Bücher im Abi: Pflichtlektüre des Grauens

Unsere Autorin musste sich in Schule und Uni schon durch viele schaurige und verstörende Bücher quälen. In einem Brief ans Kultusministerium sagt sie jetzt einfach mal Danke für die tolle Lektüre.

Liebes Kultusministerium,

ihr hört das wahrscheinlich öfter, aber: Ihr seid wirklich die Besten! Durch die großartige Pflichtlektüre, die ihr 2018 für mein Abitur rausgesucht habt, konnte ich mich intellektuell weiterbilden und ein breites Bild von der Welt bekommen. So breit, dass ich nach den ganzen Schauergeschichten lieber in eine andere Welt umgezogen wäre. Und wieviel ich durch die Lektüre gelernt habe! Hier sind ein paar klasse Weisheiten fürs Leben, die ich daraus mitnehmen konnte:

1. Vorsicht in der Beziehung

Ich sollte aufpassen, in wen ich mich verknalle. Es könnte immer sein, dass derjenige in Wirklichkeit ein alter Gelehrter ist, der sich magisch verjüngt hat, nur um mich in die Kiste zu kriegen. Und mich dann fallen lässt wie eine heiße Kartoffel. #faust


2. Arbeit geht über alles

Sollte ich eines Morgens aufwachen und mich in einen riesigen Käfer verwandelt haben: Kein Ding! Meine erste Priorität sollte sein, trotzdem irgendwie zur Arbeit zu kommen. So halten die Leute im Bus wenigstens endlich mal ordentlich Abstand. #dieverwandlung


3. Körperpflege nur mit Bedacht

Ich sollte niemals zu viel Parfüm auftragen. Das könnte in einer Massenorgie enden. Oder halt darin, dass ich von einem Mob zerrissen und gegessen werde. #dasparfüm


4. Gib deinen Eltern Freiraum

Harmonie in der Familie ist wichtig und dafür sollte man die Privatsphäre der Anderen respektieren. Ich habe gelernt, dass ich meinem Vater niemals hinterherspionieren sollte. Es könnte ja schließlich sein, dass sein Arbeitskollege mich dabei erwischt und mir die Augen rausreißen will. #dersandmann


Ich wüsste wirklich nicht, wie mein Leben ohne diese Erkenntnisse verlaufen wäre. Das zeigt wieder, wie sehr ihr euch um alle Schüler*innen sorgt und Rücksicht auf sie nehmt. Gerade auf diejenigen, die Traumata erlitten haben oder generell etwas sensibler sind. Es hat wirklich Spaß gemacht, in meinem Kopf wochenlang grausame Szenen in Endlosschleife zu wiederholen und dadurch die Lust am Lesen zu verlieren. Aber immerhin lasst ihr uns ja eine Wahl bei den Büchern: Entweder wir lesen sie und sind danach verstört oder wir fallen in der Prüfung eben durch. Wirklich fair.

Für die Zukunft rate ich euch, die Kritik an der Pflichtlektüre einfach weiterhin zu ignorieren. Hat ja super funktioniert bisher. Sucht einfach weiter Bücher raus, die älter sind als das Frauenwahlrecht. Wer braucht schon aktuelle Lektüre? Zu Themen, die junge Menschen interessieren? Spannende und gleichzeitig moderate Bücher rauszusuchen könnte ja am Ende noch dazu führen, dass das Lesen auch noch Spaß macht. Das will natürlich keiner.

Wie schade, dass ich mich seit Studienbeginn nicht mehr eurer handverlesenen Pflichtlektüre widmen kann. Aber keine Sorge: An der Uni führen die Professor*innen euer Werk fort und suchen nur die schönsten aller Bücher raus. In den Weihnachtsferien durfte ich mich zum Beispiel kulinarisch in traditioneller chinesischer Kochkunst fortbilden und lernen, was man so alles bei lebendigem Leib in den Wok schmeißen kann. Und weil ich niemanden dazu zwingen will, ungewollt und ohne Trigger-Warnung grausame Szenen zu lesen, behalte ich den genauen Inhalt an dieser Stelle für mich.

Mit verstörten Grüßen

Anna

Teaser- und Beitragsbild: Siora Photography/unsplash.com

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