Einen guten Witz muss man nicht erklären. Und wenn man es doch tut, macht es alles nur noch schlimmer. Das wüssten Joyce Ilg und Faisal Kawusi bestimmt, wenn sie in der deutschen Comedy-Schule besser aufgepasst hätten. Stattdessen gibt es schriftliche Statements, zwei IGTVs und einen TV-Auftritt, in denen beide versuchen, den geschmacklosen K.O.-Tropfen Witz nachträglich zu retten. Was sie damit schieren, ist Verwirrung und Wut. Vor allem bei Betroffenen, denen schon wieder nicht zugehört wird. Ein Kommentar.
Am 17. April drückt die deutsche Schauspielerin und Comedian Joyce Ilg auf „Teilen“ und veröffentlicht damit einen Instagrambeitrag, der auch eine Woche später noch für Schlagzeilen sorgt. Auf der einen Seite stehen vermeintlich linke Ökofeministinnen, wegen denen „man bald gar nichts mehr sagen darf“. Auf der anderen deutsche Comedians, die die Freiheit des Humors verteidigen – egal mit welchen Mitteln. Und dazwischen? Ein konfuses Statement nach dem anderen, bei denen meist zuerst rücksichtslos angegriffen und sich im Nachhinein gerechtfertigt wird.
Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage „Was darf Humor?“ werden alle Themen, die gesellschaftlich polarisieren, in einen Topf geschmissen. Mit dabei sind die üblichen Verdächtigen: Rassismus, Sexismus und Ableismus, gewürzt mit einer Prise Whataboutism und Täter-Opfer-Umkehr. Alles Diskussionen, die schon zig mal von den immer gleichen Parteien geführt wurden. Wie immer ist kein konstruktiver Umgang und erst recht keine Lösung in Sicht. Denn die eigentlich Betroffenen werden mal wieder außen vor gelassen.
Frohe Ostern, eure Joyce
Joyce Ilg postet pünktlich zu Ostern ein Foto, auf dem sie und ihr Kumpel und Comedian Luke Mockridge gemütlich auf dem Sofa liegen. In der Bildunterschrift schreibt sie: „Hat hier irgendwer von euch Eier gefunden? Ich hab nur ein paar K.O.-Tropfen bekommen. Frohe Ostern!“ Und damit entfacht sie eine Diskussion, die in über 20.000 Kommentaren, zig Instagram-Statements und sogar im deutschen Kabelfernsehen ausgeschlachtete wird. Prominente Namen, wie Louisa Dellert, Silvi Carlsson, Sophie Passmann, Laura Larsson, Riccardo Simonetti oder Diana zur Löwen finden sich in den Kommentaren unter dem Post.
Was Joyce später als Shitstorm bezeichnen wird, sind mehrheitlich eher konstruktive Kommentare, die aber alle in eine Richtung gehen: Ein vermeintlicher “Witz”, der K.O.-Tropfen verharmlost und Opfer retraumatisiert, geht zu weit. Denn nicht nur der Witz ist unangebracht. In Kombination mit dem Foto wird das Ganze besonders geschmacklos. Denn gegen Luke Mockridge, der breit in die Kamera lächelt, stehen aktuell immer noch Vergewaltigungsvorwürfe im Raum.
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Statt sich für die Aktion zu entschuldigen, bricht wie so oft eine Grundsatzdiskussion aus. Nach zwei schriftlichen Statements verkündet Joyce sich erst einmal zurückzuziehen. Das Kind ist zu diesem Zeitpunkt auch schon längst in den Brunnen gefallen. Denn jemand anderes hat sich bereits eingeschaltet, dessen Humor offensichtlich noch weniger Grenzen kennt, als der von Joyce: Faisal Kawusi, ebenfalls (wie sollte es auch anders sein) deutscher Comedian.
Auf einen Kommentar von Silvi Carlsson, in dem sie erklärt, dass sie einmal fast an K.O.-Tropfen gestorben wäre, antwortet er: “Das nächste mal werde ich die Dosis verstärken, versprochen”. Es folgen mehrere Statements in seiner Story, in der Sätze fallen wie „Ich bin ein Großmeister der Comedy“. Für ihn habe Humor keine Grenzen, wenn seine Witze jemanden verletzen, sei das nicht seine Schuld, weil jeder für seine eigenen Gefühle verantwortlich sei. Er sei früher schließlich auch gemobbt und bespuckt worden. Dafür habe sich auch nie jemand interessiert. Wenige Stunden später ist die Story gelöscht. Stattdessen findet sich ein Text, in dem Faisal schreibt, sich ebenfalls zurückzuziehen.
Und schon eine Woche später sind beide zurück – in Form von viel zu langen IGTVs.
Ekelhafte Doppelmoral
Das IGTV von Joyce ist zehn Minuten lang und könnte konfuser nicht sein. Sie schafft es Themen auf eine Art miteinander zu kombinieren, wie es sonst nur an Kneipenabenden von alten weißen Männern gemacht wird. Obwohl es ursprünglich nur um einen plumpen, geschmacklosen Witz ging, spricht sie jetzt von ihrer eigenen Erfahrung mit K.O.-Tropfen und sexualisierter Gewalt. Es geht um Grenzen von Humor, Übersensibilisierung, Triggerwarnungen, der Angst vor einer zu ernsten Gesellschaft und Ableismus. Über allem steht die vermeintliche Absicht des Austauschs. Und immerhin: Nach eigenen Angaben hat sie mit einigen Menschen geschrieben und telefoniert. Auch Interviews seien geplant. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wer genau ihr demnächst dann gegenüber sitzt, bleibt allerdings abzuwarten. So oder so ändert es nichts daran, dass wir bisher nur eine Person hören und sehen: Sie selbst.
Gleiches gilt für unseren Großmeister der Comedy aka Faisal Kawusi. Als Gast bei Stern TV entschuldigt er sich eine Woche nach seinem offiziellen Rückzug öffentlich für seinen Kommentar gegenüber Silvi. Ähnlich wie Joyce lässt er es damit aber nicht gut sein. Auch ein IGTV muss her. Diesmal mit einer Länge von 20 Minuten. Wie schon in seiner Story rechtfertigt er sein Verhalten mit eigenen Erfahrungen. Drei Jahre lang soll er gemobbt und in der Schule verprügelt worden sein. Wenn er sieht, wie andere gemobbt werden, würde ihn das triggern. Zeitgleich kritisiert er, man dürfe die eigenen Emotionen nicht auf die Weltsicht anderer projizieren. Dass ihm mit seinem Kommentar genau das Gleiche passiert, ist ihm scheinbar entgangen. Silvi unterstellt er, ihren Hass gegenüber dem eigentlichen Täter nicht verarbeitet und auf ihn, Faisal, projiziert zu haben. Dabei ist sein eigener Kommentar doch ebenfalls nur Resultat seiner Projektion.
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Eine Silvi Carlson macht mit ihrem Kommentar darauf aufmerksam, dass ein K.O.-Tropfen Witz geschmacklos ist und Betroffene triggert. Ein Faisal Kawusi empfindet das als Mobbing, was wiederum ihn triggert und antwortet mit einer Wortwahl, die mehr als nur übers Ziel hinausschießt. Ja, dafür hat er sich entschuldigt. Die Doppelmoral bleibt aber dieselbe: Wenn Opfer von K.O.-Tropfen sich berechtigterweise über einen geschmacklosen Post aufregen, ist das übertrieben und Mobbing. Auch wenn sie das konstruktiv tun. Wenn er einen unangemessenen Kommentar verfasst, liegt das daran, dass er getriggert wurde. Weil er aber als Kind gemobbt wurde, darf er jetzt doppelt so hart austeilen. Wer hat sein Trauma hier nochmal nicht verarbeitet? Dass Faisals Erfahrungen schlimm gewesen sein müssen, steht außer Frage. Es gibt ihm aber keinen Freifahrtschein. Nur weil man selbst schlecht behandelt wurde, hat man nicht das Recht andere schlecht zu behandeln. Im Gegenteil: Man müsste meinen, dass seine Erfahrungen ihn sensibel dafür machen, was Menschen ernsthaft verletzten kann.
Die ekelhafte Krönung des Ganzen: Er wünscht Silvi Heilung auf ihrer Reise zur Selbstliebe, empfiehlt ihr Bücher und Therapie. Gespickt mit vielen schlauen Sprüchen kündigt er ein neues Zeitalter seiner Karriere an und will eine Initiative gegen Mobbing gründen.
Wenn Rape-Jokes doch nur lustig wären…
Was in Aufklärungsarbeit zum Thema K.O-Tropfen hätte enden können, ist also wieder zu einer Schlammschlacht ohne Grenzen ausgeartet. Bei Faisal flattert vermutlich bald eine Anzeige von Silvi in den Briefkasten. Und wenn er nicht zu beschäftigt ist mit seinem neuen Projekt, erwartet uns vielleicht ein weiteres Statement voller Kalender-Sprüche gepaart mit Rechtfertigungen und Kindheitstraumata. Luke Mockridge hüllt sich nach wie vor in Schweigen, zählt auf die Unterstützung seiner Freunde und bewirbt fleißig seine neue Tour. Und Joyce Ilg? Die wird vermutlich auch in den nächsten Wochen noch von dem Push profitieren, den ihr die ganze Debatte verschafft. Wen sie für zukünftige Interviews vor die Kamera holt, bleibt abzuwarten.
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Sophie Passmann schafft es in nur wenigen Sekunden mehr Inhalt zu vermitteln, als Joyce und Faisal gemeinsam. Streng genommen darf Humor natürlich alles. Aber statt uns in Zukunft zu fragen, was guter Humor überhaupt ist und darf, sollten gewisse Comedians vielleicht mal darüber nachdenken, wieso sie ausgerechnet einen Rape-Joke lustig finden. Das Einmaleins der Comedy: Einen Witz, den man erklären muss, ist kein guter Witz. Wenn also mehrere schriftliche Statements, zwei IGTV-Videos und ein TV-Auftritt nötig sind, um einen Witz zu rechtfertigen, war er vielleicht einfach nicht gut. Und das ist in Ordnung. Auch ein Comedian kann mal Witze machen, die eine Grenze überschreiten. Aber dann loszuschreien, alle möglichen gesellschaftlichen Debatten, die sich um Rassismus, Ableismus und Sexismus drehen, in einen Topf zu schmeißen und für den eigenen Standpunkt zu verwenden, ist mit Sicherheit nicht die richtige Reaktion. Und auch längst keine Comedy mehr. Eine Entschuldigung ohne Schuldzuweisungen wäre allen Betroffenen gegenüber nur angebracht gewesen. Denn dieser Fall vermittelt Opfern von K.O.-Tropfen und sexualisierter Gewalt wieder einmal vor allem eins: Niemand will eure Geschichten hören.