Die Pille wird diesen Sommer 60 Jahre alt. Wurde das Verhütungsmittel damals noch oft tabuisiert, gehört es heute ganz selbstverständlich zum Leben vieler junger Frauen dazu. Und das trotz zahlreicher teils starker Nebenwirkungen. Aber warum ist die Pille für uns eigentlich so eine Selbstverständlichkeit, die wir kaum hinterfragen? Und vor allem: Warum ist Verhütung in der heutigen Zeit immer noch zum größten Teil Frauensache?
Jeden Abend das Gleiche. Egal ob beim Mädelsabend, dem Essen mit der Familie oder alleine auf dem Sofa: Es ist nur eine Frage der Zeit bis ein Summen oder Klingeln ertönt und sich der erste Handywecker meldet. Handywecker? Abends? Richtig. Allerdings ist der nicht dazu gedacht, die Besitzerin des jeweiligen Smartphones zum Aufstehen zu bewegen, sondern soll sie daran erinnern, doch bitte noch ihre Pille zu nehmen – jeden Abend zur selben Zeit.
Die Pille ist selbstverständlicher Teil unseres Alltags: Oft bekommen Frauen sie bereits im jungen Teenageralter verschrieben – zum einen zur Verhütung, nicht selten aber auch wegen unreiner Haut oder starker Regelschmerzen. Sie ist eine Art „Lifestyle-Produkt“ geworden, das häufig überstürzt und fast schon selbstverständlich verschrieben und eingenommen wird. Kein Wunder: Rund 60 Jahre nachdem sie auf den Markt kam, ist die Pille noch immer die in Deutschland am häufigsten verwendete Verhütungsmethode. Und das trotz teils starker Nebenwirkungen, wegen derer sie immer wieder in der Kritik steht und über die vor der Verschreibung oft nicht ausreichend aufgeklärt wird.
Die Pille als das “Nonplusultra”
Damit möchte ich jetzt gar nicht die Pille an sich schlecht reden, denn ihre Erfindung hat damals zweifellos einen großen Teil zur sexuellen Befreiung und Selbstbestimmung der Frau beigetragen und für viele ist sie mit Sicherheit auch eine gute Lösung. Was mich viel mehr stört, ist unser selbstverständlicher Umgang mit ihr und die Alternativlosigkeit zu hormonellen Verhütungsmethoden. Denn von den meisten Gynäkolog*innen und der Gesellschaft allgemein wird die Pille oft noch immer als das „Nonplusultra“ dargestellt und als Allheilmittel für allerlei „Frauenproblemchen“ betrachtet, das nebenbei noch ziemlich effektiv ungewollte Schwangerschaften verhindert. Das muss sich meiner Meinung nach ändern.
Denn, nur zur Erinnerung: Beim Sex gibt es im Normalfall immer zwei Beteiligte. Warum also ist die Verhütung in vielen Fällen noch immer Frauensache? Ein nicht unerheblicher Grund ist mit Sicherheit der Mangel an Verhütungsmethoden für den Mann. Der hat nämlich die Wahl zwischen genau zwei Möglichkeiten: Das Kondom oder die Vasektomie, also die Sterilisation. Da letzteres nur sehr schwer wieder rückgängig zu machen ist, kommt diese Option – gerade bei jungen Männern – oft nicht infrage. Bleibt eigentlich nur noch das Kondom, welches aber nicht unbedingt die sicherste Variante ist. Kein Wunder also, dass die Verhütungsfrage häufig an der Frau hängen bleibt.
Wo bleibt die Pille für den Mann?
Aber warum gibt es denn eigentlich nicht mehr Verhütungsmethoden für den Mann? Schließlich reden wir schon seit über 20 Jahren darüber, eine langfristige Verhütungsmethode für den Mann zu entwickeln. Und es gab auch bereits einige Studien, die sich mit der „Pille für den Mann“, Hormonspritzen oder Gels für den Samenleiter beschäftigt haben. Das Problem: Die Studien wurden, vor allem wenn bei den Methoden Hormone im Spiel waren, meistens abgebrochen. Und zwar unter anderem, weil einige der Teilnehmer über Nebenwirkungen wie Akne, Stimmungsschwankungen, Depressivität und Gewichtszunahme klagten. Die gleichen Nebenwirkungen also wie bei der Pille für die Frau. Nur, dass bei der Frau niemand darauf kommt, dass dies triftige Gründe sein könnten, die Pille eben nicht zu nehmen.
Unsere Gesellschaft ist viel zu sehr daran gewöhnt, dass (hormonelle) Verhütung Frauensache ist und die Frau sich schon drum kümmert, nicht schwanger zu werden. Es ist schlicht und ergreifend zur Selbstverständlichkeit geworden, dass Frauen die Pille nehmen oder anderweitig verhüten, zum Beispiel mit der Hormonspirale. Ist halt schon immer so gewesen – warum also etwas daran ändern? Verhütungsmethoden für die Frau werden – im Gegensatz zu denen für den Mann – schon immer nachgefragt. Und wo eine Nachfrage besteht, da gibt es auch ein Angebot. Ganz logische Sache.
Denn wie kann es sonst sein, dass schon seit Jahren oder sogar Jahrzehnten an neuen Verhütungsmethoden für den Mann geforscht wird, davon aber immer noch keine auf dem Markt ist? Die fehlende Nachfrage spielt hier mit Sicherheit eine große Rolle. Ich möchte den Männern hiermit gar nicht unterstellen, dass nicht auch einige von ihnen bereit wären, sich um die Verhütung zu kümmern. Das Problem scheint viel eher zu sein, dass sie sich gar keine Gedanken darüber machen – denn die Frauen kümmern sich ja schon, und bestehende Möglichkeiten gibt es für Männer ja sowieso keine. Ein ziemlicher Teufelskreis also.
Verhütung darf nicht nur Frauensache sein
Wie kommen wir nun also heraus aus diesem Hamsterrad der Selbstverständlichkeit? Eigentlich ganz einfach: Es muss endlich klar werden, dass langfristige Verhütung eben nicht nur Frauensache ist, damit Männer sich auch mal aktiv mit dem Thema auseinandersetzen und so zumindest ansatzweise eine Nachfrage für mehr Verhütungsmethoden für den Mann entsteht. Denn anders, und das haben wir ja in den letzten Jahren gemerkt, scheint es wohl nicht zu funktionieren.
Natürlich will ich damit jetzt nicht den Spieß umdrehen und bezwecken, dass Verhütung von nun an Männersache sein soll. Das wäre nicht nur unrealistisch, sondern auch kontraproduktiv. Ganz im Gegenteil: Ich finde, dass es generell nicht die Aufgabe eines einzelnen Geschlechts sein sollte, sich um die Verhütung zu kümmern. Stattdessen braucht es einfach nur mehr Ausgewogenheit und Gleichberechtigung in der Auswahl, so dass sich dann wirklichdie Frage stellt: „Wer kümmert sich? Benutzt du das Gel oder nehme ich die Pille?“ Denn bislang stellt sich diese Frage meist gar nicht erst, sondern die Antwort ist von vorneherein klar.
Dafür brauchen wir aber zuallererst mehr Verhütungsmethoden für den Mann – und dafür wiederum brauchen wir bessere Forschung, eine größere Nachfrage und insgesamt mehr Männer, die sich mit dem Thema Verhütung auseinandersetzen und auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Denn damit würden wir schon einmal einen großen Schritt in die richtige Richtung gehen – nämlich in Richtung Gleichberechtigung.
Beitragsbild: Emilia Knebel
Ich finde es wirklich erstaunlich, dass die Anti-Baby-Pille 2020 bereits 60 Jahre alt geworden ist. Meine Tante hat mir erzählt, dass sie bereits im frühen Teenageralter die Pille verschrieben bekam – aber nur aufgrund schmerzhafter Perioden. Sie hat dann erst mit der Pille aufgehört, als sie sich mit ihrem Ehemann für ein Kind entschied.