch in den Medien präsent bin. Viele meiner Klient*innen sagen mir, sie wüssten gar nicht, was sie falsch machen, und dass sie total erschöpft von Online-Dating sind. Es gibt nicht selten Singles, die über Einsamkeit klagen und sich fragen, warum die Partner-Suche so schwierig geworden ist. Viele beschweren sich auch, dass es nicht einmal mehr nette Dates gibt. Die Traurigkeit der Leute schwingt darin mit. Eine Klientin ist Mitte 30, sucht seit mittlerweile zehn Jahren einen Partner über Dating-Portale und kann einfach nicht mehr, will aber so gerne eine Partnerschaft. Auch Frauen und Männer, die einen aktiven Kinderwunsch haben, sind nicht selten verzweifelt. Viele investieren viel Geld in Super-Swipes, Abos und so weiter, doch der Erfolg bleibt oft aus.

Meine Klient*innen sprechen aber nicht direkt von einem Dating-Burnout. Sie beschreiben eher ihre Symptome, die dann auf einen Dating-Burnout schließen lassen: Sie sind ausgelaugt, erschöpft, entmutigt und können sich nur noch mit Mühe in den Dating-Prozess einbringen. Außerdem zeigen sie eine zunehmend negative, emotionslose und sogar zynische Haltung gegenüber Kontaktpersonen auf den Apps. Ihre eigenen Ergebnisse auf den Dating-Apps bewerten sie insgesamt eher negativ.

In den Medien wird über die Schattenseite der Dating-Apps mittlerweile umfangreich berichtet. Viele Nutzer*innen fühlen sich dadurch wahrgenommen und in ihrem Leid ernst genommen. Bei unserer Studie erkannten sich viele Teilnehmende in den Ergebnissen wieder. Sie empfanden es als stärkend, zu wissen, dass sie mit den negativen Auswirkungen von Dating-Apps auf ihr Wohlbefinden nicht allein sind. Die Veröffentlichung der Studie gab ihnen das Gefühl, endlich gesehen zu werden. Andererseits gibt es diejenigen, die noch nie Online-Dating genutzt haben oder in einer glücklichen Partnerschaft leben und sich fragen, warum dieses Thema für so viele ein Problem darstellt.

Führt Online-Dating dazu, dass Menschen eher „Dating-müde“ werden als beim „normalen“ Dating?

Ja, absolut! Ich habe kürzlich mit meinen Student*innen gesprochen, die bestätigten, wie ermüdend Online-Dating sein kann. Die schier endlose Auswahl, die Unverbindlichkeit der Kontakte, das Gefühl der Austauschbarkeit und die permanente Angst vor Ghosting das Dating erheblich komplizierter machen. Gerade Ghosting trägt zusätzlich dazu bei, dass Menschen noch schneller die Lust am Dating verlieren. Im Vergleich dazu ist das analoge Dating zwar oft langsamer sein, dafür aber oft auch weniger stressig.

Das Problem ist, dass sich auf Dating-Apps dysfunktionale Verhaltensweisen entwickeln, die dann ins reale Leben übergehen und das eigene Verhalten beeinflussen können. Wenn solche Muster von vielen als normal empfunden werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie selbst übernommen und als akzeptabel betrachtet werden. Je häufiger Ghosting in Dating-Apps vorkommt, desto mehr breitet es sich auch in anderen sozialen Kontexten aus. Das ist eine Entwicklung, über die wir als Gesellschaft dringend nachdenken sollten.

Meiner Meinung nach sollten persönliche Begegnungen im realen Leben stärker gefördert werden sollten und mehr öffentliche Begegnungsstätten geschaffen werden, um Menschen miteinander in Kontakt zu bringen. Ein Beispiel dafür sind Kommunikations-Bänke, die in einigen Ländern bereits existieren. Dort kann man Platz nehmen, wenn man offen für ein Gespräch mit anderen ist. Auch für Singles gibt es in der letzten Zeit einige Angebote: Lauftreffs, farbige Einkaufskörbe in Supermärkten und Speed-Dating-Angebote. Letztlich geht es darum, wie wir im Alltag mehr Gelegenheiten für Begegnungen schaffen können und der Isolation in der digitalen Ära entgegenwirken.

Beim Online-Dating geht es oft um das Paradoxon of Choice, also die unendliche Auswahl an Partner*innen im Internet. Wie schätzen Sie diesen Einfluss auf Nutzer*innen ein?

Der Choice Overload Effekt bezeichnet das Phänomen, dass eine übermäßige Anzahl an Auswahlmöglichkeiten die Entscheidungsfindung erschwert und sogar Unzufriedenheit mit der getroffenen Entscheidung hervorruft. Viele Nutzer*innen berichten, dass es bei dieser enormen Anzahl an Profilen schwierig ist, die passende Person zu finden. Sie scrollen durch unzählige Profile und müssen in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen. Dabei werden leicht vergleichbare Merkmale, wie Körpergröße oder Alter, stärker in den Fokus gerückt. Im realen Leben wäre das anders – wenn man jemanden persönlich trifft und sich dann annähert, spielen diese Kriterien eine weit geringere Rolle.

Wir neigen dazu, oberflächlich, kritisch und schnell zu urteilen. Dadurch fällt es uns schwerer, uns wirklich auf andere Menschen einzulassen, und unsere Prioritäten verschieben sich. Unsere Erwartungen steigen, während unser Blick zunehmend auf Eigenschaften gelenkt wird, die wenig darüber aussagen, ob zwei Menschen wirklich zueinander passen. Betrachtet man die Paarforschung, zeigt sich, dass vor allem die Homophilie-Hypothese eine entscheidende Rolle spielt. Sie beschreibt die Tendenz, sich zu ähnlichen Menschen hingezogen zu fühlen.

Homophilie-Hypothese
Homophilie ist die Vorstellung, dass „Gleich und Gleich sich gern gesellt“ (McPherson, Smith-Lovin & Cook, 2001) – dass Personen mit ähnlichen persönlichen Merkmalen eher bestimmte Arten von Beziehungen eingehen, wie etwa Freundschaften. (Aus: Measuring and Modeling Persons and Situations, 2021.)

Attraktivität ist jedoch vergänglich. Viele Menschen geraten in eine Endlosschleife des Suchens, ohne sich wirklich auf jemanden einzulassen. Sie bezeichnen das dann als „Freundschaft Plus“ oder „Situationship“. Letztlich verkompliziert das die Beziehungsdynamik. Oft fehlt der Mut, offen den Wunsch nach einer festen Beziehung zu äußern, aus Angst, potenzielle Partner*innen dadurch abzuschrecken.

Was macht es mit einem Menschen und dessen Beziehungen, wenn man dauerhaft das Gefühl hat, man könne immer noch mehr und vor allem Besseres haben?

Es gibt Menschen, die zustimmen würden, dass eine unbegrenzte Auswahl die Dinge oft komplizierter macht. Doch nur, weil es viele Optionen in einem bestimmten Bereich gibt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass man tatsächlich eine große Auswahl hat.

Vielmehr leben wir in einer Gesellschaft, in der Bindungen zunehmend unverbindlich sind und der Fokus stark auf das Individuum gerichtet ist. Diese Unverbindlichkeit stellt das eigentliche Problem dar – und Dating-Apps verstärken diesen Trend. Viele Nutzer:innen dieser Apps sind gar nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung. Am Ende bleibt ungewiss, ob zwei Menschen, die sich gegenseitig ansprechend finden, tatsächlich zueinanderfinden.

Auch auf Verhaltensebene kann Dating-Burnout belastend sein. Negative Nachrichten können emotional aufwühlen und dazu führen, dass die Freude an Dating-Apps schwindet. Es wäre dringend erforderlich, dass die Betreiber solcher Plattformen aktiv gegensteuern.

Trotzdem glaube ich als Romantikerin daran, dass man sich im echten Leben treffen und verlieben kann – und dann niemand anderen mehr im Blick hat. Es gibt Menschen, die zustimmen würden, dass eine unbegrenzte Auswahl die Dinge oft komplizierter macht. Doch nur weil es viele Optionen in einem bestimmten Bereich gibt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass man tatsächlich eine große Auswahl hat.

Negativismus
Negative Dating Self-Fulfillness beschreibt das Phänomen, bei dem Nutzer*innen durch negatives Verhalten auf Dating-Plattformen beeinflusst werden. Psychologin Wera Aretz sagt: Wenn Menschen alles auf Dating-Apps als negativ wahrnehmen und das eigene Verhalten an die wahrgenommene Negativität anpassen, könne dies dazu führen, dass im Endeffekt tatsächlich alles negativ sei. Wenn Menschen viele negative Erfahrungen gemacht haben, ließen sie ihre Emotionen nicht auf den Dating-Apps, sondern würden diese ausweiten. Dadurch entstünden viele negative Selbstzweifel, die auch einen negativen Einfluss auf das psychische Wohl insgesamt hätten.

 

 

Beitragsbild: Adobe Stock

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